RÖMER

Römer Kapitel 8 Teil VII

Römer 8.23-25

Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir haben des Geistes Erstlinge, sehnen uns auch bei uns selbst nach der Kindschaft und warten auf unsers Leibes Erlösung. Denn wir sind wohl selig, doch in der Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wir kann man des hoffen, das man sieht? So wir aber des hoffen, das wir nicht sehen, so warten wir sein durch Geduld.

 

Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir haben des Geistes Erstlinge, sehnen uns auch bei uns selbst nach der Kindschaft und warten auf unsers Leibes Erlösung. – Manche Ausleger meinen, der Apostel wolle hier die Hoheit unserer zukünftigen Seligkeit dadurch ins Licht setzen, dass er auf die allgemeine Sehnsucht hinweist, mit welcher nicht bloß die unvernünftigen Kreaturen, sondern auch wir, die wir durch Gottes Geist wiedergeboren sind, ihr entgegen harren. Ich will diese Ansicht nicht für ganz ausgeschlossen erklären, ziehe aber vor, den Zusammenhang in anderer Weise zu deuten. Der Gedanke steigt von der niederen Stufe zur höheren empor: Wenn schon auf die Bestandteile der irdischen Welt, welche doch weder Gefühl noch Verstand haben, der Glanz unserer künftigen Herrlichkeit eine solche Anziehungskraft ausübt, dass sie mit einer Art von Sehnsucht danach sich durchdrungen zeigen, wie viel mehr müssen dann wir, die wir die Erleuchtung durch Gottes Geist besitzen, mit gewisser Hoffnung und angespanntem Eifer ein so überschwänglich großes Gut erharren und uns ihm entgegen strecken! Eine doppelte Stimmung will der Apostel im Herzen der Gläubigen hervorrufen: Seufzenden Überdruss an dem Elend dieser Zeit, und dabei doch hoffende Geduld für die Erlösung. Die Erwartung der zukünftigen Seligkeit soll uns erheben und mit hohem Geiste die gegenwärtigen Beschwerden überwinden lassen. Denn wir sollen bedenken, nicht was wir sind, sondern was wir sein werden.

Wir selbst, die wir haben des Geistes Erstlinge. – In der Gegenwart sind die Gläubigen nur mit einigen ersten Tropfen des Geistes besprengt, im besten Falle haben sie ein begrenztes Maß des Geistes empfangen und sind von seinem Vollmaße noch weit entfernt. Also spricht der Apostel von den „Erstlingen“ im Hinblick auf die noch ausstehende völlige Gabe. Haben wir nur die Erstlinge, so dürfen wir uns freilich nicht wundern, wenn noch Unruhe unser Herz durchzieht! Auch die Form des Satzes muss diese Unruhe zum Ausdruck bringen: Zuerst durch die von der Sehnsucht eingegebene Wiederholung wir selbst, die wir; weiter lautet aber auch das Wort, welches unsere Übersetzung mit „sehnen“ wiedergibt, eigentlich stärker: Wir seufzen nach der Kindschaft. So hart drückt uns das Gefühl des Elends.

Nach der Kindschaft. – Uneigentlicherweise, und doch mit gutem Grunde, bezeichnet Paulus hier als „Kindschaft“ nicht unsern gegenwärtigen Stand, sondern erst den Genuss des Erbes, zu welchem die Tatsache uns berechtigt, dass Gott uns zu Seinen Kindern angenommen hat. Denn Gottes ewiger Rat, welcher uns vor Grundlegung der Welt zu Seinen Kindern erwählte, welchen das Evangelium uns bezeugt und der Geist unserm Herzen versiegelt, würde vergeblich sein, wenn Er uns nicht auch als letztes Ziel die gewisse Auferstehung verbürgen könnte. Denn warum anders ist Gott unser Vater, als weil Er uns nach dem Laufe der irdischen Pilgrimschaft in das himmlische Erbteil aufnehmen will? Eben dahin zielt auch die weitere Aussage: Und warten auf unsers Leibes Erlösung. Christus hat den Preis für unsere Erlösung gezahlt; aber noch immer hält uns der Tod gefangen, ja wir tragen ihn in uns. Das Opfer des Todes Christi muss also seine letzte Frucht, unsere Erneuerung zu himmlischem Wesen, noch bringen; wo nicht, so wäre es fruchtlos und vergeblich gewesen.

