RÖMER

Römer Kapitel 9 Teil IV

Römer 9.14-18

Was wollen wir denn hier sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne! Denn er spricht zu Mose: „Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und welches ich mich erbarme, des erbarme ich mich.“ So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Denn die Schrift sagt zum Pharao: „Ebendarum habe ich dich erweckt, dass ich an dir meine Macht erzeige, auf dass mein Name verkündigt werde in allen Landen.“ So erbarmt er sich nun, welches er will, und verstockt, welchen er will.

 

Was wollen wir denn hier sagen? – Das Fleisch kann Gottes Weisheit nicht vernehmen, ohne sofort eine Reihe von widerspenstigen Fragen aufzuwerfen und von Gott gewissermaßen Rechenschaft zu fordern. So oft der Apostel also irgendein besonderes Geheimnis verhandelt, räumt er stets die Schwierigkeiten aus dem Wege, in welchen sich die Gedanken der Menschen zu verwickeln pflegen. Namentlich die Lehre von der Erwählung bietet ja mannigfaltige Anstöße. Der menschliche Geist verläuft sich hier in lauter Irrwege, aus welchen er den Ausweg nicht mehr findet. Wie ist nun da zu helfen? Nicht etwa dadurch, dass man von dieser Lehre grundsätzlich schweigt. Denn da der Heilige Geist uns nie eine überflüssige Lehre vorträgt, so birgt auch diese Lehre von der Erwählung ihren großen Nutzen, wenn man sie nur innerhalb der Schranken des Wortes Gottes verhandelt. Wir wollen also nichts zu wissen begehren, als was die Schrift lehrt: Wo Gott Seinen heiligen Mund schließt, da wollen auch wir auf den Versuch verzichten, unsern Weg noch weiter fortzusetzen. Doch wir sind Menschen und fassen von Natur viele törichte Gedanken; also wollen wir hören, was Paulus zu deren Abwehr sagt.

Ist denn Gott ungerecht? – Unglaublicher Vorwitz des menschlichen Geistes, lieber Gott der Ungerechtigkeit zu zeihen als die eigene Blindheit zuzugestehen! Das Fleisch hält es für ungerecht, dass Gott den einen übergeht, den andern annimmt. Um diesen Anstoß zu beheben, verhandelt Paulus die Frage in zwei Abschnitten: Zuerst spricht er von den Erwählten, dann von den Verworfenen; bei den ersteren sollen wir Gottes Barmherzigkeit ins Auge fassen, bei den letzteren Sein gerechtes Gericht anerkennen. Zunächst gibt Paulus seinen Abscheu gegen den Gedanken zu erkennen, dass Gott ungerecht sein könne: Das sei ferne! Dann geht er zur ordnungsmäßigen Besprechung der angegebenen zwei Teil über:

Denn er spricht zu Mose. – Was zuerst die Erwählten angeht, so kann von einer Ungerechtigkeit Gottes keine Rede sein, denn ihnen lässt Gott nach Seinem Wohlgefallen Gnade zuteilwerden. In diesem Sinne beruft sich der Apostel auf die Antwort, welche Mose vom Herrn empfing, als er für das Heil des ganzen Volkes Fürbitte tat: „Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und welches ich mich erbarme, des erbarme ich mich.“ Mit diesem Spruch erklärt der Herr, dass Er keinem Sterblichen etwas schuldet, dass, was Er gibt, ein Geschenk der Gnade ist; weiter, dass Er die Freiheit hat, Seine Gnade zu erweisen, welchem Er will; endlich, dass sich eine höhere Ursache als Sein Wille nicht denken lässt, wenn Er nicht allen, sondern nur bestimmten Menschen Seine Wohltaten und Sein Wohlwollen zuwendet. Denn die Worte klingen so, als wolle Gott sagen: Wenn Ich einmal beschlossen habe, mich eines Menschen zu erbarmen, so werde Ich ihm dieses Erbarmen nie wieder entziehen; und mit ewiger Gnade werde ich über denen walten, die ich einmal begnadigt habe. Als oberste Ursache Seiner Gnade bezeichnet also Gott hier den freien Entschluss Seines Willens, und zugleich gibt Er zu verstehen, dass Er Seine besondere Barmherzigkeit ganz bestimmten Menschen zugedacht habe. So trifft dieser Spruch mit der Meinung des Paulus zusammen, dass Gottes Erbarmen ein freies, nicht irgendwie gebundenes ist, und dass es sich wenden kann, wohin es will. Man nimmt aber dem Herrn diese Freiheit, wenn man Seine Erwählung von irgendwelchen Gründen und Anlässen außer ihr abhängig denkt.

