RÖMER

Römer Kapitel 8 Teil I

Römer 8.1-4

So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist. Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Denn was dem Gesetz unmöglich war (sintemal es durch das Fleisch geschwächt ward), das tat Gott und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches und der Sünde halben und verdammte die Sünde im Fleisch, auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.

 

Der Kampf, welchen die Frommen stetig wider ihr Fleisch zu führen haben, bietet nun dem Apostel erneuten Anlass, den nötigen Trost zu spenden; mag die Sünde noch immer an uns haften, so sind wir doch bereits der Macht des Todes und jeglichem Verdammungsurteil entnommen ¬– wenn anders wir nicht im Fleisch wandeln, sondern im Geist. Drei Stücke also treffen hier zusammen: Die Unvollkommenheit, an welcher die Gläubigen noch immer leiden; Gottes Güte, die nicht müde wird, zu vergeben und zu verzeihen; und die Erneuerung durch den Geist. Dies letzte kommt hinzu, damit niemand mit dem Irrtum sich betrüge, dass er voller Sicherheit dem Fleische etwas nachgeben dürfe, da ja kein Verdammungsurteil mehr besteht. Der fleischlich gesinnte Mensch, welcher Gottes Gnade zum Vorwand nimmt, ohne Besserung seines Lebens an eine Verzeihung zu glauben, wird sich betrogen sehen. Aber die erschreckten Gewissen der Frommen finden die unüberwindliche Zuflucht: Solange wir in Christus bleiben, droht uns keine Gefahr der Verdammnis.

Nunmehr wird es nützlich sein, die Worte im Einzelnen zu erwägen: Nach dem Geist wandeln heißt nicht, gar keine Anfechtung mehr vom Fleische erfahren und ein überirdisches Leben voller Vollkommenheit führen, sondern: Fleiß tun, das Fleisch zähmen und zu töten und merken lassen, dass wir von ernster Gottesfurcht regiert sein wollen. Die solches tun, wandeln nicht nach dem Fleisch, weil wahre Gottesfurcht die Herrschaft der Sünde bricht, wenn auch noch einzelne Gebrechen bleiben.

Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. – Dieser Satz dient zur Begründung des vorigen. Um aber den inneren Zusammenhang zu verstehen, gilt es zunächst die Worte zu erklären. „Gesetz des Geistes“ heißt uneigentlicherweise Gottes Geist, welcher unsere Seele mit Christi Blut besprengt, nicht bloß um die Schuld der Sünde zu tilgen, sondern auch sie wahrhaftig rein und heilig zu machen. Dieser Geist, so fügt der Apostel hinzu, macht lebendig, woraus sich abnehmen lässt, dass, wer den Menschen unter dem Buchstaben des Gesetzes festhalten will, ihn dem Tode ausliefert. Auf der andern Seite steht das Gesetz der Sünde und des Todes, das heißt die Herrschaft des Fleisches und die daraus folgende Tyrannei des Todes. In der Mitte würde Gottes Gesetz zu stehen kommen, welches zwar Gerechtigkeit lehrt, aber nicht schaffen kann, sondern uns nur fester an die Knechtschaft der Sünde und des Todes binden muss. Nun wird der Sinn deutlich, dass das Gesetz Gottes den Menschen Verdammnis bringt, kommt daher, dass, solange sie ihm verpflichtet bleiben, das Joch der Sünde und demgemäß der Fluch des Todes sie drückt. Der Geist Christi aber, welcher die unordentlichen Begierden des Fleisches bessert und so das Gesetz der Sünde in uns bricht, befreit uns zugleich von dem Rechtsanspruch, welchen der Tod an uns hat. Nun scheint allerdings der Einwand nahe zu liegen, dass auf diese Weise die Vergebung, welche unsere Sünden begräbt, von der Erneuerung des Lebens abhängig wird. Doch es ist leicht einzusehen, dass Paulus hier nicht angibt, auf welchen Grund sich die Sündenvergebung stützt, sondern unter welchen Umständen sie sich vollzieht. Und er lehrt, dass wir durch die äußeren Vorschriften des Gesetzes nichts erreichen; erst wenn Gottes Geist uns ermuntert, erfahren wir zugleich die Rechtfertigung aus freier Gnade, welche das auf der Sünde ruhende Verdammungsurteil aufhebt. Kurz gesagt: Die Gnadengabe der Erneuerung lässt sich von der Zurechnung der Gerechtigkeit niemals trennen.

Denn was dem Gesetz unmöglich war. – Jetzt muss der eben ausgesprochene Begründungssatz selbst erläutert und begründet werden: Gott konnte uns nur durch freie Gnade in Christus rechtfertigen, denn dies zu vollbringen war für das Gesetz unmöglich. Damit deutet der Apostel auf den Mangel des Gesetzes: Gott musste selbst ein anderweitiges Heilmittel schaffen. Das Gesetz fordert mehr, als wir leisten können. Deshalb konnte es uns keine Gerechtigkeit bringen; Christus erst hat die Sünden durch Seinen Tod gesühnt. Unsere Verse handeln nämlich nicht etwa von der Erneuerung, die uns Christus schenkt, sondern lediglich von der Rechtfertigung aus Gnaden, von der Verzeihung, kraft deren Gott uns mit sich versöhnt. Dies geht daraus hervor, dass Paulus für nötig hält, zuletzt (Vers 4) noch einmal hinzuzufügen: „Die wir nun nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.“ Denn wenn die eigentliche Ausführung bereits hätte sagen wollen, dass der Geist der Erneuerung uns Kraft zum Niederkämpfen der Sünde gibt, so wäre dies ein ganz überflüssiger Zusatz, eine bloße Wiederholung. Ist aber von der Vergebung aus freier Gnade die Rede, so passt es trefflich, dass Paulus nun nachträglich diese Vergebung nur auf die Leute beschränkt, welche zum Glauben die Buße fügen und Gottes Gnade nicht in fleischlicher Zügellosigkeit missbrauchen.

