RÖMER

Römer Kapitel 8 Teil VI

Römer 8.19-22

Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit ohne ihren Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung. Denn auch die Kreatur wird frei werden von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstet sich noch immerdar.

 

Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. – Ein Beispiel für die Geduld, zu der wir ermahnt wurden, ist selbst die stumme Kreatur. Kein Bestandteil des Weltalls bleibt unberührt von der Sehnsucht, mit welcher unter dem Elend dieser Zeit sich alles der Auferstehung entgegen streckt. Dabei sagt der Apostel zweierlei: die Kreatur ängstet und müht sich, aber sie hält sich noch in Hoffnung aufrecht. Ein neuer Beweis für die unermessliche Größe der ewigen Herrlichkeit, denn sie vermag das All zu brennender Sehnsucht zu erwecken! Die Ausdrucksweise ist ungewöhnlich: das Harren … wartet. Aber so wird uns förmlich vor Augen gemalt, mit welcher Ängstlichkeit und zitternder Sehnsucht die Kreatur dem Tage entgegen wartet, welcher die Herrlichkeit der Kinder Gottes völlig enthüllen wird. Die Offenbarung der Kinder Gottes erfolgt nämlich, wenn wir Gott gleich sein werden. Wie Johannes sagt (1. Johannes 3.2): „Wir sind nun Gottes Kinder, aber es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.“

Sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit. – Welcher Kontrast gegen das Hoffnungsziel! Die Kreatur, die jetzt der Eitelkeit unterworfen ist, kann nicht eher befreit werden, als bis auch die Kinder Gottes ihre völlige Erlösung empfangen. Wenn sie auf die eigne Befreiung harrt, so schaut sie also nach dem Anbruch des Himmelreichs aus. Der Eitelkeit unterworfen ist aber die Kreatur insofern, als sie ihren festen und sicheren Bestand verloren hat und flüchtig und vergänglich schnellen Laufes vorübereilt. Diese „Eitelkeit“ steht im Gegensatz zur ursprünglichen Anlage der Natur.

Ohne ihre Willen. – Da die unvernünftige Kreatur einen eigentlichen Willen nicht besitzt, so haben wir an den inneren Lebenstrieb zu denken, der von Natur nicht auf die „Eitelkeit“, sondern auf Selbsterhaltung und Vollendung sich richtet. Der gegenwärtige Zustand der Vergänglichkeit tut der wahren Natur Zwang an. Die einzelnen Teile der Welt erscheinen hier in dichterischer Weise fast wie Personen, die über sich selbst hinausstreben. Wie übel steht da uns Menschen der Stumpfsinn, welchen kein Blick auf die flüchtige Vergänglichkeit der Welt auf höhere Gedanken bringt!

Sondern um deswillen, der sie unterworfen hat. – Die Kreaturen müssen uns ein Vorbild des Gehorsams liefern, und der Apostel fügt hinzu, dass solches auf Hoffnung geschieht, weil nur die Hoffnung, das Streben zu einem höheren Ziel, den Lauf der Welt noch in Gang erhält. Gottes Ordnung und Befehl, der jeglicher Kreatur ihr Amt gab, ist der Grund, dass Sonne und Mond und alle Sterne unermüdlich ihre Kreise ziehen, dass die Erde fleißig und gehorsam ihre Früchte hervorbringt, dass die Luft in unermüdlicher Bewegung bleibt, dass die Flüsse nicht stillstehen in ihrem Lauf. Doch in alledem wirkt nicht bloß ein bestimmter Befehl Gottes, sondern auch die Hoffnung, die einer neuen Welt entgegen strebt. Auch sie hat Gott der Kreatur eingestiftet. Denn wegen der traurigen Zerrüttung, die nach Adams Fall eintrat, hätte die Weltmaschine in jedem Augenblick zerbrechen können, hätten ihre Räder sofort stillstehen müssen, wenn nicht eine ganz andere starke Kraft um ihrer eignen verborgenen Zwecke willen sie noch zusammenhielte. Wie schmählich wäre es nun, wenn in den Kindern Gottes der Geist, den sie als Unterpfand einer seligen Zukunft empfangen haben, weniger kräftig wirken sollte als in toten Kreaturen ein verborgener Instinkt! Also: Mag die Kreatur von Natur hierhin oder dorthin neigen, weil es Gott gefallen hat, sie der „Eitelkeit“ zu unterwerfen, so muss sie sich dieser Ordnung beugen. Und weil Gott Hoffnung gibt für eine bessere Zukunft, so hält sie sich in ihrem gegenwärtigen Stande und schiebt ihre Sehnsucht auf, bis die verheißene Unvergänglichkeit offenbart wird. Wenn Paulus dabei der Kreatur eine „Hoffnung“ zuschreibt, so ist dies ebenso poetisch gedacht wie vorher das „Wollen“ und „Nichtwollen“.