So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. – Aus dem soeben beigebrachten Schriftwort zieht Paulus die Folgerung, die auch ohne Zweifel daraus gezogen werden muss, dass unsere Erwählung sicher weder auf unsern Fleiß noch auf unsern Eifer noch auf unsere Vorsätze gründet, sondern ganz auf Gottes Rat. Es soll niemand glauben, dass die Auserwählten deshalb erwählt sind, weil sie es verdient, oder weil sie Gottes Gnade auf irgendeine Weise sich erworben hätten, oder endlich weil in ihnen wenigstens ein Schimmer von Würdigkeit aufleuchtete, an welchen Gott anknüpfen könnte. Vielmehr soll die einfache Wahrheit gelten: Nicht unser Wille macht es oder unsere Anstrengungen (denn dies versteht Paulus unter „Laufen“), dass wir unter die Auserwählten zählen, sondern allein Gottes Güte, die uns zu Gnaden annahm ohne unser Wollen und Versuchen, ja selbst ohne unser Denken. Freilich schieben manche Ausleger dem Worte des Paulus noch den Gedanken unter: Unsere Anstrengungen haben zwar eine gewisse Kraft, sie erreichen aber ihre Ziel nicht, wenn Gottes Gnade nicht unterstützend eingreift. Doch das ist eine ungesalzene Rede. Denn dem Apostel kommt es hier sicherlich nicht darauf an, zu zeigen, was wir aus uns vermögen, sondern vielmehr alle unsere Anstrengungen auszuschalten. Auf der andern Seite soll freilich auch nicht gesagt sein, dass man der Gnade den meisten Raum schafft, wenn man müßig und träge die Hände in den Schoß legt. Denn wenn auch unser eigner Eifer nichts vermag, so erweist sich doch der Eifer, den Gott uns einflößt, überaus lebendig. Paulus hat unsern Satz nicht geschrieben, damit wir den Geist Gottes und sein Feuer durch unsere Widerspenstigkeit oder Trägheit ersticken, sondern damit wir erkennen, dass von Ihm stammt, was wir haben. So sollen wir lernen, von Ihm alles zu erbitten und zu erhoffen, und Ihm alles zu danken, indem wir unsere Seligkeit mit Furcht und Zittern schaffen. – Eine andere sophistische und faule Ausflucht hat Pelagius erfunden, um die wirkliche Meinung des Paulus zu beseitigen: Es liege insofern nicht an unserm Wollen oder Laufen, als dieses allein, ohne die Beihilfe der Gnade Gottes, allerdings nichts ausrichten könne. Die trefflichste Widerlegung dieser unbesonnenen Rede hat bereits Augustin gegeben: Wenn Paulus nur deshalb die Erwählung nicht auf den Willen des Menschen gründen will, weil dieser nicht die einzige, sondern nur eine teilweise Ursache derselben sei, so müsste sich auch umgekehrt sagen lassen; so liegt es nun nicht an Gottes Erbarmen, sondern an unserm Wollen und Laufen. Soll es sich einmal um ein gleichmäßiges Zusammenwirken beider Faktoren handeln, so versteht es sich ja von selbst, dass eine solche Umkehrung erlaubt sein muss. Freilich ist der Satz, der auf diese Weise zustande kommt, so unmöglich, dass ihm seine eigene Torheit das Urteil spricht. Es bleibt also dabei: Paulus schreibt das Heil der Auserwählten in dem Sinne der göttlichen Gnade zu, dass der Anstrengung des Menschen kein Anteil daran verbleibt.

