RÖMER

Römer Kapitel 5 Teil VI

Römer 5.12-14

Derhalben, wie durch einen Menschen die Sünde ist gekommen in die Welt und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben; denn die Sünde war wohl in der Welt bis auf das Gesetz; aber wo kein Gesetz ist, da achtet man der Sünde nicht. Doch herrschte der Tod von Adam an bis auf Mose auch über die, die nicht gesündigt haben mit gleicher Übertretung wie Adam, welcher ist ein Bild des, der zukünftig war.

 

Derhalben, wie durch einen Menschen die Sünde ist gekommen in die Welt und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben. – Jetzt schickt sich der Apostel an, die bisher vorgetragene Lehre dadurch in ein noch helleres Licht zu rücken, dass er ihr ihren Gegensatz gegenüberstellt. Ist Christus gekommen, um uns aus dem Elend zu erlösen, in welches Adam sich und alle seine Nachkommen gestürzt hatte, so können wir ja, was wir an Christus haben, nicht besser erkennen, als wenn uns gezeigt wird, was wir in Adam verloren haben. Freilich entsprechen sich nicht alle Stücke im Stande des Verderbens und im Stande der Erlösung völlig. Deshalb werden wir mit Paulus auch manchen Unterschied anzumerken haben. Einigermaßen undeutlich wird die Rede dadurch, dass das zweite Glied des angelegten Vergleichs abgebrochen erscheint. Unsere Auslegung wird den Gedankengang gegebenen Orts zu glätten suchen.

Durch einen Menschen die Sünde ist gekommen in die Welt und der Tod durch die Sünde, und ist also der Tod zu allen Menschen durchgedrungen. – Beachtenswert ist hier die Reihenfolge der Stücke: Die Sünde geht voran, und aus ihr folgt der Tod. Dies gilt es zu betonen. Es ist ja nicht so, dass Adams Sünde uns ohne jede eigene Schuld lediglich deshalb ins Verderben stürzte, weil er gewissermaßen an unserer statt gesündigt hätte. Denn Paulus sagt ausdrücklich, der Tod sei zu allen Menschen hindurch gedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben. „Sündigen“ heißt hier: Verderben und Schlechtigkeit an sich tragen. Denn jene natürliche Verkehrtheit, die uns von Mutterleibe her anhaftet, ist vor Gott Sünde und verdient seine Strafe, wenn auch ihre Früchte nicht sofort sichtbar werden. Es handelt sich also um die so genannte Erbsünde. Als Adam geschaffen ward, schenkte Gott ihm die Gaben Seiner Gnade für ihn und seine Nachkommen; als er vom Herrn abfiel, hat er in der seinigen auch unsere Natur in Verderben, Schlechtigkeit und Verkehrtheit hinab gezogen. Losgelöst von Gottes Ebenbilde konnte er nur eine Nachkommenschaft erzeugen, die ihm auch in diesem Stücke ähnlich war. Wir haben also alle gesündigt, weil wir alle in dem Verderben der Natur stecken und deshalb schlecht und untüchtig sind. Denn was die Pelagianer [Anhänger des Mönchs Pelagius, gest. etwa im Jahre 420, welcher eine so weitgehende Freiheit des menschlichen Willens lehrte, dass jeder Einfluss sowohl der verderbten Natur als auch der göttlichen Gnade ausgeschlossen erscheint. Jeder einzelne Mensch soll seinen Fall wie seine Erneuerung lediglich dem eigenen sittlichen Entschluss zuschreiben. Gegen diese Lehre, welche die Grundlage des christlichen Erlösungsglaubens zerstört, und deren Spuren in der rationalistischen Denkweise wiederkehren, ist namentlich Augustinus aufgetreten] einst in Widerspruch mit dem Satze des Paulus vorgetragen haben, ist ein albernes Gerede; es soll nämlich lediglich dadurch die Sünde sich über das ganze Menschengeschlecht verbreitet haben, dass jeder einzelne Mensch ebenso in Sünde gefallen ist wie Adam. Dabei würde aber auch Christus nur als Vorbild, nicht als Urheber unserer Gerechtigkeit dastehen. – Weiter ist klar, dass Paulus von der Tatsünde hier gar nicht redet. Denn wenn jeder sich die Schuld persönlich zuziehen sollte, dürfte ja Adam nicht mit Christus in Vergleich gestellt werden. Also denkt der Apostel hier an die angeborene Erbsünde.

Bis auf das Gesetz. – Diese Worte kommen einem Einwurf zuvor. Da es nämlich ohne Gesetz keine Übertretung zu geben scheint, so konnte der Zweifel erhoben werden, ob denn vor dem Gesetz bereits Sünde vorhanden gewesen sei. Dass sie nach dem Gesetz vorhanden war, verstand sich von selbst: Nur wegen der Zeit vor Erlass des Gesetzes blieb die Frage unentschieden. Deshalb stellt Paulus fest, dass das Menschengeschlecht auch damals schon, und zwar von Mutterleibe an, unter dem Fluch gestanden hat, obwohl noch kein geschriebenes Gesetz Gottes das Urteil sprach. Vollends kann für diejenigen keine Entschuldigung gelten, welche vor Erlass des Gesetzes in groben Sünden und Lastern gelebt haben. Denn von jeher existierte der Gott, welchem Ehre gebührte, und immer gab es irgendeine Regel der Gerechtigkeit. Diese Auslegung ist so klar und glatt, dass abweichende Ansichten damit von selbst hinfallen.

