RÖMER

Römer Kapitel 7 Teil III

Römer 7.7-8a

Was wollen wir denn nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber die Sünde erkannte ich nicht, außer durchs Gesetz. Denn ich wusste nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: „Lass dich nicht gelüsten!“ Da nahm aber die Sünde Ursache am Gebot und erregte in mir allerlei Lust.

 

Was wollen wir denn nun sagen? – Da wir soeben vernahmen, dass eine Erlösung vom Gesetz stattfinden muss, wenn anders der neue Gottesdienst im Geiste zustande kommen soll, so könnte es scheinen, als wäre das Gesetz an sich fehlerhaft, wenn es uns gewissermaßen zur Sünde treibt. Solcher Gedanke wäre nun über die Maßen abgeschmackt und muss gänzlich abgeschüttelt werden. Die Frage, ob das Gesetz Sünde sei, hat den Sinn: Ob es in einer solchen Weise Sünde hervorbringt, dass die Schuld davon auf das Gesetz selbst zurückfalle?

Aber die Sünde erkannte ich nicht, außer durchs Gesetz. – Also hat die Sünde ihren Sitz in uns, nicht im Gesetz. Denn sie geht aus der bösen Lust hervor, und diese lernen wir erst durchschauen, wenn uns das Gesetz Gottes Gerechtigkeit klar enthüllt. Natürlich muss man nicht glauben, dass, abgesehen vom Gesetz, die Menschen den Unterschied von Gut und Böse überhaupt nicht kennen. Doch sind wir so schwachsichtig, dass unser verkehrtes Wesen uns nur zu leicht verborgen bleibt, und unsere Selbstbespiegelung lässt uns immer stumpfer werden.

Denn ich wusste nichts von der Lust, wo das Gesetz nicht hätte gesagt: „Lass dich nicht gelüsten!“ – Diese Aussage dient zur Erläuterung des vorigen Satzes: Dass der Mensch die Sünde nicht kannte, lag darin, dass er seine böse Lust nicht durchschaute. Bei dieser Wurzel der Sünde verweilt der Gedanke noch etwas, weil hier die Heuchelei und mit ihr Nachlässigkeit und Trägheit am leichtesten Eingang findet. Gegenüber den äußeren Werken begibt man sich ja nicht so schnell des Urteils. Selbst verbrecherische Anschläge und dergleichen Absichten erscheinen den Menschen verdammenswert, und umgekehrt empfängt ein guter Wille sein Lob. Aber der Fehler der bösen Lust sitzt tiefer und verborgener. Darum kommt er den Menschen nicht in den Sinn, solange sie nach ihrem eigenen Maßstabe urteilen. Allerdings will Paulus nicht sagen, dass ihm dieser Fehler überhaupt nicht bewusst gewesen sei, sondern nur, dass seine allzu große Nachsicht gegen sich selbst des im Herzen verborgenen Schadens nicht geachtet habe. Zuzeiten lebte er in der Selbsttäuschung, gerecht zu sein trotz der bösen Lust. Endlich musste er doch seine Sündhaftigkeit erkennen, als er sah, dass das Gesetz die Lust verbietet, von welcher doch niemand frei ist. Augustin sagt, dass Paulus in diesem einen Gebot das ganze Gesetz mit begriffen habe. Das ist richtig, wenn man es recht versteht. Denn das Gebot der Lust, welches die zweite Tafel von den Pflichten gegen den Nächsten abschließt, will ohne Zweifel auf alle zuvor gegebenen Einzelgebote bezogen sein. Freilich liegt auch schon in den Einzelgeboten jedes Mal ein entsprechendes Verbot böser Erwägungen und Absichten in dem bezeichneten Stücke. Aber zwischen einem bewussten Willen und den Lustregungen, die uns durchzittern, ist doch noch ein Unterschied. So fordert denn dieses letzte Gebot ausdrücklich eine solche Vollkommenheit, die – noch ganz abgesehen von der Zustimmung des Willens – jedes Aufsteigen einer verkehrten Lust zum Bösen ausschließt. So erhebt sich Paulus mit diesem letzten Gebot über alle gemeinen Begriffe der Menschen. Mögen bürgerliche Gesetze zuweilen aussprechen, dass sie die Absicht und nicht den Erfolg einer Handlung ins Auge fassen. Mögen Philosophen noch feiner den Sitz des Lasters und der Tugend im Gemüte finden: Gott dringt mit diesem Gebot bis zur letzten Regung der Lust hindurch, welche noch hinter dem Willen steht, und welche deshalb nicht für sündhaft gehalten zu werden pflegt. Auch die Papisten lehren ja, dass der Wiedergeborene sündlos sei, weil sie eben die auch ihm anhaftende böse Lust nicht als Sünde gelten lassen. Paulus dagegen erklärt, dass gerade diese verborgene Krankheit ihn seiner Schuld überführt habe. Darauf folgt, dass, die an dieser Krankheit leiden, unentschuldbar sind, wenn nicht Gott ihre Schuld verzeiht. Immerhin bleibt noch jener Unterschied bestehen zwischen bösen Begierden, welche bis zur Zustimmung des Willens sich auswachsen, und der Lust, welche das Herz durchzieht und berührt, dann aber auf halbem Wege stehen bleibt.

Da nahm aber die Sünde Ursache am Gebot und erregte in mir allerlei Lust. – Der wirkliche Ursprung alles Bösen liegt in der Sünde und der Verderbnis des Fleisches. Das Gesetz bietet nur weitere Ursache und Anlass zum Hervorbrechen. Dabei ließe sich möglicherweise an den tatsächlichen Anreiz denken, mit welchem das Gesetz unsere Lust bis zu wahnsinnigem Widerspruch steigert. Besser aber bezieht man den Ausspruch nur auf die Erkenntnis der Sünde: Das Gesetz deckte in mir die Lust auf, welche, solange sie zugedeckt blieb, kaum zu existieren schien. Ich will zwar durchaus nicht leugnen, dass das Fleisch sich durch das Gesetz zu entschiedener widerstrebender Lust angestachelt fühlt. Auch Paulus hat davon eine Erfahrung besessen. Aber was ich bezüglich der klareren Offenbarung für die Erkenntnis gesagt habe, dürfte doch besser in den Zusammenhang passen. Denn nun fährt Paulus fort: