RÖMER

Römer Kapitel 4 Teil I

Römer 4.1-3

Was sagen wir denn von unserm Vater Abraham, dass er gefunden habe nach dem Fleisch? Das sagen wir: Ist Abraham durch die Werke gerecht, so hat er wohl Ruhm, aber nicht vor Gott. Was sagt denn die Schrift? „Abraham hat Gott geglaubt, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.“

 

Was sagen wir denn von unserm Vater Abraham, dass er gefunden habe nach dem Fleisch? – Der Beweis wird nun durch ein in Person und Sache gleicherweise zutreffendes Beispiel gestützt, denn Abraham ist der Vater der Gläubigen, in dessen Fußstapfen wir alle treten müssen; und um die Gerechtigkeit zu erlangen gibt es nur einen Weg, nicht mehrere. Unter gewöhnlichen Umständen müsste man die Berufung auf ein einzelnes Beispiel vielleicht für unzureichend erklären, weil aber die Person Abrahams als ein Spiegel und Musterbild eben derjenigen Gerechtigkeit dastand, welche der ganzen Gemeinde gehören sollte, so bezieht Paulus, was von ihm geschrieben steht, mit Recht auf den ganzen Leib der Kirche. Zugleich trifft er auch die Juden, die ja mit Vorliebe sich der Abrahamskindschaft rühmten, an ihrem empfindlichsten Punkte: Sie konnten doch unmöglich heiliger sein wollen als der Erzvater. Konnte aber dieser nur aus Gnaden Rechtfertigung finden, so mussten ja seine Nachkommen, deren Anmaßung sich eine eigene Gerechtigkeit aus dem Gesetze aufbaute, vor Scham in die Erde sinken.

Nach dem Fleisch. – Wegen der Wortstellung des griechischen Textes verstehen viele Ausleger den Satz so: „Was sagen wir denn von unserm Vater Abraham, dass er gefunden habe nach dem Fleisch?“, das heißt: In natürlicher Weise, aus eigener Kraft. Ich ziehe die Verbindung vor: „Abraham, unser Vater nach dem Fleisch.“ Denn ein solches nach dem eigenen Geschlecht beigebrachtes Beispiel musste namentlich auf Juden einen tiefen Eindruck machen. Sollten sie von der Bahn ihres viel gerühmten Stammvaters ablenken?

Das sagen wir: Ist Abraham durch die Werke gerecht, so hat er wohl Ruhm, aber nicht vor Gott. – Dieser Satz ist das erste Glied einer nicht ausdrücklich zu Ende geführten Schlusskette. Das zweite Glied lautet: Aber nicht vor Gott, das heißt, wir finden aber nicht, dass Abraham sich irgendeines Verdienstes Gott gegenüber gerühmt habe. Die von Paulus nicht ausgesprochene Folgerung lautet: Also kann seine Gerechtigkeit nicht durch Werke zustande gekommen sein. Der zweite Satz der Schlusskette, dass Abraham Gott gegenüber keinen Ruhm haben wollte, wird nun durch ein Bibelwort bekräftigt:

Was sagt denn die Schrift? „Abraham hat Gott geglaubt, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet.“ – Denn wenn Abraham Rechtfertigung erfährt, weil er im Glauben Gottes Gnade ergreift, so kann er selbst ja keinen Ruhm haben, denn er hat nichts hinzu gebracht als das Bekenntnis seines Elendes, welches nach Barmherzigkeit schreit. Dabei erscheint ohne weiteres vorausgesetzt, dass die Gerechtigkeit dem Sünder Schutz und Zuflucht bietet, der an seinen Werken verzagt. Wenn es nämlich eine Gerechtigkeit des Gesetzes oder der Werke gäbe, so würde dieselbe im Menschen selbst ihren Sitz haben; der Glaube aber entlehnt von außen, was ihm fehlt, daher die Gerechtigkeit des Glaubens ganz richtig eine zugerechnete Gerechtigkeit genannt wird.

Das zitierte Bibelwort stammt aus 1. Mose 15.6. Der dort beschriebene Glaube bezieht sich nicht auf irgendeine zufällige Zusage Gottes, sondern auf den gesamten Bund des Heils und die Gnade der Kindschaft. Diese hat Abraham im Glauben ergriffen. Freilich lautet ja Gottes Zusage auf eine künftige zahlreiche Nachkommenschaft; aber eben diese Verheißung gründete sich auf die freie Annahme zur Gotteskindschaft. Denn niemals wird Heil ohne Gottes Gnade, noch Gottes Gnade ohne Heil verheißen. Und wiederum: Gottes Gnade und das ewige Heil empfangen wir nur, indem uns die Gerechtigkeit geschenkt wird. Will man recht begreifen, dass Paulus mit vollem Rechte das alttestamentliche Wort für seinen Gedanken anführt, so muss man die Tatsache ins Auge fassen, dass die Verheißung an Abraham ein Zeugnis der göttlichen Gnade ist. Gott will den Abraham der Gotteskindschaft und Seiner väterlichen Güte gegen ihn gewiss machen; dazu gehört aber auch irgendwie das ewige Heil durch Christus. Glaubt also Abraham, so glaubt er nur, dass die ihm angebotene Gottesgnade eine Wirklichkeit ist. Und wenn ihm dies zur Gerechtigkeit gerechnet wird, so sieht man ja: Er ist auf keine andere Weise gerecht, als weil sein Vertrauen auf Gottes Güte kühnlich alles von Gott erwartet. In und mit der Verheißung ergreift also Abraham die ihm angebotene Gottesgnade, und er konnte spüren, dass er eben dadurch die Gerechtigkeit empfing. Soll die Gerechtigkeit zustande kommen, so müssen in dieser Weise Verheißung und Glaube aufeinander treffen. Dabei wollen wir ausdrücklich bemerken, was der Ausdruck unserer Stelle an die Hand gibt: „Gerechtfertigt werden“ heißt, die Gerechtigkeit zugerechnet bekommen. Also ist hier gar nicht die Rede davon, wie die Menschen in sich sind, sondern wie Gott sie ansieht. Natürlich will Paulus nicht sagen, dass diese freie Gnade Gottes ohne ein gutes Gewissen und ein reines Leben sein könne, aber zunächst muss bei der Frage, warum Gott uns liebt und für gerecht schätzt, der Christus in den Mittelpunkt rücken, dessen Gerechtigkeit uns deckt.