RÖMER

Römer Kapitel 3 Teil VII

Römer 3.21-22

Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart und bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesum Christum zu allen und auf alle, die da glauben.

 

Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. – Ob man „Gerechtigkeit Gottes“, wie die Worte im griechischen Text heißen, übersetzen soll: „Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt“ oder „die Gerechtigkeit, welche Gott uns schenkt“ ist eine untergeordnete Frage (vergleiche auch zu 1.17). Denn auch in letzterem Falle steht fest, dass die von Gott dem Menschen geschenkte Gerechtigkeit, welche allein als solche vor Gott gilt und Anerkennung findet, offenbart wurde ohne Zutun, das heißt ohne Mithilfe des Gesetzes. Und bei diesem Gesetz muss man an die Werke insgesamt denken, deren Verdienst also in jedem Falle ausgeschlossen bleibt. Die Werke erscheinen auch nicht im Verein mit der Barmherzigkeit Gottes wenigstens als ein Nebengrund unserer Gerechtigkeit. Jeder Gedanke an sie bleibt völlig ausgeschlossen, und Gottes Erbarmen bildet den alleinigen Grund. Nun weiß ich freilich, dass Augustinus und viele neuere Lehrer, welche damit eine besondere Weisheit entdeckt zu haben glauben, die „von Gott geschenkte Gerechtigkeit“ als die Gnadengabe der Wiedergeburt deuten, welche deshalb ein Geschenk der freien Gnade sein soll, weil Gottes Geist es ist, der ohne irgendein vorhergegangenes Verdienst in uns die Erneuerung schafft. Werkes des Gesetzes sollen deshalb davon ausgeschlossen sein, weil die Menschen aus eigner Kraft, abgesehen von der geschenkten Erneuerung, kein Verdienst erwerben können. Aber der Apostel schließt aus dem Handel der Rechtfertigung alle und jede Werke aus, auch diejenigen, welche Gott in den Seinen wirkt. Das wird der Zusammenhang der Rede vollends deutlich machen. Denn Abraham (Vers 4.2) war zu der Zeit, von welcher Paulus sagt, er sei nicht durch Werke gerecht geworden, ohne Zweifel wiedergeboren und vom Geiste Gottes getrieben. Aus der Rechtfertigung des Menschen scheiden also nicht bloß die Werke der so genannten natürlichen Moral aus, sondern auch die Werke der Gläubigen. Wenn ferner als Beschreibung der Gerechtigkeit (Vers 4.6-7) der Spruch dasteht: „Selig sind die, welchen ihre Ungerechtigkeiten vergeben sind“, so ist von gar keinen Werken irgendwelcher Art die Rede, sondern mit Ausschluss alles Verdienstes der Werke erscheint als ein Grund der Gerechtigkeit die Vergebung der Sünden. Nun meint man allerdings, es stimme ganz gut zusammen, dass der Mensch durch den Glauben und Christi Gnade gerechtfertigt werde; und dass er doch die Rechtfertigung auch durch Werke erlange, denn die Werke erwüchsen ja aus der Erneuerung des Geistes, und diese wieder verdanken wir der göttlichen Gnade und empfangen sie durch den Glauben. Aber Paulus hegt viel tiefere Gedanken: Er weiß, dass die Gewissen nicht stille werden, bis sie allein in Gottes Erbarmen ruhen. So kann er (2. Korinther 5.19-21) sagen: Gott war in Christus und schaffte der Welt Versöhnung und Gerechtigkeit; und kann erläuternd hinzufügen: Dies geschah dadurch, dass Er ihnen ihre Sünde nicht zurechnete. So stellt er auch im Galaterbrief (3.12) das Gesetz in einen Gegensatz zum Glauben: Es kann nicht Gerechtigkeit schaffen, weil es das Leben nur denen verspricht, welche tun, was es gebietet. Nun fordert aber das Gesetz nicht nur einen Schein- und Buchstabendienst, sondern völlige Liebe zu Gott. Daraus folgt, dass die Gerechtigkeit des Glaubens für irgendwelches Verdienst der Werke keinen Raum lässt. Es ist also eine ganz oberflächliche Rede, wenn man sagt, wir würden in Christus gerechtfertigt, weil wir als Glieder Christi durch Seinen Geist erneuert werden; wir würden durch den Glauben gerechtfertigt, weil wir durch den Glauben dem Leibe Christi eingefügt werden; wir würden aus Gnaden gerechtfertigt, weil zuvor Gott in uns nichts anderes fand als Sünde. Vielmehr: Wir empfangen unsere Rechtfertigung in Christus, weil sie außer uns liegen muss; wir empfangen sie durch den Glauben, weil wir uns allein auf Gottes Barmherzigkeit und die Zusagen Seiner freien Gnade stützen müssen; wir empfangen sie umsonst, weil Gott uns dadurch mit sich versöhnt, dass Er unsere Sündenschuld begräbt. Bei dem allen darf man nun durchaus nicht bloß an den Anfang des Gerechtigkeitsstandes denken, wie manche Träumer wollen. Denn der Spruch: „Selig sind, welchen ihre Ungerechtigkeiten vergeben sind“ traf doch auf David noch immer zu, als er sich schon längst im Dienste Gottes geübt hatte. Und Abraham, der als ein Muster seltener Heiligkeit dastand, konnte noch 30 Jahre nach seiner Berufung kein Werk aufweisen, dessen er sich vor Gott rühmen durfte; dass er der Verheißung glaubt, wird ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. Diese Predigt des Paulus, dass Gott die Menschen rechtfertigt, indem Er ihnen die Sünden vergibt, soll in der Kirche stetig widerklingen. Der Friede des Gewissens, den jeder Seitenblick auf die Werke stören kann, soll eben nicht bloß einen Tag anhalten, sondern das ganze Leben. So folgt, dass wir bis zum letzten Atemzuge auf keine andere Weise gerecht sein können, als dass wir allein auf Christus blicken, in welchem Gott uns zu Seinen Kindern angenommen hat, und in welchem wir Ihm angenehm sind. Aus dem allen lässt sich ersehen, wie falsch der Vorwurf ist, dass wir das Wörtlein „allein aus Gnaden“ erst in die Bibel hineingelesen hätten, welches doch so nicht darin stünde. Liegt aber die Gerechtigkeit einerseits nicht im Gesetz, andererseits auch nicht in, sondern außer uns, so muss sie wohl der Gnade allein zugeschrieben werden. Hängt sie aber allein an der Gnade, so auch allein am Glauben. –

