ABRAHAM-PREDIGTEN

2. Predigt über Melchisedek - TEIL V

 

TEIL V

Danach heißt es, Melchisedek habe Abram gesegnet, nämlich sofern er Priester des höchsten Gottes war. Dieses Segnen bedeutet Überordnung, wie der Apostel uns sehr richtig belehrt (Hebräer 7.7), wenn er sagt, der Bessere segne die Geringeren. Sofern Melchisedek Priester ist, muss also Abram ihm untergeordnet sein. Nun ist es so, dass Abram Vater und Haupt der Kirche gewesen ist; es folgt also daraus, dass der, den Melchisedek vertrat, größer ist als irgendein sterblicher Mensch. Deshalb haben auch manche der Alten sich vorgestellt, er sei ein Engel gewesen. Aber das sind Torheiten oder sogar Sinnlosigkeiten, denn wenn er Priester des lebendigen Gottes genannt wird, so ist es gewiss, dass er ein im Lande bekannter Mann war, und ebenso als König von Salem. Das ist also bloß Tändelei. Aber selbst wenn er ein Engel gewesen wäre, so wäre er immer noch nicht mehr als Abram, der gemeinsame Vater der ganzen Kirche. Es ergibt sich also: Obgleich Melchisedek ein sterbliches Geschöpf war, so hat er doch wegen des Priesteramts die Engel im Paradies an Würde übertroffen - nicht an sich, sondern an Stelle dessen, den er dargestellte. So ist David größer gewesen als alle Engel, wenn ihm gesagt wird: Du bist mein Sohn; heute habe ich dich gezeugt (Psalm 2.7). Das ist von keinem Engel gesagt, sagt der Apostel (Hebräer 1.5); trotzdem war David ein armer Sünder, ein Sohn Adams wie die andern. Und wie kommt es denn, dass er hier so hoch erhoben wird, dass die Engel ihm unterworfen werden? Weil diese Gestalt die Majestät des Sohne Gottes darstellt, und nicht bloß David. So ergibt sich für uns notwendig: Melchisedek konnte bloß mit Rücksicht auf die Wirklichkeit über Abram stehen, die er darstellte. Es folgt also daraus, dass Jesus Christus damals offenbart wurde, damit der Glaube der Gläubigen ganz in Ihm gegründet würde. Denn es war von Anfang an kein anderes Heil unter dem Himmel gegeben, als das, das uns heute im Evangelium offenbart wird.

Nun gibt es zwar auch gewöhnliche Segnungen, denn ‚segnen‘ steht in der Heiligen Schrift oft für ‚beten‘. So werden wir nachher sehen, dass ein gewöhnlicher Mensch einen andern mit den Worten segnet: ‚Gott segne Dich‘. Wenn wir einander grüßen, so grüßen wir uns ebenso mit Segenswünschen. Das ist die gewöhnliche Ausdrucksweise der Heiligen Schrift. Aber es gibt einen besonderen Segen, der den Priestern vorbehalten ist, und deswegen heißt es im Gesetz oft: ‚Die Priester, die das Volk im Namen Gottes segnen‘, d. h. die das Recht dazu haben; und selbst die Form des Segens wird uns in 4. Mose 6 überliefert, wenn es heißt: So sollen die Priester mein Volk segnen: Der Herr segne und behüte euch; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über euch; und dann: Der Herr sei euch gnädig und gebe euch Frieden. Hier hat Gott für Seine Kirche eine feste Form des Segens eingeführt. Deswegen wird auch erzählt, Jesus Christus habe bei Seiner Himmelfahrt die Hände über Seine Apostel erhoben, wie es die Priester zu tun pflegten. Er hat die Bilder des Gesetzes vollendet, indem Er Seine Jünger segnete. Das ist also der Segen, von dem hier die Rede ist. Deshalb legt auch der Apostel nicht ohne Grund Nachdruck darauf, dass Melchisedek in dieser Eigenschaft über Abram stehen müsse, da er ihn gesegnet hat. Nun ist Abram der Vater der ganzen Kirche. Wir sollen also daraus schließen, dass unser Herr Jesus Christus eine übermenschliche Majestät hat, und das gerade als Mittler. Es muss sich noch jede Höhe unter Ihn erniedrigen; es muss jeder auf Ihn sehen; es müssen Große und Kleine erkennen, dass Ihm von Gott, Seinem Vater, das höchste Reich gegeben ist, gerade in dieser menschlichen Natur, und dass sich vor Ihm jedes Knie beugen muss, denn so muss jene Stelle des Paulus, Philipper 2, verstanden werden, und das haben wir hier festzuhalten.

