RÖMER

Römer Kapitel 7 Teil IV

Römer 7.8b-12

Denn ohne Gesetz ist die Sünde tot. Ich aber lebte weiland ohne Gesetz; da aber das Gebot kam, ward die Sünde wieder lebendig, ich aber starb; und es fand sich, dass das Gebot mir zum Tode gereichte, das mir doch zum Leben gegeben war. Denn die Sünde nahm die Ursache am Gebot und betrog mich und tötete mich durch dasselbe Gebot. Das Gesetz ist ja heilig, und das Gebot ist heilig, recht und gut.

 

Denn ohne Gesetz ist die Sünde tot. – Dieser Satz macht den Sinn der bisherigen Ausführungen vollends klar. Paulus hätte auch schreiben können: Ohne das Gesetz liegt die Erkenntnis der Sünde begraben. Wir haben hier einen allgemeinen Grundsatz, welcher alsbald durch das eigene Beispiel des Paulus einen Beleg empfängt. Man darf also durchaus nicht in der Vergangenheitsform übersetzen: „war“ die Sünde tot. Denn offensichtlich ist hier die Rede noch allgemein und geht nun erst zu dem besonderen persönlichen Beispiel über:

Ich aber lebte weiland ohne Gesetz. – Paulus will zu verstehen geben, dass es eine Zeit gab, zu welcher die Sünde in ihm wie erstorben war. Nicht als ob zu irgendeiner Zeit er tatsächlich über das Gesetz erhaben gewesen wäre; vielmehr hat das „ich lebte“ einen eigenen Beigeschmack. Dieses „Leben“ ging daraus hervor, dass für ihn das Gesetz nicht vorhanden war. Das heißt, trotz seines inneren Todes spiegelte ihm das hochmütige Selbstvertrauen auf seine Gerechtigkeit vor, dass er lebe. Um deutlicher zu sein, muss der Satz folgendermaßen aufgelöst werden: Als ich einst ohne Gesetz war, da lebte ich. Der Sinn ist: Wenn ich auch, solange ich die Erkenntnis des Gesetzes beiseiteschob, in Sünden steckte, so war doch die für nichts geachtete Sünde dermaßen eingeschlafen, dass sie fast tot schien. Ich aber, da ich mich nicht für einen Sünder hielt, hatte Ruhe in mir und meinte Leben zu besitzen. Denn der Tod der Sünde bedeutet Leben für den Menschen, und wiederum bedeutet ein Lebendig-werden der Sünde für den Menschen Tod.

Nun fragt sich aber, welches die Zeit war, während welcher Paulus kraft seiner Unkenntnis oder (wie er selbst sagt) der Abwesenheit des Gesetzes kühnlich glaubte, Leben zu besitzen? Denn er wurde doch ohne Zweifel von Jugend auf im Gesetz unterwiesen. Doch das war nur eine Wissenschaft des Buchstabens, welche ihre Jünger nicht in die Demut leitete. So heißt es ja auch in 2. Korinther 3.14, auf der Juden Augen habe eine Decke gelegen, so dass sie das Licht des Gesetzes nicht sehen konnten. In dieser Weise waren die Augen des Paulus gehalten, solange er Christi Geist noch nicht besaß, so dass er an seiner Maske äußerlicher Gerechtigkeit Gefallen haben konnte. Das Gesetz war ihm fern, obgleich er es vor Augen hatte; denn es traf sein Herz nicht mit einer Empfindung des göttlichen Gerichts. So sind die Augen der Heuchler verbunden, dass sie nicht sehen, was das Gebot will: „Lass dich nicht gelüsten!

Da aber das Gebot kam, ward die Sünde wieder lebendig, ich aber starb. – Das heißt: Da ich eine wahre Einsicht in seine Bedeutung erlangte. Jetzt erweckte das Gesetz die Sünde gleichsam aus dem Tode. Denn es deckte die Finsternis der verborgenen Winkel seines Herzens auf und tötete damit ihn selbst.

Und es fand sich, dass das Gebot mir zum Tode gereichte, das mir doch zum Leben gegeben war. – Zweierlei lehrt dieser Satz. Erstens: Das Gesetz zeigt uns den Weg des Lebens in Gottes Gerechtigkeit. Es ist gegeben, die, welche es halten, zum ewigen Leben zu leiten; und es würde dies Ziel erreichen, wenn ihm nicht die allgemeine Sündhaftigkeit im Wege stünde. Darum zweitens: Weil keiner unter uns dem Gesetz gehorcht, vielmehr wir alle mit Händen und Füßen auf den Weg drängen, von welchem es uns abhalten will, so kann das Gesetz tatsächlich nur den Tod bringen. Es gilt also, wohl zu unterscheiden, was aus der Natur des Gesetzes und was aus unserer Sündhaftigkeit sich ergibt. Daraus folgt, dass es nur eine Nebenwirkung ist, wenn das Gesetz uns die Todeswunde schlägt, so wie etwa eine unheilbare Krankheit durch ein an sich gutes Mittel verschlimmert werden kann. Freilich ist diese Nebenwirkung unlöslich mit dem Gesetz verknüpft, so dass es im Gegensatz zum Evangelium ein „Amt des Todes“ heißen kann (2. Korinther 3.7). Dies aber bleibt bestehen, dass das Gesetz nicht vermöge seiner Natur uns schadet, sondern weil unsere Verkehrtheit seinen Fluch verdient und herbeizieht.

Die Sünde betrog mich. – Es ist zwar richtig, dass die Menschen längst betrogen sind und ihr ganzes Leben ein Irrweg ist, weil sie Gottes Willen nicht kennen und ihnen die Erleuchtung der Wahrheit fehlt. Aber dieser Betrug der Sünde wird erst durch das Gesetz deutlich enthüllt, wenn der Herr uns mit vernehmlicher Stimme anruft. Es ist also wiederum nicht an die Sache selbst, sondern nur an die Erkenntnis zu denken. „Betrügen“ könnte man umschreiben: Vom Wege aufschrecken und abdrängen. Den einst in Sicherheit dahingehenden Sünder packt ein Ekel vor sich selbst, wenn das Gesetz ihm die Hässlichkeit seines Wesens zeigt. Nun sieht er, dass sein Weg schnurstracks ins Verderben führt. Bei dieser Gelegenheit wiederholt (vergleiche Vers 8) Paulus den Ausdruck: Die Sünde nahm die Ursache. So wird uns noch einmal eingeprägt: Dass das Gesetz zum tödlichen Gift geworden, liegt nicht in seiner Natur, sondern in Umständen, die von außen hinzukamen.

Das Gesetz ist ja heilig, und das Gebot ist heilig, recht und gut. – Nachdrücklich steht zuerst „das Gesetz“, dann noch einmal „das Gebot“. Das Gesetz selbst und alle seine Vorschriften sind durch und durch heilig, und man muss ihm die tiefste Ehrfurcht entgegenbringen. Es ist recht: Also darf man keine Ungerechtigkeit darin finden wollen. Es ist gut: Also von jedem Fehler frei und rein. So hält der Apostel jeden Vorwurf vom Gesetz fern: Niemand darf Gottes Gesetz anklagen, wenn ihm selbst Güte, Gerechtigkeit und Heiligkeit mangelt.