Denn auch die Kreatur wird frei werden von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. – Dieser Satz gewährt einen genaueren Einblick darein, wieso die Kreatur „auf Hoffnung“ der Eitelkeit unterworfen ward. In Zukunft wird sie nämlich frei werden, wie schon Jesaja bezeugt und Petrus noch deutlicher ausgesprochen hat (Jesaja 65.17; 2. Petrus 3.13). Hier mögen wir bedenken, wie schrecklich die Verdammnis sein muss, die wir verdient haben, wenn alle unschuldigen Kreaturen, von der Erde an bis zum Himmel, die Strafe für unsere Sünden mittragen müssen! Denn dass sie unter der allgemeinen Verderbnis leiden, ist unsere Schuld. Den Stempel von der Vermaledeiung des Menschengeschlechts tragen Himmel und Erde und alle Kreaturen. Andererseits erscheint auch die zukünftige Herrlichkeit der Kinder Gottes in hellem Lichte; denn um ihren Glanz zu erhöhen, sollen alle Kreaturen in einen neuen Stand gesetzt werden. Dabei behauptet der Apostel nicht, dass sie an der Herrlichkeit der Kinder Gottes teilhaben werden, sondern nur, dass sie eine Erhöhung und Befreiung nach ihrer Weise erfahren: Gott wird die jetzt in Verwirrung gestürzte Erde im Zusammenhange mit dem menschlichen Geschlecht wieder zu ihrer Ordnung bringen. Worin aber diese Wiederherstellung bestehen und wie sie sich an Tieren, Pflanzen und an der leblosen Natur zeigen wird, das sind unnütze und vorwitzige Fragen, die schon deshalb keine Antwort finden können, weil wir jetzt auch nur sagen können, dass das wesentlichste Stück des verderbten Zustandes die Vergänglichkeit ist. Überscharfsinnige Menschen mögen sich mit endlosen Fragen den Kopf zerbrechen, etwa auch darüber, ob hinfort alle Tiere unsterblich sein sollen! Wir begnügen uns mit der einfachen Lehre, dass ein solches Maß und solche Ordnung die Welt durchwalten werden, welche jede Verunstaltung und alles nichtige Wesen ausschließt.

Denn wir wissen, dass alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstet sich noch immerdar. – Der Apostel wiederholt seinen Gedanken noch einmal und fügt nur ein „mit uns“ hinzu, um zu unserer eignen Hoffnung zurückzulenken. So gewinnt die Rede einen in sich notwendigen Abschluss. Ist die Kreatur der Eitelkeit unterworfen, nicht nach der eignen Richtung ihrer Natur, sondern auf Grund einer besonderen Verfügung Gottes, und darf sie dabei auf endliche Erlösung hoffen, so gleicht sie einem Weibe in Geburtswehen, welches sich ängsten muss, bis das Ziel erreicht ist. Ein überaus treffender Vergleich, welchen die Worte des Paulus andeutungsweise enthalten! Jenes Sehnen und Ängsten wird nicht tot und vergeblich sein, sondern frohe und glückliche Frucht gebären. In Summa: Die Kreatur fühlt sich nicht heimisch in ihrem Stande, und braucht doch auch nicht in aussichtsloser Sehnsucht sich zu verzehren, sie liegt in den Wehen einer besseren Zukunft. So schließt sie sich mit uns zusammen: Sie ängstet sich mit uns. Der Apostel fügt hinzu: Noch immerdar. Dies Wort bringt Trost in das lange Warten. Hat die Kreatur Jahrtausende in ihrem Herzen sich ängsten müssen, warum wollen wir schon in dem kurzen Laufe dieses Lebens träge und müde werden, das doch wie ein Schatten vorüberzieht?