RÖMER

Römer Kapitel 6 Teil VI

Römer 6.14-18

Denn die Sünde wird nicht herrschen können über euch, sintemal ihr nicht unter dem Gesetze seid, sondern unter der Gnade. Wie nun? Sollen wir sündigen, dieweil wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind? Das sei ferne! Wisset ihr nicht: welchem ihr euch begebet zu Knechten in Gehorsam, des Knechte seid ihr, dem ihr gehorsam seid, es sei der Sünde zum Tode oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit? Gott sei aber gedankt, dass ihr Knechte der Sünde gewesen seid, aber nun gehorsam geworden von Herzen dem Vorbilde der Lehre, welchem ihr ergeben seid. Denn nun ihr frei geworden seid von der Sünde, seid ihr Knechte geworden der Gerechtigkeit. 

 

Denn die Sünde wird nicht herrschen können über euch, sintemal ihr nicht unter dem Gesetze seid, sondern unter der Gnade. – Das ist ein Trost für die Gläubigen und eine Ermunterung, um der Erfahrung ihrer Schwachheit willen nicht im Eifer der Heiligung nachzulassen. Der Apostel hatte uns ermahnt, alle Kräfte für den Dienst der Gerechtigkeit einzusetzen. Da aber die Reste des Fleisches uns umgeben, kann es nicht ausbleiben, dass wir einigermaßen hinken. Damit wir nun unter dem Bewusstsein der Schwachheit nicht den Mut verlieren, kommt uns das Trostwort zu rechter Zeit zu Hilfe: Gott fordert nicht mehr Werke nach dem strengen Maßstabe des Gesetzes, sondern Er nimmt gnädig und nachsichtig an, was wir bringen, weil die anhaftende Unreinigkeit unter der Vergebung steht. Das Joch des Gesetzes kann man nicht tragen, ohne sich daran zu stoßen und zu reiben; so bleibt nichts übrig, als dass die Gläubigen zu Christus fliehen, ihrem Erlöser aus der Knechtschaft. Er erweist sich als der Erlöser. Denn Er ward unter das Gesetz getan, dem Er doch sonst nicht verpflichtet war, um die zu erlösen, die unter dem Gesetze waren (Galater 4.5). Die Gnade, unter der wir stehen, begreift die beiden Teile der Erlösung in sich: Die Vergebung der Sünden, kraft deren uns Gott Gerechtigkeit zurechnet, und die Erneuerung durch den Heiligen Geist, welche uns zu guten Werken tüchtig macht. Diese Gnade steht im Gegensatz zum Gesetz; weil wir unter ihr stehen, sind wir nicht mehr unter dem Gesetz. Nun liegt der Sinn des Satzes klar: Die Gläubigen dürfen bei aller Unvollkommenheit nicht verzagen und müde werden, Gutes zu tun. Mag uns die Sünde mit ihren Stichen noch verwunden, überwinden kann sie uns nicht, weil Gottes Geist uns den Sieg gibt und weiter, weil wir, durch Gnade gedeckt, frei sind von den harten Drohungen des Gesetzes. Dabei erscheint ohne weiteres vorausgesetzt, dass alle, welche nicht im Besitz der göttlichen Gnade sich befinden, unter dem Druck und der Verdammnis des Gesetzes liegen. Und daraus lässt sich wiederum schließen, dass, solange die Menschen unter dem Gesetze sind, sie auch von der Sünde beherrscht werden.

Wie nun? Sollen wir sündigen, dieweil wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind? – Wieder muss der Apostel einem Einwand begegnen; denn die Weisheit des Fleisches hängt nur zu leicht ihre Missverständnisse an Gottes Geheimnisse. Ist das Gesetz als Regel des sittlichen Lebens den Menschen zur Zucht gegeben, so scheint mit seiner Abschaffung alle Zucht zu fallen, jede Schranke zu weichen und der Unterschied von Gut und Böse zu verschwinden. Aber es ist eben ein Irrtum, zu glauben, dass mit der Abschaffung des Gesetzes auch die Gerechtigkeit nicht mehr gelte, welche Gottes Gesetz fordert. Die Gebote zum rechten Leben bleiben in Geltung: Christus hat sie nicht beseitigt, sondern feierlichst bestätigt. Die Lösung der Schwierigkeit liegt darin, dass nur der Fluch des Gesetzes aufgehoben ward, welchem außerhalb des Bereichs der Gnade alle Sterblichen unterliegen. Diese Lösung gibt Paulus nicht rund und klar, er lässt sie nur auf Umwegen erschlossen werden.

Das sei ferne! Wisset ihr nicht: welchem ihr euch begebet zu Knechten in Gehorsam, des Knechte seid ihr, dem ihr gehorsam seid, es sei der Sünde zum Tode oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit? – Zu der entrüsteten Abweisung des frevelhaften Gedankens fügt Paulus auch einen Beweis dafür, dass Christus und der Dienst der Sünde in Widerstreit stehen und man nicht Christus und die Sünde zugleich haben kann. Sündigen wir, so begeben wir uns zu Knechten in den Gehorsam der Sünde. Nun aber sind die Gläubigen im Gegenteil erlöst von der Tyrannei der Sünde, damit sie Christus dienen; also ist es für sie eine Unmöglichkeit, an die Sünde gefesselt zu bleiben. Doch es wird nützlich sein, den einzelnen Sätzen dieser Beweisreihe nach Anleitung des Apostels genauer nachzudenken.

Des Knechte seid ihr, dem ihr, das heißt weil ihr ihm gehorsam seid. – Der Gehorsam liefert den Beweis dafür, dass der, welcher solchen Gehorsam erzwingt, ein Recht zum Befehlen hat. Sind wir Knechte der Sünde, so muss die Herrschaft wohl der Sünde zukommen.

Oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit? – Eine ungenaue Redeweise. Streng genommen hätte der Apostel sagen müssen: Der Gerechtigkeit zum Leben. So erst wäre der Gegensatz scharf gewesen. Da aber der Gedanke auch so verständlich bleibt, wollte der Apostel mit dem Worte „Gehorsam“ zugleich daran erinnern, worin eigentlich die Gerechtigkeit besteht. „Gehorsam“ schlechthin, ohne genauere Bestimmung, kann dabei gesagt werden, weil die Gewissen zuletzt an Gott allein gebunden sind und es einen andern Gehorsam als gegen Gott schließlich nicht gibt.

Gott sei aber gedankt, dass ihr Knechte der Sünde gewesen seid. – Der Apostel erinnert nicht einfach daran, dass die Christen nicht mehr Knechte der Sünde sind, sondern er fügt eine Danksagung hinzu, um einzuprägen, dass diese Veränderung nicht auf eigenem Verdienst, sondern auf dem besonderen Erbarmen Gottes ruht. Solcher Dank soll uns Gottes Wohltat umso besser erkennen und deshalb die Sünde umso tiefer verabscheuen lehren. Nicht deshalb werden wir aus der Knechtschaft des Gesetzes entlassen, damit wir hinfort sündigen dürften. Denn das Gesetz verliert seine Herrschaft erst, wenn uns die Gnade Gottes, welche in uns Gerechtigkeit schaffen will, zu ihrem Eigentum nimmt. Deshalb können wir unmöglich der Sünde dienen, wenn Gottes Gnade in uns herrscht. Haben wir doch oben schon ausgesprochen, dass diese Gnade den Geist der Erneuerung in sich birgt.

Aber nun gehorsam geworden von Herzen dem Vorbilde der Lehre, welchem ihr ergeben seid. – Damit enthüllt Paulus den Gegensatz zwischen dem äußerlich fordernden Buchstaben und dem verborgen wirkenden Geist. Es ist, als wollte er sagen: Viel besser als das Gesetz mit seinem Drohen und Zwingen weiß Christus die Herzen innerlich zu gestalten. Er gestaltet sie, nicht, wie einige übersetzen, nach der Form, sondern nach dem Vorbild der Lehre. Damit ist das ausgeprägte Bild eines gerechten Lebens gemeint, welches Christus in unserm Herzen erweckt. Dies entspricht der Vorschrift des Gesetzes, nach welcher alle unsere Handlungen sich bilden müssen, wenn sie weder zur Rechten noch zur Linken abweichen sollen.

Denn nun ihr frei geworden seid von der Sünde, seid ihr Knechte geworden der Gerechtigkeit. – Es ist ungereimt, nach der Freilassung noch im Stande der Knechtschaft zu verharren. Es gilt, den Stand der Freiheit, den wir empfangen haben, festzuhalten. Wer durch Christi Erlösung frei geworden ist, der darf sich nicht wieder unter die Herrschaft der Sünde zwingen lassen. Dieser Beweis ergibt sich aus der erfolgten Tatsache der Freilassung. Ein weiterer Beweis wird aus deren Zweck und Absicht hergeleitet: Ihr seid von dem Sündendienst erlöst, um in das Reich der Gerechtigkeit versetzt zu werden; also müsst ihr die Sünde gänzlich vergessen und euren ungeteilten Sinn zur Gerechtigkeit kehren, unter deren Herrschaft ihr getreten seid. Hier lässt sich beobachten, dass niemand der Gerechtigkeit dienen kann, er wäre denn zuvor durch Gottes Macht und Gabe aus der Knechtschaft der Sünde erlöst. So bezeugt ja auch Christus selbst (Johannes 8.36): „So euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei.“ Wie nichtig sind unsere Anstrengungen aus Kraft des freien Willens, wo doch die Grundlage alles Guten jene Freilassung ist, die allein Gottes Gnade vollbringt!