Wo kein Gesetz ist, da achtet man der Sünde nicht. – Ohne das Drohen des Gesetzes schlafen wir sozusagen auf unsern Fehlern ein. Dabei sündigen wir fort und fort; aber wir übertäuben, soviel an uns ist, die sich aufdrängende Erkenntnis des Bösen und suchen so schnell wie möglich zu vergessen. Endlich aber überführt und straft uns das Licht, es stößt uns gewissermaßen, um uns wach zu machen, und will das Gericht Gottes in unser Gedächtnis zurückrufen. Der Apostel sagt also: Wie die Menschen nun einmal in ihrer Verkehrtheit stecken, bedürfen sie der Erweckung durch das Gesetz; ohne diese verwischen sie den Unterschied von Gut und Böse zu einem guten Teile und lassen sich in ruhiger Sicherheit gehen, als gäbe es kein Gericht Gottes. Dass übrigens Gott der Sünde wohl geachtet und sie den Menschen angerechnet habe, dafür steht die Strafe Kains ein, ferner die Sintflut, welche die ganze Erde überflutete, das Gericht über Sodom, die um Abrahams willen über Pharao und Abimelech verhängten Strafen. Auch die Menschen haben gegenseitig ihre Sünde geachtet und haben sie einander zugerechnet; dafür zeugen die mannigfachen Klagen und Streitereien, in welchen die einen den andern ihre Ungerechtigkeiten vorwerfen, und wiederum der Eifer, mit welchem sie ihre Taten zu rechtfertigen suchen. Endlich befasst auch jeder für sich ein Bewusstsein von Gut und Böse, wofür viele Beispiele sich beibringen ließen. Aber meistens nahmen sie es mit ihren Fehlern leicht, so dass sie ohne besonderen Zwang der Sünde nicht achteten. Wenn also der Apostel sagt: „Wo kein Gesetz ist, da achtet man der Sünde nicht“, so meint er dies nur verhältnismäßig: Die Menschen versinken in Sorglosigkeit, wenn sie kein Stachel des Gesetzes trifft.

Doch herrschte der Tod von Adam an. – Doch herrschte der Tod von Adam an. Hier wird es vollends deutlich, dass den Menschen von Adam an bis zum Erlass des Gesetzes ihr leichtsinniges und sicheres Leben, in welchem sie sich über den Unterschied von Gut und Böse hinwegsetzen wollten, nichts genützt hat. War auch ohne die Mahnungen des Gesetzes die Erinnerung an die Sünde begraben, so trug die Sünde selbst doch ihre Frucht zur Verdammnis. Darum hat auch damals der Tod geherrscht; denn der Menschen Blindheit und Verstockung konnte Gottes Gericht nicht aufhalten.

Auch über die, die nicht gesündigt haben mit gleicher Übertretung wie Adam. – Dieser Satz pflegt gewöhnlich beigebracht zu werden, um zu beweisen, dass auch die kleinen Kinder, die noch keine Tatsünden begangen haben, um der Erbsünde willen in die Verdammnis gehen. Aber der Zusammenhang weist darauf hin, dass von solchen die Rede ist, welche vor dem Gesetz und ohne dasselbe gesündigt haben, und welche deshalb ihrer Sünde nicht achteten. Diese Leute haben nicht mit gleicher Übertretung wie Adam gesündigt, weil ihnen kein deutlicher Befehl den Willen Gottes vor Augen stellte. Dem Adam hatte Gott befohlen, vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen nicht zu essen. Die folgenden Geschlechter aber besaßen kein Gebot außer dem Zeugnis des Gewissens. Der Apostel will also zu verstehen geben, dass dieser Unterschied zwischen Adam und seinen Nachkommen für die Frage der Schuld und Verdammnis gar nichts austrägt. Unter diesen allgemeinen Grundsatz fallen dann allerdings auch die Kinder.

Welcher ist ein Bild des, der zukünftig war. – Diese Worte bringen dem Sinne nach das zweite Glied des vorher (Vers 12) abgebrochenen Vergleichs. Paulus wollte etwa schreiben: Wie durch einen Menschen die Sünde in die ganze Welt gekommen ist, und durch die Sünde der Tod, so kehrte durch einen Menschen die Gerechtigkeit wieder, und durch die Gerechtigkeit das Leben. Dass er aber Adam als ein Abbild Christi bezeichnet, lässt sich wohl begreifen, denn auch bei dem stärksten Gegensatz bleibt eine bestimmte Übereinstimmung. Denn wie durch Adams Sünde alle verderbt wurden, so bringt Christi Gerechtigkeit für alle eine Wiederherstellung. Es ist aber zu beachten, dass Adam nicht als Urbild der Sünde und Christus nicht als Urbild der Gerechtigkeit bezeichnet wird, als ob sie uns nur mit ihrem Beispiel vorangingen! Es wird vielmehr Adam mit Christus, Christus mit Adam verglichen.