ABRAHAM-PREDIGTEN

3. Predigt über Melchisedek - TEIL V

 

TEIL V

Nun begnügt sich Abram nicht damit, dem König von Sodom einfach zu antworten, sondern er schwört und sagt, er habe deswegen schon geschworen, damit man sich nicht mehr lange besinne und um allem Weiteren einen Riegel vorzuschieben. Man soll nicht mehr sagen: ‚Du sollst es doch tun: es ist besser so‘. Er sagt: ‚Ich habe meine Hand zum lebendigen Gott erhoben‘. Diese Redensart, ‚die Hand erheben‘, weißt nun darauf hin, dass die Menschen, grob und irdisch wie sie sind, es nötig haben, sich beim Schwören durch irgendein Zeichen klar zu machen, dass sie damit gleichsam Gott zum Zeugen und Richter anrufen. Zwar ist das schon an sich klar genug in dem Wort enthalten, wenn wir sagen: ‚Ich bekenne vor Gott‘, oder: ‘Gott sei mein Zeuge‘, oder: ‚Gott strafe mich‘! Wenn wir solche Redensarten gebrauchen, so müssen sich uns die Haare auf dem Kopf sträuben, wenn wir dabei lügen oder betrügen. Denn Gott wird sich nicht selbst verleugnen, um unseren Lügen zuzustimmen. Seine Majestät müsste dadurch zunichte werden, denn Seine Wahrheit ist Ihm ebenso wesentlich, wie sein unveränderliches Wesen. Die Worte enthalten also an sich schon genug. Aber ohne äußere Hilfsmittel, die uns nachdrücklich bewegen und uns zugleich vor der Majestät Gottes beim Schwören erzittern lassen, sind wir so schwerfällig, dass es deswegen zu allen Zeiten unter den Menschen üblich gewesen ist, dabei die Hand zu erheben, und Gott hat ihnen das eingegeben. Man hat also beim feierlichen Eid die Hand erhoben, wie wenn wir beten. Wenn wir die Hand erheben, so ist das ebenso, als riefen wir Gott dazu, es möge Ihm gefallen, zu unserer Hilfe vom Himmel herabzusteigen, nicht um damit Seinen Ort oder Seine Stätte zu verändern, sondern um Seine Kraft so auszubreiten, dass wir fühlen: Sie ist uns in der Not gegenwärtig! So zeigen wir also durch die Zeremonie und die äußere Haltung, dass das Gebet uns mit Gott vereinigt, dass es uns durch Glauben den Zutritt zum Himmel eröffnet, und dass Gott auch seinerseits zu uns herabsteigt, um sich uns nahe zu zeigen. Dasselbe bedeutet es, wenn wir beim Eid die Hand emporheben. Damit sagen wir gleichsam: ‚Ich rufe Gott zum Zeugen an und will hier vor Ihm stehen, während ich rede. Wenn ich lüge, dann ist das so, als ob ich damit Seine Majestät ausgelöscht und verletzt hätte.‘ Nun verstehen wir, was diese Redensart bedeutet.

