ABRAHAM-PREDIGTEN

1. Predigt über Melchisedek - Teil 5

 

TEIL V

Wir müssen das nun für uns anwenden, denn es ist eine überaus gefährliche Versuchung zu glauben, Gott habe keine Kirche mehr auf der Welt! Denn dann wäre notwendig seine Verheißung eitel und trügerisch. Wenn ein Mensch allein zu sein wähnt, so gerät er in die Irre und wird gleichgültig, bis er in Verzweiflung fällt. Wir sehen z. B., dass Elia sehr nahe daran war, als er sagte (1. Könige 19.10): Und was nun weiter? Denn sie haben deine Propheten getötet und haben ihre Götzenbilder überall aufgerichtet, und ich bin allein geblieben. Da war er wie ein armer, erschrockener Mensch nahe daran, in einen Abgrund zu stürzen. Aber dann tröstet ihn Gott und sagt ihm, es seien noch siebentausend, d. h. eine große Zahl, die er sich vorbehalten habe, die ihre Knie vor Baal nicht gebeugt hätten. So würde also, wie ich gesagt habe, unser Glaube erschüttert, ja ganz zerschlagen, wenn wir davon überzeugt wären, dass Gott die Welt so verlassen habe, dass es keine Kirche mehr darin gäbe. Deswegen wollen wir lernen, nicht nach dem Augenschein darüber zu urteilen, ob es eine Kirche gibt oder nicht, sondern wollen auf alle Berechnungen verzichten, weil wir wissen, dass Gott oft ein kleines Samenkorn im Verborgenen hält. So fällt das Korn bei einem großen Haufen Stroh nicht auf; das Stroh verdeckt das Korn, das nur in kleiner Menge vorhanden ist. So mag es also wohl auch manchmal den Anschein haben, als ob alle Gläubigen hienieden ausgestorben wären. Aber Gott hat unbegreifliche Mittel, um die Seinen zu erhalten, und Er muss immer Anbetung und Dienst empfangen. Man darf die Kirche nicht bei der großen Menge oder einer großen Schar suchen! Es ist nicht nötig, dass sie Glanz und Pomp entfaltet – sondern es soll uns genügen, dass Gott die Seinen kennt. So sollen wir auch von aller Ungerechtigkeit ablassen, damit wir Seinen Namen anrufen können, und damit wir mit denen verbunden bleiben, die unsere Brüder sind, auch wenn wir sie nicht kennen. Denn es steht bei Gott, ob Er uns durch den heiligen Geist bezeugen will, dass Er eine große Zahl von Gläubigen hat! So ist es nicht nötig, dass wir sie kennen. Deswegen will Er, dass sie da und dort zerstreut sind und sogar, dass sie vor den Menschen kein Ansehen haben, sondern verächtliche und verachtete Leute sind, kurz, dass man nichts oder nicht mehr von ihnen weiß, als wenn sie völlig unterdrückt wären. Dies ist die eine Seite.

Ferner enthält diese Stelle für uns die Mahnung, nicht der großen Menge nachzufolgen. Denn Melchisedek hätte sich dem Götzendienst ergeben können wie die andern, wenn er auf das gesehen hätte, was sie taten. Überall in seiner Umgebung wurde der Gottesdienst entheiligt. Trotzdem bleibt er bei dem, was er als gut und recht erkennt, wie Gott es ihn gelehrt hat. Es gab kein geschriebenes Gesetz, aber Gott hatte ihm, sowohl durch Noah als durch Sem, die Erkenntnis dessen gegeben, was zum Heil notwendig ist. Wenn nun ein so dürftiger Unterricht, wie ihn Melchisedek nur empfangen haben kann, ihn beständig in der Reinheit des Glaubens erhalten hat, welche Entschuldigung mögen wir dann haben, wo sich Gott doch unablässig bei uns hören lässt? Wir haben das Gesetz, welches uns zeigt, wie Er angebetet und verehrt werden will! Wir haben die Propheten, die es uns auslegen! Wir haben das Evangelium, das wie eine Trompete nicht bloß in unsere Ohren dringen, sondern alle unsere Gedanken und Neigungen durchdringen will! Gott hat also viele Mittel, um uns in der Reinheit Seines Dienstes zu erhalten. Wenn wir davon abweichen, wenn die Menschen uns davon abbringen, wenn wir das zum Vorwand nehmen, dass jedermann davon abweicht, wenn daraus eine solche Verkehrtheit entstanden ist, dass es üblich und gewöhnlich ist, sich unter die Ungläubigen und Götzendiener zu mischen – wie sehr muss uns da das Beispiel Melchisedeks verurteilen, der in solcher Beständigkeit und Festigkeit seines Glaubens beharrte? So wollen wir also lernen, unsere Augen auf Gott gerichtet zu halten, unsere Ohren gleichsam an Sein Wort zu binden und alle unsere Sinne aufmerksam zu erhalten, um niemals abgelenkt zu werden, so sehr wir auch hienieden wie auf einem Meer hin- und hergerissen werden und die Winde und Stürme blasen mögen. Und wenn ein ganzes Volk eine Religion behalten will, wenn ein großer König will, dass man so oder so handle, so wollen wir nichtsdestoweniger lernen, uns in allem an Gott allein zu halten. Er möge dafür sorgen, dass wir niemals von dem Weg abweichen, den Er uns durch Sein Wort gezeigt hat, und die Klarheit des Gesetzes und des Evangeliums möge immer vor uns sein, dass wir niemals von Ihm abirren, der unser Führer ist.