ABRAHAM-PREDIGTEN

2. Predigt über Melchisedek - TEIL VI

 

TEIL VI

Darauf führt Mose den Segen Melchisedeks an. Gesegnet sei Abram, sagt er, vor Gott dem Allerhöchsten, dem der Himmel und die Erde gehören; und gelobt sei der höchste Gott, der deine Feinde in deine Hand gegeben hat. Er segnet Abram im Namen Gottes, wie wir schon aus dem Gesetz angeführt haben. Man darf nicht glauben, wenn die Priester das Recht des Segnens haben, so hätten sie es kraft eigener Autorität, und Gott hätte ihnen Sein Amt abgetreten und Sein Ruhm würde dadurch verringert. Wenn Gott durch Seine Diener wirkt, so wird Er dadurch nicht kleiner, und Seine Kraft wird dadurch nicht verdunkelt. Er wird nicht ärmer um das, was Er gibt, sondern es gefällt Ihm, solche Mittel so zu gebrauchen, dass man immer wieder zu Ihm zurückkommt, und dass man keinen Tropfen Gutes aus einem anderen Brunnen als aus dieser Quelle schöpft. Deshalb heißt es ausdrücklich: Gesegnet sei Abram dem höchsten Gott, als ob Melchisedek damit sagen wollte, er sei nichts von sich aus und vermöge nichts, sondern nur sofern Gott ihn zu seinem Dienst berufe, rufe er auch Ihn an und spreche Seinen Namen über Abram aus. Wir sehen also: Jesus Christus hat das Amt zu segnen, d. h. Er macht uns vor Gott angenehm, wischt alles Böse aus, das in uns ist. Aber das muss uns noch weiter führen, nämlich zu der unschätzbaren Liebe Gottes, des Vaters, welcher seines einzigen Sohnes nicht verschont, sondern ihn für uns in den Tod gegeben hat (Römer 8.32). Wenn uns der eigentliche Grund unseres Heils gezeigt wird, so stellt uns die Schrift diese Liebe Gottes vor Augen; Gott hat also die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn nicht verschont hat. So werden wir gesegnet durch die priesterliche Kraft des Sohnes Gottes. Aber dabei ruft uns der Vater zu sich, damit wir Ihm die Ehre geben und dafür danken, dass es Sein Wille war, uns ein solches Gut, und gar auf diesem Weg, mitzuteilen. Kurz, wir sehen hier, dass alles Gute, was wir wünschen und erhoffen dürfen, von Gott allein ausgeht, und dass wir es nur bei Ihm suchen müssen. Jeder wünscht sich, es bequem zu haben und all das zu bekommen, was ihm seiner Meinung nach gebührt. Dieser Wunsch ist Guten und Schlechten gemeinsam. Aber es gibt sehr wenige, die ihr Gut in Gott suchen. Sie wollen alle selig werden, aber sie verachten den, von dem alles Gute ausgeht. Das ist ebenso, wie wenn ein Mensch sehr durstig wäre und sogar verschmachtete und nicht mehr weiterkönnte und man ihm sagen würde: ‚Da ist die Quelle‘ - er aber würde sich nicht dazu hergeben zu trinken; es mag Wasser und Wein da sein, er will nicht hingehen und trinken. So verhält es sich mit denen, die alles begehren und zu Kosten verlangen, was ihnen in den Sinn kommt und was ihnen nötig scheint, und dabei Gott verachten und nicht zu Ihm kommen wollen. Lasst uns doch lernen, so oft wir für unsere Seele oder für unseren Leid etwas Begehrenswertes wünschen, damit anzufangen, dass Gott uns gnädig sein möge und uns in Seiner Barmherzigkeit so aufnehme, dass wir Zutritt und Zugang zu Ihm haben und uns an Seinen Gütern sättigen können, wie es zu unserem Heil nötig ist.

