ABRAHAM-PREDIGTEN

3. Predigt über Melchisedek - TEIL IV

 

TEIL IV

Was nun die Tat Abrams betrifft, so sehen wir hier sein gutes Gewissen. Denn wenn ein Krieg ausgebrochen ist, so scheint alles erlaubt zu sein. So sagt sogar ein altes Sprichwort: ‘Im Krieg hören die Gesetze auf‘. Trotzdem besteht auch dann eine gewisse Ordnung, die ja noch nötiger ist als in Friedenszeiten. Es muss eine gewisse Herrschaft geben, damit ein Führer Gehorsam erhält, damit die Soldaten sich zu ihrer Fahnen halten, damit man sich nicht leichtsinnig der Gefahr aussetzt, damit man sich vor dem Feind in Acht nimmt. Diese Dinge also, die sich auf das Waffenwerk beziehen, mögen Regeln, Gesetze und Vorschriften haben. Dabei ist es aber unvermeidlich, dass viel Schreckliches geschieht, wenn ein Krieg ausgebrochen ist. Deshalb müssen auch alle, die die Absicht haben, zu Felde zu ziehen, dabei Schrecken empfinden, so oft sie daran denken, welche Folgen das mit sich bringt. Denn es müssen in einem solchen Durcheinander notwendig viele Unschuldige erschlagen werden, es müssen Häuser geplündert werden, es müssen viele zu Waisen und Witwen werden; ihr Gut wird auch solchen geraubt, die nichts dafür können; man nimmt es ihnen, wenn es die Notwendigkeit gebietet. Besonders dann, wenn man Mangel an Kriegsbedarf hat. Und wenn der Bauch daran zu denken zwingt, dass möglicherweise Hunger und Mangel einkehren, so wird man überall das Nötige holen. So bringt der Krieg immer Verwirrung mit sich. Und die, die in den Krieg gehen, mögen überdies zwar sehr rechtmäßige Gründe dazu haben und sogar gleichsam dazu gezwungen sind. Es steht doch fest, dass sie sich dabei immer wieder vieles erlauben und sich sehr gehen lassen. Denn sie werden sagen: ‚Wenn mein Feind mich besiegt hätte, was hätte er getan? Hätte er mich oder die Meinen geschont? Wenn er gesiegt hätte, so hätte er sicher alles geplündert, alles wäre zerstört worden! Und deshalb: Warum soll ich mich nicht ebenso verhalten?‘ So lassen die Kriegführenden sich gehen und gestatten sich eine solche Zügellosigkeit, dass sie Plündern und Rauben für nichts Schlechtes halten! Aber wir sehen doch, wie Abram sich betragen hat!

Zwar haben die Kinder Israel, als sie ins Land Kanaan einzogen, alles verwüstet. Warum? Es war ihnen von Gott befohlen (4. Mose 21. 2. &. 5; 5. Mose 13.16; 1. Samuel 15.3). Sie konnten nicht anders handeln. Sie sind sogar mit großer Strenge bestraft worden, als sie die Einwohner des Landes geschont haben. Gott hatte ihnen auch gedroht (4. Mose 33.55), wenn sie einige übrig ließen, so würden diese sie wie Dornen in die Seite stechen, ja ihnen die Augen auskratzen. Aber hier liegt ein besonderer Grund vor. Denn Abram war nicht von Gott bewaffnet worden, um die Stadt Sodom und ihre Nachbarstädte von ihren Einwohnern zu säubern oder über sie zu herrschen. Er hat bloß seinen Neffen Lot wieder befreit, obgleich Gott dadurch sich auch der Sodomiter erbarmt hat, weil Er die Ihnen bereitete Rache noch eine kurze Zeit aufschieben wollte. Abram kennt also den Grund, aus dem er zu den Waffen gegriffen hatte. Deshalb hält er sich auch zurück und sucht nicht scharfsinnig Ausflüchte wie die, die den Gewinn wollen, sondern erklärt, er wolle nichts davon haben. Trotzdem kann er doch nicht dafür sorgen, dass Aner, Eskol und Mamre nicht ihren Teil nehmen, denn sie standen nicht unter ihm oder unter seiner Herrschaft. Sie waren gleichsam aus Freundlichkeiten mitgekommen, da sie seine Freunde und Verbündete waren; sie haben ihn unterstützt, damit er seinen Neffen Lot zurückholen könne; er lässt ihnen also ihr Rech.

So sehen wir einerseits, von welcher Mäßigung Abram war. Und andererseits sehen wir: Obgleich er nicht einer Nadel Wert genommen hat, so hat er es doch nicht erreichen können, dass kein Verlust und kein Schaden entstand, und dass die, die in seiner Begleitung waren, nicht ihren Teil der Beute nahmen. Das soll noch deutlicher machen: wenn der, der Krieg führt, wie ein Engel im Paradies wäre, wenn er Gold und Silber verachtete und lieber stürbe, als auch bloß einen Heller unter dem Vorwand an sich nähme, er habe sein Leben eingesetzt, so bringt doch trotzdem der Krieg an sich immer viel Ungerechtigkeit oder selbst Ausschweifungen mit sich. Obgleich man sagen wird, das sei erlaubt, so steht doch fest, dass Schaden angerichtet werden muss, und dass notwendigerweise viele Leute um ihren Verlust weinen werden. Dem einen wird sein Haus verbrannt, der andere wird geplündert, man mag ihn bis aufs Bettstroh ausrauben, dem andern wird man Waren wegnehmen, so dass er nachher bitteren Mangel daran hat. Es muss also immer viel Tränen und viel Seufzen geben, wenn ein Krieg ausbricht. So muss man auch immer dazu ermahnt werden, sich gleichsam die Hände zu binden und sich wohl davor zu hüten, sich in solche Verwicklungen einzulassen, denen man nicht entrinnen kann, selbst wenn man sich wie die Engel beherrschen könnte. Die nun, die sich gerechterweise verteidigen und das tun müssen, sollen sich, mit einem Wort gesagt, doch wohl in Acht nehmen, und sich so betragen, dass sie unserem Vater Abram wenigstens nachfolgen. Wenn sich Übergriffe, Härten und Verwüstungen nicht vermeiden lassen, so sollen sie wenigstens daran festhalten, dass der Krieg nicht nach Willkür und der Beute wegen geführt wird, sondern als gerechte Verteidigung eines Landes, wenn es in böswilliger Gewalttat überfallen wird. Denn man wird sich gegen einen König und gegen einen Fürsten verteidigen, wenn sie Leute anzugreifen beabsichtigen, die Frieden halten und bloß in Ruhe leben wollen. Ebenso hüte man sich immer davor, sich selbst wichtig zu machen und nach der Habe des anderen zu begehren. Oder wenn man zu den Waffen greift, so achte man wohl auf das hier über Abram Berichtete, und jedermann richte sich danach. Denn der Heilige Geist hat ihn nicht bloß deswegen loben wollen, weil er ohne Geiz war und Gold und Silber verachtete, sondern er hat ihn uns wie einen Spiegel vorgehalten, damit wir daran ersehen, welcher Regel wir folgen müssen, um es ebenso zu machen. Wir könnten leichtfertige Entschuldigungen vorbringen, um uns zu decken, wenn wir nach allen Seiten hin geplündert und geraubt haben, aber all das wird uns nicht helfen, wenn wir uns nicht nach dem Beispiel unseres Vaters Abram richten. Das also haben wir uns über diese Stelle zu merken.