ABRAHAM-PREDIGTEN

1. Predigt über Melchisedek - Teil 6

 

TEIL VI

Wir kommen nun zu dem Text Moses. Es heißt: Melchisedek, der König von Salem, brachte Brot und Wein dar. Er war ein Priester des lebendigen Gottes und hat Abram gesegnet. Man muss diesen Text so umschreiben: Obgleich Melchisedek König war, hat er Abram aufgenommen und hat ihm Brot und Wein zu seiner und seines Heeres Erfrischung gegeben, und als Priester hat er ihn gesegnet, und Abram hat ihm auch den Zehnten der ganzen Beute gegeben. So wird uns Melchisedek als König und Priester vor Augen gestellt, und wir müssen wohl unterscheiden und die einzelnen Handlungen nach den Ämtern trennen. Denn als König war er freigebig gegen Abram, hat er ihn mit seiner Schar gesättigt, und als Priester hat er Abram gesegnet. Nun war es bei den Alten etwas ganz Gewöhnliches, dass ein König Priester war. Auch die profanen Schriftsteller zeigen, dass solches in vielen Ländern Sitte gewesen ist. Denn nicht zufrieden mit ihrem Stand, wollten die Könige aus Ehrgeiz auch Priester sein, weil ihnen das Priesteramt eine heiligere Würde zu haben schien als die königliche Majestät. Deshalb haben sie sich oft zu Priestern gemacht. In der Tat sehen wir, dass man mit viel Verschlagenheit danach strebte, und dass die, die Vertrauen und Ansehen genossen, sich immer wieder nach dieser Stellung drängen wollten. Aber wie dem auch sei, Mose erzählt das doch als etwas Besonderes von Melchisedek. Indessen sehen wir doch, dass Gott in Seinem Gesetz das eine vom andern unterschieden und nicht gewollt hat, dass eine einzige Person beides habe. Mose war durch Vollkommenheit aller Tugend so ausgezeichnet als jemals ein sterblicher Mensch; nichtsdestoweniger hat Gott doch nicht ihn zum Priester haben wollen, sondern seinen Bruder Aaron, da ja Mose mit den von ihm verwalteten Regierungsgeschäften genug zu tun hatte. Wir sehen auch tatsächlich, wie Usia bestraft worden ist (2. Chronik 26.16 ff); denn als König treibt ihn die törichte Anmaßung, dass er sich auch in das Priesteramt drängen will, und bloß deswegen, weil er am Altar geräuchert hat, wird er vom Aussatz befallen, in Schande gestürzt und sein ganzes Leben lang abgesondert. Und doch scheint es, als ob er fromm oder zum mindesten zu entschuldigen war! Aber Gott bestraft nicht nur das, was in Erscheinung tritt, denn Er hat den Hochmut des Königs Usia erkannt. Und dann heißt es: Gehorsam ist besser den alle Opfer (1. Samuel 15.22). Da er sich nun gegen das Verbot Gottes eingedrängt und die Berufung und die Ordnung gestört hat, die unverletzt bleiben mussten, so wird er dafür bestraft. Und wie er sich nicht mit seinem Stand begnügt hat, so muss er gleichsam ehrlos und ekelhaft gemacht und von der Gemeinschaft der Menschen getrennt werden. So sehen wir, dass im Gesetz die beiden Dinge, Königtum und Priestertum, unvereinbar gewesen sind. Da es sich nun so verhält, so folgt daraus, dass es sich hier bei Melchisedek um ein einzigartiges und nicht zum Gesetz gehöriges Beispiel handelt. Zwar war zu jener Zeit das Gesetz noch nicht geschrieben und der Stamm Levi noch nicht auf der Welt, so dass er das priesterliche Recht und die priesterliche Würde hätte haben können. Aber trotzdem wird uns dieses Beispiel zur Lehre vorgehalten, damit das Gesetz in Kraft bleibe und die Kirche dadurch erbaut werde, wie es in dem angeführten Psalm gezeigt wird. Man muss also daraus schließen, dass hier nicht von Salomo oder einem andern König aus dem Stamm Davids die Rede ist, denn wenn diese Könige waren, so mussten sie sich des Priesteramtes enthalten, oder sie waren Abtrünnige. Wenn es also heißt, es werde ein König nach dem Bilde Melchisedeks und nach seinem Stand und nach seiner Ordnung kommen, so zeigt das, dass nicht von dem ganzen Geschlecht Davids die Rede sein konnte, das dem Fleisch nach von ihm abstammt, sondern nur von dem höchsten Priester, von unserem Herrn Jesus Christus. Es ist wahr, Er ist ein Sohn Davids und aus seinem Samen. Aber Er hat eine besondere, ja einzigartige Bedeutung. Er macht dem gesetzlichen Priesteramt ein Ende, weil Sein Reich geistlich ist. Damit macht Er auch jenem irdischen Reich ein Ende, das eine Zeitlang und bis zu Seiner Ankunft geordnet worden war. Wenn es nun ewig genannt wird, so deswegen, weil es in der Person des Erlösers fortgesetzt worden ist.

