ABRAHAM-PREDIGTEN

1. Predigt über Melchisedek - Teil 2

 

TEIL II

Die Ursache des Krieges ist bereits erzählt worden. Abram hat, als er seinen Verwandten gefangen sah, zu den Waffen gegriffen. Man hatte ihm früher schon oft Anlass gegeben, sich zur Wehr zu setzen, aber aller Schaden und alle Verluste, die er erlitten hat, haben ihn nicht dazu veranlasst, Krieg zu führen. Er ist geduldig in alledem. Erst die Gefangennahme seines Verwandten bringt ihn auf. Hier könnte man fragen, ob es für Abram erlaubt war, zu den Waffen zu greifen; denn obgleich das Blut, wie das Sprichwort sagt, sich nicht verleugnen lässt, und obgleich er eine solche Zuneigung zu seinem Neffen gehabt haben mag, dass er ihn zurückholen musste, und ihm das nicht als Fehler angerechnet wurde, so ist es doch so, dass wir im allgemeinen die Regel zu beachten haben: Es ist einem Menschen, wer es auch sein mag, nicht erlaubt, zu den Waffen zu greifen. Gott alleine darf sie uns in die Hand geben. Er bewaffnet, wie Paulus sagt (Römer 13.1 ff), die Könige und die Fürsten, und wenn er feststellt, dass sie als Obrigkeit das Recht dazu haben, die Bösen zu strafen, so sagt er: Deswegen tragen sie das Schwert. Sie haben es sich in ihrem Amt nicht angemaßt und führen es nicht nach der Lust der Geschöpfe. Gott muss es also veranlassen. Deswegen habe ich gesagt, es dürfe keiner Macht oder Gewalt brauchen, es sei denn, er habe das Recht dazu von dem erhalten, dem es zukommt. Deswegen dürfen nur die Könige, die Fürsten und Magistrate zu den Waffen greifen, und nur mit ihnen darf man sich verbünden. Das ist ein Satz, der für uns feststehen muss. Denn wie wäre es, wenn jeder so zu Felde zöge, wenn irgendein Unrecht geschehen ist? Das ergäbe überall eine fürchterliche Verwirrung. Um uns gleichsam am Zügel zu halten und zur Geduld zu mahnen, führt Paulus außerdem an, was im Lied Moses (Römer 12.19, vgl. Mose 32.35) gesagt ist: Mein ist die Rache, spricht der Herr. Daraus folgerte er, dass wir dem Zorn Gottes Raum geben müssen. Gott nimmt das Amt der Rache für sich in Anspruch, wenn irgendeine Ungebühr oder irgendeine Untat geschehen ist; wie es das Amt Gottes ist, die Strafe dafür zu vollziehen. Wenn sich nun jeder darein mengen will, und wenn ein Privatmann sich einmischt, um Widerstand zu leisten, so ist es sicher, dass er damit Gott Seiner Ehre und Seines Rechtes beraubt, als ob er Ihn davon ausschließen wollte. Um nun dem Zorn Raum zu geben, d. h. wenn Gott sich als unser Beschützer erweisen und unsere Feinde züchtigen, wenn Er unsere Sache führen soll, so müssen wir dabei ganz ruhig bleiben! Denn wer selbst zu Waffen greift, der entzieht Gott, wie ich gesagt habe, das Gericht, das Er zum Schutz der Seinen für sich in Anspruch nimmt. Kurz: Privatleute sollen sich nicht nur jeder Gewalttat enthalten, sondern auch den stillen Mut zum Leiden haben, wenn es Gott gefällt, sie zu demütigen, und dabei sollen sie, wie Petrus uns ermahnt (1. Petrus 4.16), ihre Seele und ihr Leben dem befehlen, der sie beschützt und dem sie gehören. Indessen sehen wir doch, dass Abrams Handlungsweise gebilligt worden ist, denn Melchisedek sagt in seinem Segen, der ihm zuteil gewordene Sieg sei eine Fügung Gottes gewesen. Abram aber war Privatmann, er war weder König noch Fürst, ja er wohnte im Land Kanaan als ein Fremdling!

Aber wir haben zunächst zu beachten, dass er schon zum Herrn und Meister über jenes Land eingesetzt worden war. Wenn er es auch noch nicht innehatte, so besaß er doch das Recht darauf; denn es war ihm durch den Mund Gottes gesagt worden (1. Mose 13.14 ff): Siehe, alles das Land, das du siehst, will ich dir und deinem Samen geben. In Anbetracht dessen, dass Gott ihm bezeugt hat, Er schenke ihm den Besitz jenes Landes, darf Abram also nicht auf eine Stufe mit den andern gestellt werden. Wenn man einwendet, es sei nicht genug, wenn der das Recht darauf für die Zukunft hatte, so ist weiterhin noch zu beachten, dass das Beispiel, das wir hier lesen, dem des Mose (2. Mose 2.12) ähnlich ist. Denn als Mose den Ägypter tötete, war die Zeit der Erlösung des Volkes noch nicht gekommen, Es fehlten daran vierzig Jahre. Und doch hat Mose eine Hinrichtung mit dem Schwert vollzogen. Und das ist weder Unbesonnenheit noch Torheit gewesen, denn er hat Gottes Billigung dafür erhalten! Stephanus erzählt ausdrücklich (Apostelgeschichte 7.25), Mose habe gedacht, seine Brüder wüssten, dass Gott es ihm befohlen und dass Gott ihm dieses Amt zugewiesen habe. Mose gab also zu verstehen, dass er sich nicht von selber da eingemischt hatte. In der Tat, vierzig Jahre später, als Gott ihn ruft, da entschuldigte er sich; er führt alle möglichen Gründe und Ausflüchte an, um sich diesem Auftrag zu entziehen. Damit zeigt er, dass er jene Tat nicht in törichter Unbeherrschtheit begangen hatte, und Gott gibt dadurch zu erkennen, dass Er seinen Knecht bewahrt hatte, indem Er ihn bloß diese Tat begehen ließ, um ihn nachher, wenn die Zeit gekommen sei, zu größeren Dingen zu gebrauchen.

