ABRAHAM-PREDIGTEN

3. Predigt über Melchisedek - TEIL II

 

TEIL II

Nun hat Gott das aus zwei Gründen so gefügt. Erstens, damit sie weder von dem Dienst abgelenkt würden, der ihnen übertragen war, noch auch von der Lehre. Denn Gott hat die Priester unter dem Gesetz nicht dazu erwählt, bloß Zeremonien zu vollziehen, sondern sie hatten noch den Auftrag, von dem im Propheten Maleachi die Rede ist (Maleachi 7.2). Er setzte sie als Seine Gesandten ein; an sie sollte man sich wenden, um eine wahre Erkenntnis und eine reine Lehre über das Gesetz zu erhalten. Damit also die Priester dem Tempeldienst obliegen und das Volk lehren könnten, war ihnen der Zehnte zugewiesen. Aus demselben Grund waren sie auch über das ganze Land zerstreut. Sie hatten keinen eigenen Bezirk. Sie konnten nicht sagen, sie müssten in einer bestimmten Gegend wohnen wie die andern, sondern sie waren hier und dort verstreut, so dass es keinen Fleck des Landes gab, wo Gott nicht Seine Boten und Sachwalter hatte, um das Volk im Zügel zu halten. Das ist, sage ich, der Grund, warum Gott gewollt hat, dass sie den Zehnten empfingen und sich nicht mit dem Ackerbau beschäftigten. Es gibt noch einen zweiten Grund: Wenn sie das Land besessen hätten, so wäre Gott nicht mehr als Herr und Meister anerkannt worden, wie es der Fall war, solange die levitischen Priester gleichsam Seine Steuerbeamten waren, solange Er sie in Seinem Namen schickte, um den Zins und den Tribut einzufordern, die Ihm von dem Land zukamen. Obgleich die Kinder Israel auch empfingen, was ihnen als Nachfolgern und Erben ihres Vaters Abram zukam, so war ihnen doch Gott gleichsam dazu erschienen, um zu zeigen, dass das Land Ihm gehörte. Er hatte es sich als Sein Eigentum vorbehalten, und sie besaßen es nur unter der Bedingung, dass sie ihr Gut von Ihm annahmen und das so durch die Tat zeigten. Dazu teilte man auch den Armen von diesem Zehnten mit. Es heißt ja nicht, die Priester müssten alles verbrauchen, sondern sie sollen sich selbst zehnten (4. Mose 18.26ff). Damit zeigten sie, dass sie nicht von Brot verpflichtet sind, das sie essen, und dass alles bloß aus Seiner Güte hervorgeht. So war der Zehnte nach dem Gesetz eine Besonderheit Israels.

Nun ist freilich der Zehnte bei den Heiden selbst für Könige, Fürsten und Herren ziemlich allgemein gewesen. Wir sehen aus der profanen Geschichte, dass man ihn gefordert hat, ja sogar, dass man in manchen Ländern entsprechend der dort herrschenden Fruchtbarkeit noch mehr gefordert hat. Denn manches Land ist so fruchtbar und trägt so viel, dass die, die das Land bebauen, mit der Bezahlung eines Achtels nicht so belastet sind, wie die anderen durch ein Zehntel. Wie dem auch sein mag, das Wort ‚der Zehnte‘ ist sehr verbreitet gewesen und allen Völkern gemeinsam, und die Fürsten und Herren haben, wie ich gesagt habe, seit der Annahme des Evangeliums einen Teil des Zehnten dazu verwendet, die Diener am Wort zu ernähren, wie das auch ganz recht ist. So sagt Paulus (1. Korinther 9.13ff), wenn die Diener des Altars im Alten Testament ernährt worden seien, so sollen die ebenso gut unterhalten werden, die heute Gott auf eine bessere Art opfern, d.h. die Ihm die Seelen werben, um sie Ihm zum Opfer darbringen. Obgleich nun Gott nichts Besonderes darüber bestimmt hat, wie oder aus welchen Einkünften man sie ernähren soll, so ist das doch durch das Gesetz bestimmt. Seit also Gott durch die Predigt des Evangeliums erkannt worden ist, hat man einen Teil des Zehnten dazu verwendet. Daran sehen wir auch die Falschheit des Papstes und all der Seinen. Denn wenn sie in ihren Canones vom Recht des Zehnten handeln, so fassen sie es so auf, als ob es auf sie übertragen worden wäre, nachdem Jesus Christus dem Priestertum Levis ein Ende gesetzt hat. Das sind lauter Lügen und Fälschungen; sie fälschen damit die Heilige Schrift und verderben sie in gottloser Weise. Denn wir sehen im Gegenteil, dass man lange davon abgekommen war und vergessen hatte, was es heißt, den Zehnten auf Grund des Gesetzes Moses zu zahlen. Man bezahlte ihn vielmehr immer entweder dem Kaiser oder irgendwelchen besonderen Herren. Aber da jetzt die Sache so geordnet ist, so halte man sich an die von Paulus aufgestellte Regel: Du sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, der da drischt, vorausgesetzt, dass kein Missbrauch dabei ist, und dass man nicht gegen alle Wahrheit den Glauben erweckt, dass sei aus der Heiligen Schrift abgeleitet; man halte es vielmehr als eine weltliche Ordnung! Nach noch stärkerem Recht ist es unbillig, wenn man die ihres Essens und Trinkens beraubt, die die Lehre vom Heil verkündigen, denen ein so wichtiger Beruf aufgetragen ist, sondern man soll sie wie billig bezahlen. Wenn nun der Zehnte und dergleichen recht angewandt werden, so ist es nicht nötig, im Einzelnen danach zu fragen, wofür er verwendet wird. Es gibt solche Phantasten, die die ganze Welt umkehren möchten. Sie sagen: ‚Oh, jetzt ist nicht die Zeit, den Zehnten zu bezahlen. Da man die Sache missbraucht hat, so ist es nicht mehr nötig, dass es dabei bleibt.‘ Man müsste also nach ihrem Reden alles umstürzen, denn ihnen scheint das Christentum darin zu bestehen, dass man der Sonne und dem Mond andere Farben gibt! Aber wie ich gesagt habe, wenn es etwas zu besser gibt, wenn eine falsche, von den Papisten eingeführte Auffassung vorhanden ist, so soll damit aufgeräumt werden. Unterdessen halte man sich an das, was wohl angeordnet ist: Der Zehnte und dergleichen Dinge dienen dazu, die Armen zu ernähren und die Diener der Kirche zu unterhalten; diese Güter sind ihrem rechtmäßigen Gebrauch zurückgegeben worden; es ist keine Rede davon, dass unersättliche Verschwender alles verschlemmen; man vertut sie nicht mit überflüssigen Dingen, mit Pomp, mit Trinkereien und anderen Ausschweifungen, sondern man weiß, dass das heiliges Gut ist, das dem Gebrauch der Kirche vorbehalten bleiben muss, um einerseits die Diener Gottes und Seines Volkes zu unterhalten. Das musste im Vorbeigehen berührt werden, sofern es sich um das Recht des Zehnten handelt. Gehen wir nun zum Folgenden über.