Danach fügt Melchisedek einen Lobpreis dafür hinzu, dass Gott unserem Vater Abram den Sieg gegeben hat. Und gelobt sei, sagt er, der lebendige Gott, der deine Feinde in deine Hand gegeben hat. Dadurch werden wir dazu ermahnt, mit den Forderungen und Bitten, die wir vor Ihn bringen, immer den Preis Gottes zu verbinden, wie es uns auch Paulus im Philipperbrief zeigt, wenn er sagt, unsere Wünsche seien Gott bekannt, d. h. er sagt: Zerbeißt nicht eure Zügel, wie die Ungläubigen es machen, wenn sie sehen: Das würde mit gefallen und wohl anstehen. Sie beklagen sich, aber wieso? Sie haben ihre Herzen verschlossen und stellen sich nicht vor Gott, um Ihn um das zu bitten, was sie brauchen. Deswegen sagt der Apostel an jener Stelle (Philipper 4.6): Eure Gebete, eure Gedanken und Wünsche seien vor Gott ausgebreitet, d. h. wenn ihr wisst, dass ihr dies oder jenes nicht habt, so suchet das Gute dort, wo es ist, und dort werdet ihr es finden können: Bei Gott! Eure Gebete, Bitten und Danksagungen sollen zeigen, dass ihr vor Gott steht. Wenn ihr Ihn so gebeten habt, wie ich gesagt habe, so soll euer Loben sich mit eurem Bitten vereinen, denn wenn wir Ihn murrend und mit Jammern und Unzufriedenheit bitten, so ist das eine Lästerung Seines heiligen Namens. Nun muss das Gebet Ihm ein Opfer von gutem Geruch sein. Wir versündigen uns an Ihm und beschimpfen Ihn, wenn wir Ihn unserem Begehren unterwerfen und untertänig machen wollen und uns nicht an Seiner Gnade genügen lassen. Deswegen müssen wir wohl dazu ermahnt werden, dass wir, so oft wir Gott bitten, Ihm auch Dank sagen, uns ganz Seinem Willen unterwerfen und Ihm für Seine Gnadengaben danken sollen. So heißt es auch im 50. Psalm: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen. So handelt hier Melchisedek in Bezug auf Abram. Um das besser und inniger zu verstehen, müssen wir darauf achten, dass unsere Gebete sich auf die Vergangenheit und auf die Zukunft beziehen müssen; auf die Vergangenheit, um Gott für das Gute zu danken, dass wir schon von Ihm empfangen haben; und auf die Zukunft, um Ihn zu bitten, Er möge bis ans Ende fortfahren und beharren, wie Er angefangen hat. Das ist nun sehr zu beachten. Vor uns steht Abram, der hocherhoben und zum Vater der Gläubigen gemacht worden war; er war von Gott mit allen Tugenden gesegnet worden; er besaß einen ausgezeichneten Geist. Trotzdem zeigt ihm Melchisedek, dass er bis ans Ende in der Gnade wachsen und täglich seine Hilfe bei Gott suchen muss. Denn wenn er ihn segnet, so erteilt er ihm zugleich eine Lehre, die er behalten und üben muss, solange er lebt. Wenn nun Abram es nötig hatte, Gott allezeit anzurufen; wenn er, soviel Gaben er auch empfangen hatte und welche Würde er auch besaß, sich doch immer wieder in Bitten und Beten üben muss – wie mag es dann mit uns stehen, die wir noch weit von ihm entfernt sind? So seht ihr denn, warum ich gesagt habe, unsere Gebete müssen sich auf die Zukunft beziehen, damit Er Mitleid mir uns habe, damit Er uns helfe und Seine Gnade immer mehr bei uns wachsen lasse. Denn wir haben die Hilfe Gottes immer nötig! Ferner müssen sie sich mit Loben und Danken auf die Vergangenheit beziehen, indem wir bekennen, dass wir alles Gute von Ihm haben. Wir müssen ein solches Genügen haben, dass wir, selbst wenn wir in unserer Bosheit geängstigt werden, nicht davon ablassen uns zu freuen, da wir Ihn als Vater erkannt und erprobt haben, und da Er sich auch in Wahrheit durch die Gnadengaben als solcher gezeigt hat, die Er uns schon zuvor mitgeteilt hat.

