DIE DORDRECHTER LEHRSÄTZE

Erstes Lehrstück der Dordrechter Lehrsätze - Artikel 10-18

 

Artikel 10

Der Grund dieser gnadenreichen Erwählung ist allein das Wohlgefallen Gottes, und sie besteht nicht darin, dass Er bestimmte Eigenschaften oder Handlungen des Menschen aus allen möglichen Bedingungen zur Bedingung des Teils auserwählte, sondern darin, dass Er gewisse bestimmte Personen annahm. Wie geschrieben steht: Ehe die Kinder geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten usw., ward zu ihr (Rebekka) gesagt: Der Größere soll dienstbar werden dem Kleineren. Wie denn geschrieben stehet: Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehasst. (Röm. 9.11-13). Und: Es wurden gläubig, wie viele ihrer zum ewigen Leben verordnet waren (Apg. 13.48).

 

Artikel 11

Und wie Gott selbst der Höchste an Weisheit, unveränderlich, allwissend und allmächtig ist, so kann auch die von Ihm geschehene Erwählung weder unterbrochen, noch verändert, noch widerrufen oder abgebrochen werden, noch können die Erwählten verworfen, noch kann ihre Zahl vermindert werden.

 

Artikel 12

Von dieser ihrer ewigen und unveränderlichen Erwählung zur Seligkeit erhalten die Erwählten zu seiner Zeit, wenn auch in verschiedenen Abstufungen und in ungleichem Maße Gewissheit. Und zwar nicht, indem sie die Geheimnisse und Tiefen Gottes neugierig erforschen, sondern indem sie die untrüglichen Früchte der Erwählung, die im Worte Gottes bezeichnet sind (als da sind: der wahre Glaube an Christum, kindliche Furcht Gottes, göttliche Traurigkeit über die Sünde, Hunger und Durst nach der Gerechtigkeit usw.) mit geistlicher Freude und heiligem Vergnügen in sich wahrnehmen.

 

Artikel 13

Aus der Wahrnehmung und Gewissheit dieser Erwählung entnehmen die Kinder Gottes täglich größere Ursache, sich vor sich selbst zu demütigen, die Tiefe seiner Barmherzigkeit anzubeten, hat, wiederum inbrünstig zu lieben. So weit ist es davon entfernt, dass sie durch diese Lehre von der Erwählung und durch die Betrachtung derselben in der Beobachtung der göttlichen Gebote lässiger und fleischlich sicher gemacht würden. Dies pflegt aber wohl nach gerechtem Gerichte Gottes denen zu widerfahren, welche, indem sie sich der Gnade der Erwählung leichtsinnig vermessen oder unnütz und leichtfertig über sie schwatzen, auf den Wegen der Auserwählten nicht wandeln wollen.

 

Artikel 14

Wie aber diese Lehre von der göttlichen Erwählung nach dem weisen Rat Gottes durch die Propheten, Christum selbst und die Apostel im Alten und im Neuen Testament gepredigt ist, und danach in den heiligen Schriften niedergelegt und überliefert ist, so ist sie auch heute an seinem Orte und zu seiner Zeit in der Kirche Gottes (der sie ganz besonders zugeneigt ist) vorzutragen, und zwar mit dem Geiste der Unterscheidung, gottesfürchtig und fromm, ohne die Wege des Höchsten neugierig zu ergründen, zur Ehre des heiligen Namens Gottes und zum lebendigen Troste seines Volkes (Apg. 20.27; Röm. 12.3 und 11.33 – 34; Hebr. 6.17 – 18).

 

Artikel 15

Diese ewige und unverdiente Gnade unserer Erwählung macht die Schrift uns am meisten herrlich und teuer dadurch, dass sie weiter bezeugt, wie nicht alle Menschen erwählt, sondern einige nicht erwählt oder in der ewigen Erwählung Gottes übergangen sind. Es sind dies diejenigen, über welche Gott nach seinem durchaus freien, gerechten, untadeligen und unveränderlichen Wohlgefallen beschlossen hat, sie in dem gemeinsamen Elende, in das sie sich durch ihre eigene Schuld gestürzt haben, zu lassen, und sie mit dem seligmachenden Glauben und der Gnade der Bekehrung nicht zu beschenken, sondern sie auf ihren eigenen Wegen und unter seinem gerechten Gerichte zu belassen, und endlich nicht nur wegen ihres Unglaubens, sondern auch wegen ihrer übrigen Sünden zur Erweisung seiner Gerechtigkeit zu verdammen und ewig zu strafen. Und dies ist der Ratschluss der Verwerfung, der Gott keineswegs zum Urheber der Sünde (was zu denken eine Gotteslästerung ist), sondern zu ihrem furchtbaren, untadeligen und gerechten Richter und Rächer macht.

 

Artikel 16

Diejenigen, welche den lebendigen Glauben an Christum oder die sichere Zuversicht des Herzens, den Frieden des Gewissens, den Eifer des kindlichen Gehorsams, den Ruhm in Gott durch Christum, in sich noch nicht kräftig fühlen, aber doch die Mittel, durch Gott dies in uns zu wirken verheißen hat, gebrauchen, diese müssen, wenn sie von der Verwerfung hören, sich nicht entmutigen lassen, auch sich nicht zu den Verworfenen zählen, sondern im Gebrauch der Mittel eifrig fortfahren und die Stunde der reichlicheren Gnade heiß ersehnen und ehrfurchtsvoll und demütig erwarten. Weit weniger noch brauchen sich diejenigen durch die Lehre von der Verwerfung schrecken zu lassen, welche ernstlich wünschen, sich zu Gott zu bekehren, Ihm allein zu gefallen und von dem Leibe des Todes erlöst zu werden, trotzdem aber auf dem Wege der Gottseligkeit und des Glaubens noch nicht so weit, wie sie wollen, kommen können. Denn der barmherzige Gott hat ja verheißen, Er wolle den glimmenden Docht nicht auslöschen und das zerstoßene Rohr nicht zerbrechen. Denen aber gereicht diese Lehre mit Recht zum Schrecken, welche Gottes und unseres Heilandes Jesu Christi nicht achtend, sich den Sorgen der Welt und den Wollüsten des Fleisches völlig überlassen, solange sie sich nicht ernstlich zu
Gott bekehren.

 

Artikel 17

Da wir über den Willen Gottes aus seinem eigenen Worte urteilen müssen, welches bezeugt, dass die Kinder der Gläubigen heilig sind, freilich nicht von Natur, sondern Kraft des Gnadenbundes, in welchen sie mit ihren Eltern eingeschlossen werden, so dürfen gottselige Eltern nicht zweifeln an der Erwählung und Seligkeit ihrer Kinder, die Gott in der Kindheit aus diesem Leben abruft ( 1.Mose 17.7; Apg. 2.39; 1.Kor. 7.14).

 

Artikel 18

Demjenigen aber, der gegen diese Gnade der unverdienten Erwählung und die Strenge der gerechten Verwerfung murrt, setzen wir die Worte des Apostels entgegen: Ja lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? (Röm. 9.20). Und jenen Ausspruch unseres Erlösers: Habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem Meinen? (Matth. 20.15). Wir aber rufen, indem wir diese Geheimnisse ehrfurchtsvoll anbeten, mit dem Apostel aus: Oh, welch eine Tiefe des Reichtums, beides der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen? Oder wer hat Ihm etwas zuvor gegeben, das Ihm werde wieder vergolten? Denn von Ihm und durch Ihn und zu Ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit. Amen. (Röm. 11.33-36).