RÖMER

Römer Kapitel 7 Teil VI

Römer 7.14-17

Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich bin aber fleischlich, unter die Sünde verkauft. Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern, was ich hasse, das tue ich. So ich aber das tue, was ich nicht will, so gebe ich zu, dass das Gesetz gut sei. So tue nun ich dasselbe nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnt.

 

Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich bin aber fleischlich. – Damit stellt der Apostel das Gesetz und die menschliche Natur noch schärfer einander gegenüber, um noch deutlicher zu machen, woher der verhasste Tod stammt. Dann stellt er uns das Beispiel eines sogar bereits wiedergeborenen Menschen vor Augen: In demselben streiten die Reste des Fleisches noch immer wider Gottes Gesetz, wenn auch der Geist demselben gern gehorcht. Doch zunächst handelt es sich lediglich um den Kontrast unserer Natur und des Gesetzes. Nichts in der Welt kann härter miteinander streiten als Geist und Fleisch. Nun ist aber das Gesetz geistlich, der Mensch fleischlich. Beides ist ebenso widereinander wie Licht und Finsternis. „Geistlich“ heißt nun das Gesetz nicht bloß darum, weil es außer Händen und Füßen und äußerlichen Werken die Regungen des Geistes und Herzens beherrschen und eine innerlich aufrichtige Furcht Gottes einprägen will. Vielmehr will der Apostel einen viel durchgreifenderen Gegensatz von Geist und Fleisch bilden. Der Zusammenhang und frühere Stellen zeigen, dass unter „Fleisch“ die gesamte Natur verstanden werden soll, die wir von Mutterleibe her an uns tragen. So, wie die Menschen geboren werden und ihren Geist und Sinn behalten, so sind sie „Fleisch“. Denn dieser Sinn des Fleisches ist nur auf grobsinnliche, irdische Dinge gerichtet. „Geist“ ist dagegen die Erneuerung der verderbten Natur, welche Gott nach Seinem Bilde gestaltet. Dieser Sprachgebrauch schreibt sich daher, weil Gottes Geist die Erneuerung bewirkt. So steht die göttliche Vollkommenheit der Lehre des Gesetzes der Natur des Menschen gegenüber. Und der Sinn ist: Das Gesetz fordert eine überirdische, himmlische Gerechtigkeit ohne Makel und Flecken; ich aber als fleischlicher Mensch vermag nichts, als mich damit in Widerspruch zu setzen!

Unter die Sünde verkauft. – Dieser Ausdruck zeigt, was das Fleisch in sich selbst vermag. Von Natur ist der Mensch ganz ebenso ein Knecht der Sünde, wie erkaufte Sklaven ihrem Herrn gehören und von demselben genau wie Ochsen und Esel nach Belieben missbraucht werden. So hängen wir ganz vom Willen der Sünde ab: Der ganze Sinn, das ganze Herz, alle einzelnen Handlungen stehen unter ihrer Herrschaft. Nur von Zwang und Widerwilligkeit ist bei dieser angeborenen Knechtschaft keine Rede; denn wir sündigen aus freien Stücken, die eigne Beteiligung des Willens gehört zum Begriff der Sünde. Aber wir sind derartig in der Sünde verfangen, dass unser freier Wille gar nicht anders kann als sündigen – dahin treibt uns die böse Verkehrtheit, welche in uns die Herrschaft führt.