Jetzt ist es unsere Aufgabe, diese Stelle zu unserem Nutzen anzuwenden, d. h. nicht daran zu zweifeln, dass, wie unser Vater Abram urbildlich von Melchisedek gesegnet worden ist, so auch heute unser Jesus Christus, der ewige Priester, im Namen Gottes, Seines Vaters, uns segnet. Denn Seine Bitte ist nicht vergeblich; sie muss Erfolg haben. Wir wissen, dass Er unfehlbar erhört wird. So sollen wir also daraus schließen, dass wir Jesus Christus vor Gott, Seinem Vater, zum Beistand haben, wenn wir unser Vertrauen auf Ihn setzen. Wenn wir in Adam verflucht sind und uns noch täglich durch unsere Fehler und Übertretungen neuen Fluch zuziehen, so wird das doch ausgelöscht und wieder gutgemacht, weil unser Herr Jesus Christus in Seiner Güte das Amt des Segens für uns verwaltet. Und wir kennen sogar das Gebet, das Er im 17. Kapitel des Johannes einmal gesprochen hat: Heiliger Vater, ich bitte dich nicht allein für diese hier - d. h. die elf Apostel und die Jünger, die Er schon bei sich aufgenommen hatte - sondern ich bitte für alle die, sagt Er, die durch ihr Wort an meinem Namen glauben werden, damit sie in mir eins bleiben, wie ich auch in dir bleibe, damit wir alle eins seien. Unser Herr Jesus Christus hat diese Worte einmal ausgesprochen; Er bittet nicht bloß für Seine Jünger, die schon zu Seiner Herde gehörten, sondern für alle die, die durch ihr Wort an Ihn glauben. Wir sollen also lernen: Wenn wir die Lehre des Evangeliums mit echten Gehorsam umfassen, so dürfen wir davon überzeugt sein, dass der Sohn Gottes uns als unser höchstes und einziges Gut geschenkt wird. Sein Gebet wird so immer dieselbe Kraft haben, denn es ist nicht nötig, dass Er es abends und morgens und jeden Tag wiederholt. Es genügt, dass Er es durch Sein Blut und das einmal dargebrachte einzige und ewige Opfer besiegelt hat; denn wir sind sicher, dass unsere Gebete erhört werden, wenn wir Gott im Namen unseres Heilandes bitten. Unsere Gebete wären bloß Gift und würden selbst die Luft vergiften, wenn es sich dabei darum handeln würde, dass wir auf Gott sehen, um danach zu bedenken, wer wir sind. Aber unsere Gebete sind durch den priesterlichen Segen unseres Herrn Jesu Christi gesegnet; auf Ihn gilt es zu sehen, damit wir all Seiner Güte teilhaftig werden. So müssen wir, in Kürze gesagt, diese Stelle Moses zu unserem Nutzen und zur Erbauung unseres Glaubens anwenden, in der gesagt wird, Abram, der Vater der Gläubigen, sei gesegnet worden. Dabei sehen wir, dass Abram an sich verflucht war, da er ja den priesterlichen Segen empfängt. Auch Melchisedek erkennt, dass wir in uns bloß Armut haben, und dass Gott uns segnen muss, und dass wir seinen Segen mit aller Demut umfassen müssen, wenn wir des Gutes froh werden sollen, das uns durch unseren Herrn Jesus Christus gebracht worden ist und das Er uns täglich durch die Predigt des Evangeliums anbietet.