So hat Gott also seinem Knecht Abram für einmal Recht und Freiheit dazu geben können, die Gewalt des Schwertes zu führen, obgleich er noch nicht in den Besitz des ihm verheißenen Landes gesetzt war. Ferner ist auch zu beachten, dass Gott Seine Knechte oft besondere Wege gehen lässt, die man nicht verallgemeinern darf. Das Buch der Richter ist uns ein guter Spiegel für diese Tatsache. Denn soweit dieses Buch die Geschichte von Leuten erzählt, die Gott Seinem Volk als Helfer erweckt hat, soweit bezeugt es, dass einer nicht nur auf Grund einer öffentlichen Berufung mit dem Schwert bewaffnet und mit Autorität ausgestattet werden kann. Ist Gideon dazu gewählt worden? Sicherlich nicht. Simson und die andern ebenso wenig. Wir brauchen nicht drei oder vier von ihnen anzuführen; denn, wie ich schon sagte: Alle dort Genannten sind von Gott erwählt worden, sogar ohne dass sie daran dachten. Gideon zweifelt und ist in großer Verlegenheit. Es muss ihm von Gott ein klares Zeichen der Berufung gegeben werden; das Zeichen muss sich wiederholen, nachdem er das Verlangte erhalten hat; immer noch genügte es ihm nicht. Wir sehen also, dass er voll Schüchternheit ist. Aber Gott hat ihn erwählt und ihm den Auftrag gegeben, sein Volk zu befreien, so dass er mit dreihundert Männern eine große Schar, ja ein großes und mächtiges Heer geschlagen hat. Alles, was uns dort erzählt wird, darf nicht zur allgemeinen Regel gemacht werden. Das wäre eine törichte Folgerung für uns, und es wäre eine Narrheit, wenn wir sagen würden: „Gott hat seine Kirche von der Tyrannei der Bösen und Ungläubigen durch Jephtha, durch Simson, durch Gideon und Ihresgleichen erlöst; so folgt daraus also: Wenn wir die Kinder Gottes ungerechterweise unterdrückt sehen, so muss es uns erlaubt sein, zu ihrer Hilfe zu den Waffen zu greifen“. Dieser Gedankengang ist überaus töricht, denn wir müssten dazu den Geist jener Männer haben und behaupten, ihnen gleich zu sein, d. h. wir müssten Gewissheit darüber haben, dass Gott uns ebenso dazu ruft. Warum? Sie hatten, wie ich gesagt habe, eine besondere Erleuchtung, wie es auch bei einem allgemeinen Gesetz Ausnahmen geben kann. So müssen wir in allen Dingen beachten: Wenn Gott außerhalb der gewöhnlichen, in Seinem Wort begründeten Regel wirkt, so ist dies eine Besonderheit, die man nicht für sich in Anspruch nehmen darf. Denn es ist Sache eines Königs oder eines Rates, jemand ein gewisses Vorrecht zu erteilen. Der Grund dafür mag mir unbekannt sein; wenn ich jedoch das Gleiche tun will, wie der durch das Vorrecht Ausgezeichnete, so vergreife ich mich damit gleichsam an dem, der ihn aus dem Allgemeinen herausheben wollte. Denn die Autorität der Könige und Obrigkeiten, solches zu tun, was sie als gut für die Allgemeinheit erkennen, darf nicht angetastet werden. Dieser Unterschied ist vernünftig. So oft wir also sehen, dass es Gott gefallen hat, Seiner Kirche durch die zu Hilfe zu kommen, die Er als Diener der Erlösung und des von Ihm bereiteten Heils geordnet hat, sollen wir anerkennen, dass darin Hand Gottes auf besondere Wege gehandelt hat, und dass diese Menschen von Ihm erwählt, dass sie mit Seiner Autorität und Seiner Macht ausgerüstet worden sind. Aber zu sagen, jeder solle daran gehen, es ebenso zu machen, das wäre, wie ich gesagt habe, eine furchtbare Verwirrung. Das haben wir hinsichtlich dessen, was hier von Abram erzählt wird, festzuhalten: Gott wollte ihm damals schon ein Zeichen dafür geben, dass Er ihn nicht umsonst zum Herrn und Meister des Landes Kanaan eingesetzt hatte. Ferner hat Er ihm durch diesen Sieg auch einen Vorgeschmack davon gegeben, dass seine Nachfolger in das Land einziehen sollten, und dass sie, allen Mächten zum Trotz, überall den Sieg erringen würden. Denn wenn auch das Heer der gestern erwähnten Könige nicht dreißig- und vierzigtausend Mann stark war, so hatte Abram doch bloß die Leute seines Hauses, dreihundertachtzehn Knechte.