Denn ich weiß nicht, was ich tue. – Jetzt wendet sich der Apostel zu dem besonders eindrücklichen Beispiel des bereits wiedergeborenen Menschen, welches uns zwei Stücke ganz anschaulich vor Augen stellt: Wie groß der Gegensatz zwischen dem Gesetz Gottes und der Natur des Menschen ist, und dass das Gesetz keineswegs die Schuld am Tode trägt. Wenn den natürlichen Menschen die böse Lust unter voller freudiger Beteiligung seines Willen zur Sünde treibt, so entsteht der Anschein, er sündige mit einem derartig freien Willen, dass er es auch in der Macht habe, sich zurückzuhalten. So ist ja auch ganz allgemein die verderbliche Ansicht aufgekommen, dass der Mensch ohne Hilfe der göttlichen Gnade vermöge seiner natürlichen Veranlagung zwischen Gut und Böse wählen könne. Dagegen, wenn der Wille des gläubigen Menschen durch den Geist Gottes zum Guten getrieben wird, so drängt sich die Verderbtheit unserer Natur der Erkenntnis förmlich auf; denn diese Natur widerstrebt noch immer und sucht den Menschen nach der andern Seite zu ziehen. So enthüllt der Blick auf den wiedergeborenen Menschen den Widerstreit zwischen unserer Natur und der vom Gesetz geforderten Gerechtigkeit am schärfsten. Auch für das zweite Stück liegt hier ein deutlicherer Beweis, als wenn wir nur die Natur des Menschen an sich ins Auge fassen wollten. Denn weil bei dem noch ganz fleischlichen Menschen das Gesetz nur Tod hervorbringt, so fällt von hier aus auf dasselbe leicht ein falscher Schein; der letzte Ursprung des Schadens lässt sich nicht ohne weiteres unterscheiden. Im wiedergeborenen Menschen aber zeitigt das Gesetz heilsame Früchte: So wird klar, dass nur das Fleisch seine Leben bringende Wirkung hemmte, und dass es aus sich selbst durchaus nicht den Tod hervorbringt. Um aber die ganze zur Verhandlung stehende Frage in gesundem und richtigem Sinne aufzufassen, müssen wir feststellen, dass jener innere Kampf, von welchem der Apostel redet, nicht eher im Menschen anhebt, als bis der Geist Gottes ihn geheiligt hat. Denn der seiner Natur überlassene Mensch wird ohne inneren Widerstreit durch seine Lüste umgetrieben. Immerhin fühlen auch die Gottlosen den Stachel des Gewissens und können sich in ihren Fehlern nicht derartig schmeicheln, dass ihnen jeder bittere Nachgeschmack erspart bliebe. Aber daraus lässt sich doch nicht schließen, dass sie das Böse wirklich hassen und das Gute wirklich lieben. Gott sendet ihnen solche Qual nur, um sie ihre Verdammnis einigermaßen fühlen zu lassen, nicht um in ihnen Liebe zur Gerechtigkeit oder Hass gegen die Sünde zu erwecken. Zwischen ihnen und den Frommen besteht also folgender Unterschied: Die Gottlosen sind niemals so blind und verhärtet in ihrem Sinn, dass ihr eignes Gewissen nicht zustimmen müsste, wenn man ihnen ihre Untaten vorhält. Es ist ja nicht jede Einsicht in den Unterschied von Gut und Böse erloschen. Zuweilen packt sie sogar ob des Gefühls ihrer Bosheit ein Schauder, und sie empfangen schon in diesem Leben einen Vorgeschmack der Verdammnis. Trotzdem haben sie ein ungebrochenes Wohlgefallen an der Sünde, und sie hegen dieselbe ohne wirklichen Widerstreit ihres Gefühls. Ihre Gewissensbisse entspringen mehr dem Widerspruch gegen das Gericht als aus einer innerlich widerstrebenden Willensrichtung. Die Frommen dagegen, in welchen die Erneuerung aus Gottes Kraft begonnen hat, sind innerlich in der Weise geteilt, dass die eigentliche Sehnsucht ihres Herzens zu Gott aufstrebt, die himmlische Gerechtigkeit sucht und sich hasserfüllt wider die Sünde kehrt; aber die Reste ihres fleischlichen Wesens ziehen sie wieder zur Erde zurück. In diesem inneren Kampfe tun sie deshalb ihrer Natur Gewalt an und erleiden umgekehrt Gewalt von ihr. Denn, dass sie die Sünde verwerflich finden, entspringt nicht bloß dem Urteil ihrer Vernunft, sondern kommt daher, dass sie dieselbe von ganzem Herzen hassen und sich in derselben missfallen. Das ist der Kampf des Christen, welchen Paulus in Galater 5.17 beschreibt, der Kampf zwischen Geist und Fleisch. Demgemäß ist es recht geredet, dass der natürliche Mensch mit voller Zustimmung und Einwilligung des Gemüts sich in die Sünde stürzt, und dass der innere Zwiespalt erst anhebt, wenn die Berufung Gottes und die Heiligung durch Seinen Geist einsetzt. Denn die Erneuerung geschieht in diesem Leben nur anfangs weise; ein Überrest des Fleisches bleibt, folgt immer seinen Begierden und erregt dadurch den Kampf wider den Geist. Unerfahrene Leute freilich, welche nicht beachten, welche Frage der Apostel erörtert und welche Ordnung sein Gedankengang einhält, lassen ihn hier die Natur des Menschen beschreiben. Nun findet sich ja eine derartige Beschreibung des menschlichen Geistesvermögens bei den Philosophen. Aber die Schrift hegt viel tiefere Gedanken; sie weiß, dass im Herzen des Menschen nur verkehrtes Wesen blieb, seit Adam das Ebenbild Gottes verlor. Die römischen Kirchenlehrer berufen sich auf unsere Stelle, wenn sie den freien Willen erläutern und die Kraft unserer Natur klarmachen wollen. Aber Paulus redet gar nicht von der bloßen Natur des Menschen, sondern beschreibt an dem Beispiel seiner eigenen Person Art und Umfang der Schwachheit der Gläubigen. Ich lege ein starkes Gewicht darauf, diese Tatsache festzustellen.