Sintemal es durch das Fleisch geschwächt ward. – Der eigentliche Fehler liegt also nicht im Gesetz, sondern in unserm Fleische. Wenn jemand das Gesetz vollkommen halten könnte, würde er gerecht vor Gott dastehen. Die Lehre des Gesetzes ist tadellos und gibt uns die vollkommene Regel der Gerechtigkeit. Weil aber unser Fleisch diese Gerechtigkeit nicht zu erreichen vermag, wandelt sich die ganze Kraft des Gesetzes in Schwachheit. Und diese „Schwachheit“ ist nicht etwa bloß ermäßigte Kraft, sondern völliges Unvermögen. Das Gesetz kann zu unserer Rechtfertigung gar nichts beitragen. Jede Gerechtigkeit aus Werken fällt dahin; in Christus müssen wir die Gerechtigkeit suchen, die wir in uns nicht finden. Dies ist ein Hauptgrundsatz der christlichen Wahrheit, denn wir können nicht eher mit Christi Gerechtigkeit bekleidet werden, als bis wir unsere eigne Blöße klar erkannt haben. Das „Fleisch“, durch welches das göttliche Gesetz seine Segenskraft verliert, so dass es uns den Weg der Gerechtigkeit zeigen, aber nicht vom tödlichen Absturz zurückhalten kann, sind wir selbst.

Sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches. – Damit zeigt der Apostel, in welcher Weise der himmlische Vater uns durch Seinen Sohn die Gerechtigkeit geschaffen hat: Er hat in Christi eignem Fleische der Sünde das Verdammungsurteil gesprochen; das heißt, Er hat den Schuldschein zerrissen und damit die Schuld getilgt, die uns vor Gott gebunden hielt. Ist die Sünde verurteilt, so werden wir gerecht und frei, die Schuld ist getilgt, und Gott sieht uns an, als wären wir gerecht. Zuerst heißt es nun mit Nachdruck, dass Christus gesandt worden sei: Also liegt die Gerechtigkeit keineswegs in uns, sondern will bei Ihm geholt sein; umsonst vertrauen die Menschen auf ihre Verdienste, denn sie haben nur eine geschenkte Gerechtigkeit. Sie empfangen ihre Gerechtigkeit durch die Sühne, welche Christus in Seinem Fleische vollbracht hat. – Christus kam „in der Gestalt des sündlichen Fleisches“. Zwar hingen keine Flecken der Sünde an dem Fleische Christi, doch glich dasselbe unserm sündlichen Fleische, denn es trug die Strafe unserer Sünden. Es war dem Tode unterworfen, und der ließ an ihm alle seine Kraft aus. Und da unser Hohepriester durch eigne Erfahrung lernen musste, was es heißt, ein Heiland der Schwachen sein, so wollte Christus alle unsere Schwachheit tragen, um desto inniger mit uns zu fühlen (Hebräer 2.18; 4.15): Auch darauf will es bezogen sein, dass Christus in der Gestalt des sündlichen Fleisches erschienen ist.

Und verdammte die Sünde. – Das heißt, die Sünde behielt Unrecht in dem Rechtsstreit. Gott lässt ihr hinfort kein Anrecht auf diejenigen, welche durch Christi Opfer Verzeihung empfangen haben. Das Reich der Sünde, das uns gefangen hielt, ist zerbrochen. Denn Christus nahm auf sich, was unser war, um uns zu schenken, was Ihm gehörte. Er trug unsern Fluch und gab dafür Seinen Segen. Paulus fügt hinzu: Im Fleisch. Damit stärkt er unsere Zuversicht und macht uns gewiss, dass die Sünde im Bereiche unserer eignen Natur besiegt und beseitigt ward. So gewinnt unsere Natur Anteil an Christi Sieg.

Auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllt würde. – Wenn man hier ausgesprochen findet, dass wir selbst, durch Christi Geist erneuert, das Gesetz erfüllen, so trägt man einen dem Paulus ganz fremden, irreführenden Gedanken in den Text ein. Solange die Gläubigen auf der irdischen Pilgerschaft sich befinden, erreichen sie nie eine Vollkommenheit, auf die ihre Gerechtigkeit sich gründen ließe. Man muss vielmehr auch hier an die Vergebung denken: Wenn Gott den Gehorsam Christi als für uns dargebracht annimmt, so ist dem Gesetz Genüge geschehen, so dass wir als gerecht gelten können. Die vom Gesetz erforderte Gerechtigkeit ward eben deshalb in unserm Fleische geleistet, damit die Macht des Gesetzes, uns zu verurteilen, gebrochen würde. Weil aber Christus niemandem Seine Gerechtigkeit mitteilt, ohne ihn zugleich durch das Band Seines Geistes mit sich zu vereinigen, so deuten die letzten Worte des Verses auch auf die Erneuerung des Lebens: Christus soll nicht als Diener der Sünde dastehen, wie ja viele nur zu gern die Lehre von Gottes väterlicher Gnade für die Zügellosigkeit des Fleisches ausbeuten, andere dagegen diese Lehre schmähen, als ob sie den Eifer für ein rechtes Leben ertöten müsste.