Denn wir sind wohl selig, doch in der Hoffnung. – Die Mahnung zur Geduld wird mit einem weiteren Grunde gestützt. Wir müssen noch hoffen, also müssen wir auch noch sterben. Dass kein anderer Weg zur Seligkeit führen kann, liegt in der Natur der Sache. Hoffnung zielt überall auf die Zukunft; sie stellt die Bilder verborgener und ferner Dinge vor unsere Seele. Was man sieht und greift, kann nicht Gegenstand der Hoffnung sein. Dabei setzt Paulus als allgemein zugestanden voraus, dass wir allerdings nur in der Hoffnung selig sind, solange wir in dieser Welt wallen. Denn unsere Seligkeit ruht bei Gott, hoch erhaben über unsere Sinne. Der Ausdruck: „Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung“ ist etwas hart, aber wohlverständlich. Er birgt die einfache Wahrheit: Da unsere Hoffnung sich auf ein zukünftiges, nicht auf ein gegenwärtiges Gut richtet, so können wir noch nicht völlig besitzen, was wir erhoffen. Wollen wir uns die Seufzer durchaus ersparen, so müssen wir schon Gottes Ordnung umstürzen; denn Gott lässt die Seinen keinen Triumph und Sieg erleben, Er hätte sie denn zuvor im Kampfe der Leiden geübt. Hat Gott einmal beschlossen, unsere Seligkeit in der verborgenen Stille des Herzens zur Reife zu bringen, so kann es uns auf Erden nur gut sein, Mühen und Lasten zu tragen, Schmerz und Druck zu leiden, ja selbst bis zum Tode getrieben zu werden. Denn die eine sichtbare Seligkeit begehren, verwerfen das wahre Heil und stoßen die Hoffnung von sich, die Gott als Wächterin des Heils bestellt hat.

So wir aber des hoffen, das wir nicht sehen, so warten wir sein durch Geduld. – Jetzt wird in einem endgültigen Schluss dargelegt, was aus der bisher beschriebenen Hoffnung erwachsen muss, nämlich die Geduld. Es mag schwer sein, das Gut zu entbehren, nach welchem deine Seele sich sehnt; willst du aber den Trost der Geduld verschmähen, so wirst du vollends in Verzweiflung sinken. Die Hoffnung muss die Geduld zur steten Begleiterin haben. So legt uns der Apostel nachdrücklich das letzte Ergebnis vor: Was das Evangelium von der Herrlichkeit der Auferstehung verheißt, wird unsern Händen entgleiten, wenn wir nicht in diesem Leben Kreuz und Anfechtung geduldig tragen. Ist das Leben unsichtbar, so muss das, was wir sehen, wohl Tod sein. Ist unsere Ehre unsichtbar, so mögen wir gegenwärtig ruhig Schande leiden. Dieser ganze Beweisgang des Apostels lässt sich kurz folgendermaßen zusammenfassen: Aller Frommen Seligkeit steht in der Hoffnung. Zum Wesen der Hoffnung gehört es, sich auf zukünftige und ferne Güter zu richten; also ist die Seligkeit der Frommen eine verborgene. Nun hält sich die Hoffnung nur durch Geduld aufrecht, also erreicht die Seligkeit der Frommen ihr Ziel nur durch Geduld. Aus alledem entnehmen wir die wichtige Wahrheit, dass die Geduld die unzertrennliche Genossin des Glaubens ist. Das lässt sich leicht begreifen; denn wenn wir uns mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft trösten, so mildert und mäßigt sich das Gefühl des gegenwärtigen Elends, und dasselbe wird weit erträglicher.