Die Worte Melchisedeks: Gelobt sei der Gott, der deine Feinde in deine Hand gegeben hat, zeigen uns, dass jeder Sieg von Gott kommt, und dass nicht Abram selber durch seine Energie, durch seinen Mut und seine Tapferkeit die Könige vernichtet hat, sondern dass Gott ihn geführt hat. Zwar hat Abram, wie wir gesehen haben, seine Feinde bei Nacht überrascht und hat das getan, weil er nicht kriegsgewohnt war; aber was hätte alles das geholfen, wenn Gott es nicht hätte gedeihen lassen? Wir sehen sogar: Obgleich David ein großes Heer hatte, obgleich er viele tapfere und berühmte Leute gehabt hat, und obgleich er auch selber im Krieg geübt war, seit Gott ihn zum König eingesetzt hatte, sagt er nichtsdestoweniger, Gott habe ihm schnelle Füße gegeben, Er habe ihn erhoben und so stark gemacht, dass er die Fesseln und die Riegel zerbrochen habe, Er habe seine Feinde geschlagen. David bekennt also, er habe bei all den Siegen, die er errungen habe, nichts, was daran sein eigen wäre. Da nun David, der menschlich gesehen die Mittel dazu hatte, seine Feinde zu überwinden, trotzdem ohne Heuchelei bekennt, er habe nichts, was nicht Gott zugeschrieben werden müsse, damit Sein Name dadurch verherrlicht werde – wie konnte es um Abram stehen, der niemals Krieg geführt hatte, der sozusagen nicht wusste, wie man einen Degen aus der Scheide zieht, obschon er eine solche Menge Leute besiegt hat, die schon voll Anmaßung darüber waren, dass sie ihre Feinde geschlagen und fünft Städte geplündert und ausgeraubt hatten! Hier muss Gott gehandelt haben! Wie nun dem auch sein mag, wir müssen dieser Stelle folgendes entnehmen: Selbst wenn man bloß einen Finger rühren müsste, so muss Gott uns führen, damit wir nichts mit anmaßendem Hochmut unternehmen, als ob wir etwas vermöchten und tüchtige Leute wären. Diejenigen, die Krieg führen oder sonst etwas Schwieriges unternehmen müssen, sollen sich also in die Hände Gottes geben und wissen, dass Er nicht ohne Grund der Gott der Heere genannt wird. Das ist das eine. Weiter müssen wir das auf eine zweiter Weise anwenden, es nämlich auf die geistliche Kraft beziehen, die uns zur Überwindung Satans und alles dessen, was unserem Heil entgegensteht, gegeben wird. Wir haben, sagt Paulus (Epheser 6.12), nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Mächte von obenher, gegen die Teufel, die mit feurigen Pfeilen kämpfen. Hierin müssen wir uns üben. Da also unser eigentlicher Feind der Teufel ist, und da die Pfeile und die Schwerter und alle Mittel, mit denen er uns Schaden kann, geistlich sind, so wollen wir lernen, zu unserem Gott zu rufen. Denn welche Kraft, welche Geschicklichkeit haben wir? Gott muss also kämpfen, und wir müssen dabei ruhig bleiben, ja gleichsam mit gebundenen Händen zusehen. Nicht als ob es uns nicht Not täte, uns anzustrengen, denn die Gläubigen müssen tapfer gegen die Begierden ihres Fleisches kämpfen; aber die Kraft dazu muss von oben kommen, so dass sie alle Gedanken an ihren freien Willen und an ihre eigene Kraft vernichten, so oft sie sich in Hochmut gegen Gott erheben. Das ist der Rausch des Papsttums. Wir müssen, sage ich mit einem Wort, erkennen, dass wir an Leib und Seele nichts vermögen. Aber da Gott es übernommen hat, uns zu führen, so sollen wir wissen und daran festhalten, dass Er genug Kraft für uns hat, und dass wir ohne Ihn nichts vermögen, dass wir aber durch Ihn alles vermögen.