RÖMER

Römer Kapitel 9 Teil V

Römer 9.19-21

So sagst du zu mir: Was beschuldigt er denn uns? Wer kann seinem Willen widerstehen? Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich also? Hat nicht ein Töpfer Macht, aus einem Klumpen zu machen ein Gefäß zu Ehren und das andere zu Unehren?

 

So sagst du zu mir: Was beschuldigt er denn uns? Wer kann seinem Willen widerstehen? – Hier ist der Punkt, an welchem das Fleisch in den heftigsten Aufruhr gerät, wenn es vernimmt, dass der Untergang der Gottlosen auf Gottes Beschluss und Willen zurückgeführt werden soll. Der Apostel weiß sehr gut, dass die Mäuler der Gottlosen kräftig wider Gottes Gerechtigkeit bellen und sich nicht leicht stopfen lassen. So kommt er noch einmal ihrem Widerspruch zuvor. Was sie zu sagen haben, kleidet er in eine besonders zutreffende Form: Sie begnügen sich nicht mit ihrer eignen Verteidigung, sondern machen geradezu Gott an ihrer statt zum Angeklagten. Sie wälzen ihre Schuld auf Ihn, und dann entrüsten sie sich über Seine Macht. Sie müssen ja schließlich stille halten, aber sie tun es zähneknirschend und widerwillig; ihre Verdammnis empfinden sie als eine Vergewaltigung: Hat Gott ein Recht, uns zu zürnen? Hat Er uns doch selbst zu dem gemacht, was wir sind; denn Er tut nach Gutdünken, was Er will. Wenn Er uns ins Verderben stößt, was straft Er dann anders, als was Er selbst in uns getan hat? Wir können nicht mit Ihm streiten. Er bleibt stärker als aller Widerstand. Also Sein Gericht, welches das Verderben über uns verhängt, ist ungerecht, und Seine zügellose Macht missbraucht Er wider uns. – Was sagt nun Paulus zu solchen Reden?

Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? – Diese erste Antwort schlägt die Lästerung einfach mit einem Hinweis auf die dem Menschen gebührende Stellung nieder. Dann aber folgt eine zweite, welche Gottes Gerechtigkeit gegen jede Anklage schützt. Dabei ist offensichtlich, dass Paulus einen höheren Grund als Gottes Willen keinesfalls in Betracht zieht. Er hätte ja sagen können, dass der Unterschied zwischen den Auserwählten und Verworfenen seine gerechten Ursachen habe. Warum gebraucht er nun eine solche kurze Widerlegung nicht, sondern rückt Gottes Willen an die höchste Stelle, so dass dieser alle andern Gründe ersetzen muss? Wenn die Annahme, auf welcher der gemachte Einwurf ruht, falsch gewesen wäre, dass nämlich Gott nach Seinem Wohlgefallen verwirft und erwählt, je nachdem Er einen Menschen Seiner Gnade nicht würdigt oder ihn aus freiem Erbarmen liebt, so hätte Paulus sicher nicht versäumt, sie zu widerlegen. Die Gottlosen erheben den Einspruch, dass von einer Schuld der Menschen nicht mehr die Rede sein könne, wenn über ihr Heil oder Verderben einfach Gottes Wille entscheidet. Sagt nun Paulus etwa, das sei gar nicht so? Im Gegenteil! Seine Antwort prägt bloß noch einmal ein, dass Gott über die Menschen beschließt, was Er will. Aber vergebens werden die Menschen zu zornigem Kampfe aufstehen, weil Gott ein Recht hat, Seinen Geschöpfen ein Los zu bestimmen, welches Er will. Nun sagt man freilich, dem Paulus seien hier die Gründe ausgegangen, so fange er an zu schelten. Doch das ist eine Lästerung des Heiligen Geistes. Denn was Paulus allerdings sagen konnte, um Gottes Gerechtigkeit zu retten, wollte er schon jetzt am Anfang aussprechen, weil er nicht richtig verstanden worden wäre. So hält er auch diesen zweiten Grund in solchen Schranken, dass er eine volle Verteidigung noch nicht ergibt. Um die hier gegebene Darstellung der Gerechtigkeit Gottes recht zu erwägen, dazu bedarf es noch immer frommer Demut und eines ehrfürchtigen Sinnes. Paulus tut, was am meisten nötig war: Er erinnert den Menschen an seine Stellung Gott gegenüber. Es ist, als riefe er uns zu: Da du ein Mensch bist und weißt, dass du Staub und Asche bist, warum streitest du mit Gott über eine Sache, deren Verständnis dir immer zu hoch bleiben wird? In Summa: Der Apostel sagt nicht, was er hätte sagen können, sondern was in Anbetracht unseres dürftigen Geistes am nötigsten war. Freche Menschen lästern zwar, dass Paulus die göttliche Erwählung und Verwerfung einfach behaupte, dass er aber einen wirklichen Grund zur Lösung der Schwierigkeit nicht beibringe und, vom Heiligen Geiste verlassen, nichts weiter zu sagen wisse. Als ob uns sein Stillschweigen nicht vielmehr eine Mahnung wäre, ein Geheimnis, welches unser Verstand nicht fasst, demütig anzubeten! Paulus weist die Keckheit der menschlichen Neugier in ihre Schranken. Wir sollen wissen, dass Gott nur deshalb zu reden aufhört, weil Er weiß, dass wir die Fülle Seiner Weisheit nicht mit unserm Maße zu messen vermögen. Er schont unsere Schwachheit und will uns zur Bescheidenheit und Nüchternheit anleiten.

Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich also? – Immer wieder drängt Paulus darauf, dass wir den Willen Gottes, wenn wir Seinen Grund auch nicht durchschauen, für gerecht halten sollen. Paulus zeigt, wie man Gott Seines Rechtes berauben würde, wenn man Ihm die freie Verfügung über Seine Kreaturen absprechen wollte. Das klingt allerdings für viele Ohren zu hart. Mancher glaubt auch, dass man Gott in ein schlechtes Licht setzt, wenn man Ihm solche Freiheit zuschreibt. Als ob diese Leute mit ihrer Krittelei bessere Theologen wären als Paulus, welcher den Gläubigen als Regel der Demut vorhält, dass es gilt, Gottes Macht zu verehren, nicht aber nach dem eignen Maßstabe zu messen. In der Abwehr der hochmütigen Auflehnung wider Gott bedient sich der Apostel eines sehr passenden Bildes. Dieses wird nicht aus Jeremia 18.6, sondern aus Jesaja 45.9 entnommen sein. Denn bei Jeremia steht nur, Israel sei in Gottes Hand, welche um ihrer Sünde willen das Volk zerbrechen könne wie der Töpfer ein tönernes Gefäß. Jesaja aber enthüllt eine viel tiefere Wahrheit: „Weh dem, der mit seinem Schöpfer hadert, eine Scherbe wie andere irdene Scherben. Spricht auch der Ton zu seinem Schöpfer: was machst du?“ usw. Wenn der staubgeborene Mensch seinen Abstand von Gott ermisst, so hat er sicher keinen Grund, sich höher zu dünken als ein Töpfergefäß.

Hat nicht ein Töpfer Macht, aus einem Klumpen zu machen ein Gefäß zu Ehren und das andere zu Unehren? – Hier steht der Grund, weshalb das Gebilde nicht mit seinem Bildner streiten darf. Denn alles, was der Bildner tut, ist sein eigenstes Recht. Dabei versteht Paulus unter „Macht“ nicht bloß die hinreichende Fähigkeit und Kraft, vermöge deren der Töpfer ausführen kann, was er will. Er denkt hauptsächlich an das ungeschmälerte Recht, welches er besitzt. Nicht von einer regellosen Kraftwirkung Gottes ist die Rede – eine solche gibt es nicht – sondern von Seinem innerlich begründeten Recht. Bei der Anwendung des Gleichnisses legt Paulus offenbar das Gewicht auf folgenden Gedanken: Wie der Töpfer dem Ton nichts nimmt, er mag ihm nun eine Gestalt geben, welche er will, so nimmt auch Gott dem Menschen nichts, Er mag ihn für eine Lage bestimmen, welche Er will. Wir dürfen dabei nur nicht vergessen, dass man Gott ein Stück Seiner Ehre rauben würde, wollte man Ihm nicht die Gewalt zuerkennen, der Herr über Leben und Tod zu sein.