Königtum und Priestertum sind zwei Ämter, die der von Gott in Seinem Gesetz aufgestellten Regel nach bloß unserem Herrn Jesus Christus zukommen. So dürften wir nicht daran zweifeln, dass das Priestertum Jesu Christi schon Abram gezeigt worden ist, damit sein Glaube dadurch gleichsam befestigt und noch bekräftigt würde. Denn solange der Körper sich nicht gezeigt hatte, mussten wenigstens einige Schatten da sein. So haben die Väter, die auf die Erscheinung Jesu Christi warteten, dies als eine Stütze für ihren Glauben genommen. Sie haben, sage ich, Schatten und Bilder gehabt. Obgleich das nun bei uns anders ist, so ist es uns doch sehr von Nutzen; denn wir können daraus entnehmen, dass Jesus Christus nicht unvermittelt gesandt worden ist, und dass es nicht Gottes Wille ist, Ihn uns nur für einen Augenblick zum Erlöser zu schenken, denn Er war damals schon Erlöser, obgleich Er unsere Natur noch nicht angezogen hatte und obgleich Er noch nicht erschienen war und obgleich auch das Evangelium noch nicht verkündigt war. Daran sehen wir, dass der Glaube, den wir heute haben, weit und breit in Geltung steht, und dass das Evangelium zu aller Zeit galt, so dass auch die alten Väter auf unseren Herrn Jesus Christus gegründet waren und ihre Hoffnung des Heils auf Ihn gerichtet war. Kurz, das ist eine nicht zu verachtende Hilfe.

Aber wenn wir die Schatten mit dem Körper vergleichen, so sehen wir, dass unsere Lage viel besser ist, als die der Väter. Deshalb heißt es auch, selig seien die Augen, die sehen, was die Jünger gesehen haben (Matthäus 13.16). Denn viele Könige und Propheten haben brennend danach verlangt, eines solchen Anblicks teilhaftig zu werden, und haben doch das Erbetene nicht erlangt, sonder sie haben sich damit begnügt, fest darauf zu vertrauen, dass die Verheißung Gottes sich zur rechten Zeit erfüllen werde. So gewahren wir später, dass Jakob sterbend sagt (1. Mose 49.18): Ich werde dein Heil sehen, Herr, und verlasse mich darauf. Wenn wir also einen solchen Vergleich anstellen, so haben wir wohl Grund dazu, tapfer zu sein und alles zu verachten, was der Teufel vorbringen mag, um uns von der Reinheit des Evangeliums abzubringen, und müssen um so eifriger unseren Herrn Jesus Christus umfassen, da Er ja die volle und vollkommene Wirklichkeit dessen gebracht hat, was im Gesetz abgebildet war. Auf diese Weise sollen wir aus dieser Stelle Nutzen ziehen.