Achten wir weiter wohl darauf, dass der Eid der Gläubigen zwei- oder dreimal gewogen werden muss, denn die, die ihn bei jeder Gelegenheit benützen und bei jeder Gelegenheit den Namen Gottes in den Mund nehmen, zeigen, dass sie Ihn verachten. Wenn wir aber dem Namen Gottes die gebührende Ehrfurcht erweisen, so ist es sicher, dass wir Ihn nicht so willkürlich gebrauchen werden, um damit gleichsam Ball zu spielen. Wenn die Schwüre bei manchen Leuten so schnell aufeinander erfolgen, so erkennt man daran auch ihren Mangel an Frömmigkeit, ihre Weltlichkeit und ihre Gottferne. Nun wird man sich zwar hüten, das zuzugeben. Denn wenn man auf den Märkten und Straßen hört, dass da ohne Ende und unaufhörlich geschworen wird, und das tadelt, so wird man zur Antwort erhalten: ‚O, ich, ich höre darum nicht auf, Gott zu fürchten‘. Ja, aber sie wollen Ihn doch zum Lügner machen, denn unsere Gottesfurcht muss sich dadurch beweisen, dass wir Seinen Namen bloß in Nüchternheit und bei solchen Anlässen gebrauchen, wo Er von uns nicht entheiligt wird. In der Tat, wenn wir recht bedenken, worum es sich beim Eid handelt, so ist es gewiss, dass wir, indem wir ihn missbrauchen und verachten, immer Gott gegen uns herausfordern. Denn die sterblichen Menschen schwören, wie der Apostel sagt (siehe Hebräer 6.13 & 16), bei einem Größeren als bei ihnen selbst, und Gott schwört bei sich selbst, da es keinen Größeren gibt als Ihn. In jedem Eid muss also der Name Gottes vorkommen. Es ist wohl wahr, wenn man sagt: ‚Bei Gott‘, so sagt man nicht mit ausdrücklichen Worten, Gott möge strafen und rächen. Man sagt das nicht, aber es genügt, dass sein Name hier als der des Richters angeführt wird. Was für eine Redensart man also brauchen mag, Gott ist kein Sophist, und wir werden auch nichts damit gewinnen, wenn wir vor Ihm Ausflüchte machen wollen. Es steht fest, dass die Verwirrung immer auf unser Haupt zurückfallen wird. Wenn man übrigens dann einen Eid recht erklären will, so wird dabei sicherlich Gott genannt und als Zeuge angerufen. Nun kann Er nicht Zeuge sein, ohne Richter zu sein. Dann stehen dabei immer auch die Worte des Fluches, wie man sagt, d.h. ein Mensch erbietet sich, die verdiente Strafe auf sich zu nehmen, wenn er den Namen Gottes missbraucht. Deshalb heißt es auch in der Schrift so oft: Gott tue mir dies und das, d.h. Er strafe mich an Leib und Seele. An anderen Stellen wird das nicht ausdrücklich gesagt, sondern da steht bloß ein ‚Wenn‘ und die Rede wird abgebrochen, wie z.B. an der Stelle: Ich habe meine Hand zum lebendigen Gott erhoben, wenn ich davon nehme! Und was heißt das? Wir sollen verstehen: ‚Gott sei Richter und strafe mich, wenn ich lüge und meine Absicht ändere‘. Diese kurze und abgebrochene Redeweise zeigt: Wenn wir schwören, so muss es sein, als ob wir durch einen Zügel zurückgehalten würden, damit wir nicht durch Lässigkeit und Gleichgültigkeit den Zorn Gottes erregen. Denn es ist sicher, dass die, die so oft und nach Belieben schwören, auch allemal Meineide schwören. Das lässt sich nicht voneinander trennen. So kann man einem Menschen, den man bei Tisch und auf der Gasse immer wieder schwören sieht, ohne Zögern sagen: ‚Mein Freund, du missbrauchst nicht nur den Namen Gottes, sondern du bist auch meineidig, wenn der Name Gottes in deinem Mund so entheiligt wird‘. Wir müssen also darauf achten, uns nüchtern zu erhalten, wenn es sich darum handelt, den Namen Gottes so zu gebrauchen.

Aber hier könnte man fragen, ob Abram wegen einer so kleinen Sache schwören durfte, denn es heißt: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht vergeblich führen. Hätte er sich nicht damit begnügen können, einfach zu sagen: ‚Nein, ich werde nichts dergleichen tun. Du sollst das, was dir geraubt worden ist, aus meiner Hand empfangen, denn ich will mich nicht an deinem Gut bereichern.‘ Das wäre scheinbar genug gewesen. Aber wir kennen die Heuchelei der Menschen. Denn man mag aus Rechtschaffenheit Wunderdinge anbieten, und dabei meint das Herz derer, die so sprechen, gerade das Gegenteil. Deshalb hält man sich auch durch ein solches Angebot nicht für verpflichtet. Das sind, wie man sagt, überschwängliche und überflüssige Reden, denn wenn es auch eine gewisse Höflichkeit so will, so brauchen sie doch in keiner Weise glaubwürdig und aufrichtig zu sein, da die Menschen eben dazu verpflichtet sind. Deshalb musste Abram schwören. Ferner musste er sich auch von jeder Versuchung freimachen und sich innerhalb der Grenze seiner Aufgabe halten. Obgleich es ihm nicht verboten war, sich am Gut des andern zu bereichern, musste er sich einer solchen Freiheit enthalten und durch den Eid darauf verzichten, den er eingeschaltet hatte. Wir sehen also, dass Abram nicht ohne Grund sagt, er habe geschworen. Er tut es, um dem König von Sodom den Widerspruch abzuschneiden, und auch, um sich selbst ein Gesetz aufzuerlegen, das ihn zwingt, sich von etwas fernzuhalten, was man möglicherweise zum Anstoß genommen hätte, weshalb dann Gott bei den Ungläubigen vielleicht geringer geachtet worden wäre.