Ich weiß nicht. – Dieser Ausdruck will besagen, dass Paulus die Taten, welche ihm die Schwachheit seines Fleisches aufdrängt, nicht als die seinen anerkennt; denn er hasst sie. Man könnte fast übersetzen: Ich billige nicht, was ich tue. Wir sehen also, dass die Lehre des Gesetzes in einem solchen Grade bei einem gesunden Urteil Zustimmung findet, dass die Gläubigen eine Übertretung des Gesetzes als etwas ganz Unerhörtes empfinden. Dabei versteht Paulus unter Gesetzesübertretung jeden Fehler der Frommen, neben welchem doch die Furcht Gottes und die allgemeine Absicht, gut zu handeln, noch bestehen bleibt. Er sagt: Ich tue nicht, was das Gesetz und was eigentlich auch ich selbst will; weil er nicht alles vollkommen erfüllt, sondern mitten auf gutem Wege oft müde wird.

Denn ich tue nicht, was ich will. – Das will nicht so verstanden sein, dass Paulus zu keiner Zeit habe irgendetwas Gutes ausrichten können. Vielmehr klagt er nur darüber, dass er nicht ausführen kann, was er sich vorsetzt, das heißt, dass ihm die ersehnte Leichtigkeit fehlt, Gutes zu tun, weil er sich sozusagen gebunden sieht; und auf der andern Seite, dass er einen Fall tut, wo er nicht will, weil er vermöge der Schwachheit des Fleisches nur hinken kann. Eine fromme Seele tut das Gute nicht, das sie will, weil ihr die gehörige Festigkeit fehlt; sie tut das Böse, das sie nicht will, weil sie gern stehen möchte und doch zum Fallen oder wenigstens ins Wanken kommt. Also dieses „Wollen“ und „Nichtwollen“ schreibt Paulus dem Geiste zu, der in den Gläubigen die Führung hat. Freilich besitzt auch das Fleisch seinen „Willen“. Aber als Willen im eigentlichsten Sinne bezeichnet der Apostel nur das, worein er die entscheidende Zustimmung des Herzens legte. Was damit streitet, davon sagt er, dass er es nicht wolle. Aus alledem wird noch einmal deutlich, was wir schon ausführten, dass dem Paulus hier die Gläubigen vorschweben, in welchen die Gnadenwirkung des Geistes in irgendeinem Grade lebendig ist und das Zusammenstimmen eines gesunden Sinnes mit der Gerechtigkeit des Gesetzes zur Geltung bringt. Denn im Fleische schlägt solcher Hass gegen die Sünde keine Wurzel.

So ich aber das tue, was ich nicht will, so gebe ich zu, dass das Gesetz gut sei. – Wenn in der beschriebenen Weise mein Herz nach dem Gesetz sich ausstreckt und an seiner Gerechtigkeit Wohlgefallen hat (was doch entschieden der Fall ist, wenn ihm die Übertretung hassenswert erscheint), so muss es ja fühlen und zugestehen, dass das Gesetz gut ist. So wird erfahrungsmäßig festgestellt, dass man dem Gesetz nichts Böses zuschreiben darf, ja dass dasselbe sogar den Menschen heilsam sein würde, wenn sie es nur mit rechtem und reinem Herzen aufnehmen wollten.

So tue nun ich dasselbe nicht. – Das soll keine Entschuldigung sein, wie viele Schwätzer allerdings ihre Untaten gedeckt glauben, wenn sie dieselben auf das Fleisch abwälzen. Vielmehr will Paulus bezeugen, wie weit sich sein geistlich gerichteter Wille von der Bahn des Fleisches entfernt. Denn die Gläubigen haben einen brennenden Eifer, Gott zu gehorchen; deshalb verleugnen sie ihr Fleisch. Dieser Ausspruch beweist von neuem, dass Paulus nur von bereits wiedergeborenen Frommen redet. Denn solange der Mensch sich selbst gleich bleibt, mag er so groß werden, wie er will, er bleibt doch durch und durch mit Sünde erfüllt. Paulus behauptet aber hier, dass ihn die Sünde nicht gänzlich ausfülle, ja er will sich über ihren Dienst erheben. Nur in einem Winkel des Herzens hat die Sünde noch ihren Sitz, der Mensch selbst streckt sich mit ernster, herzlicher Begier der Gerechtigkeit Gottes entgegen und beweist tatsächlich, dass er Gottes Gesetz im Herzen trägt.