Denn die Schrift sagt zum Pharao: „Ebendarum habe ich dich erweckt, dass ich an dir meine Macht erzeige, auf dass mein Name verkündigt werde in allen Landen.“ – Jetzt wendet sich die Rede zum zweiten Stück, zur Verwerfung der Gottlosen. Hier ist ja freilich der Anstoß noch schwerer. Darum wendet der Apostel besonderen Fleiß daran, zu zeigen, dass, wenn Gott verwirft, welche Er will, sein Rat nicht bloß untadelig ist, sondern sogar Bewunderung verdient wegen Seiner Weisheit und Billigkeit. Er übernimmt aus 2. Mose 9.16 das Wort, in welchem Gott erklärt, Er sei es gewesen, der den Pharao in einer bestimmten Absicht erweckt habe: Während er selbst alle Kraft des Widerspruchs und Widerstandes gegen Gottes Macht aufbot, musste er, besiegt und unterworfen, zum Beispiel werden, dass Gottes Arm unbesieglich ist und dass keine Menschenkraft ihn ertragen, geschweige denn zerbrechen kann. Zwei Dinge müssen dabei in Betracht gezogen werden: Die Bestimmung Pharaos zum Verderben, welche sich auf einen jedenfalls gerechten, aber doch undurchsichtigen Ratschluss Gottes gründet; und deren Zweck, welcher darin besteht, dass Gottes Name gepriesen und verkündigt werden soll. Auf diesen Zweck fällt der Hauptnachdruck. Denn wenn es mit dieser Verstockung eine solche Bewandtnis hat, dass sie einen Anlass zur Verherrlichung des göttlichen Namens gibt, so darf man um ihretwillen Gott nicht der Ungerechtigkeit zeihen; denn Gottes Verherrlichung und Ungerechtigkeit sind schneidende Gegensätze. – Da aber viele Ausleger auch dieser Stelle ihre Härte benehmen wollen und sie auf diese Weise verdrehen, so wollen wir darauf hinweisen, dass hier steht: Ich habe dich erweckt, oder ganz genau nach dem hebräischen Texte: Ich habe dich hingestellt. Wenn also Gott beweisen will, dass der Widerstand des Pharao die Erlösung Seines Volkes nicht hindern könne, so sagt Er nicht bloß: Ich habe deinen Grimm vorausgesehen, aber ich habe auch Mittel bereit, ihn im Zaume zu halten; sondern: Ich habe es mit Vorbedacht so geordnet, und zwar zu dem Zwecke, um einen desto herrlicheren Beweis meiner Macht zu geben. Wenn man also den Paulus sagen lässt, dass Gott den Pharao aufbehalten habe für seine bestimmte Zeit, so verkehrt man Seinen Gedanken: Es ist ausdrücklich von dem Anfang seines Auftretens die Rede, den Gott herbeigeführt hat. Gott hat dem Pharao geradezu seine Rolle zugeteilt. Man wird vergeblich mit Gott streiten und von Ihm Rechenschaft fordern. Denn Er kommt allen Einwürfen selbst zuvor, tritt feierlich hin und verkündet, dass die Verworfenen aus dem verborgenen Abgrunde Seiner Vorsehung stammen und dass Er an ihnen Seinen Namen verherrlichen will.

So erbarmt er sich nun, welches er will, und verstockt, welchen er will. – Hier folgt der Schluss aus beiden bisher gesondert behandelten Gliedern. Paulus will bei uns bewirken, dass wir uns mit dem Unterschied, den Gottes Wille selbst zwischen den Auserwählten und Verworfenen macht, zufrieden geben. Hat Gott beschlossen, den einen das Licht zum Leben zu senden, den andern Verblendung zum Tode, so darf unser Denken über diesen Seinen Willen nicht mehr emporsteigen. Es hat bei dem Sätzchen sein Bewenden: „Welchen er will“. Weiter werden wir nie kommen. Im Übrigen erlaubt das Wort „verstocken“, welches die Schrift von Gott gebraucht, nicht – wie man wiederum zu mildern gesucht hat – an eine bloße Zulassung Gottes zu denken; es bezeichnet vielmehr eine eigentliche Tätigkeit des göttlichen Zornes. Denn alle äußeren Widerfahrnisse, welche zur Verblendung der Verworfenen dienen, sind Werkzeuge dieses Zornes. Satan selbst, der in den Herzen der Verworfenen wirkt, ist des göttlichen Zornes Diener und vermag ohne dessen Befehlt nichts auszurichten. Damit fällt wiederum die oberflächliche Ausflucht von Gottes bloßem Vorauswissen. Denn Paulus sagt nicht, dass der Herr den Sturz der Gottlosen vorausgesehen, sondern dass Er ihn mit Absicht und Vorbedacht angeordnet habe. Wie auch Salomo (Sprüche 16.4) lehrt: „Der Herr macht – nicht sieht voraus – alles zu bestimmtem Ziel, auch den Gottlosen für den bösen Tag.“