Das Wörtlein nun könnte einfach einen Gegensatz des Gedankens einleiten. Besser aber wird es noch sein, an einen wirklichen Fortschritt der Zeit zu denken: Jetzt, nachdem Christus im Fleische erschienen ist und das Evangelium von Ihm gepredigt wird, ist die Offenbarung der Glaubensgerechtigkeit vorhanden. Deshalb muss sie doch vor Christi Ankunft nicht gänzlich verborgen gewesen sein. Man muss eben eine doppelte Kundgebung der Gerechtigkeit unterscheiden: Die eine geschah bereits im Alten Testament und erfolgte durch Wort und Sakramente; die andere geschieht im Neuen Testament, sie fügt zu den Verheißungen und heiligen Wahrzeichen die wesenhafte Erfüllung in Christi Person. Außerdem ist auch die Deutlichkeit der Offenbarung im Evangelium größer.

Bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. – Bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Dieser Zusatz soll dem Schein entgegenwirken, als stünde die Austeilung der frei geschenkten Gerechtigkeit durch das Evangelium im Widerspruch mit dem Gesetz. Paulus hat gesagt, die Glaubensgerechtigkeit bedürfe nicht des Zutuns des Gesetzes. Jetzt gesteht er zu, dass sie eine Bestätigung durch dessen Zeugnis wohl empfangen kann. Weist nun das Gesetz auf die frei geschenkte Gerechtigkeit hin, so kann es nicht dazu gegeben sein, die Menschen eine wirklich erreichbare Gerechtigkeit aus Werken zu lehren. Solcher Gebrauch des Gesetzes wäre ein Missbrauch. Sucht man einen Beweis für diese Lehre, so mag man das ganze Alte Testament durchgehen, dort wird man finden, dass dem aus Gottes Reich getriebenen Menschen nur übrig blieb, auf die Erlösung zu hoffen, welche die erste evangelische Verheißung (1. Mose 3.15) in dem gesegneten Samen suchen lehrte, der den Kopf der Schlange zertreten und den Völkern Segen eröffnen sollte. Weiter wird man merken, wie die Gebote uns unsere Ungerechtigkeit enthüllten und wie die Opfer und heiligen Darbringungen darauf hindeuten, dass Genugtuung und Reinigung allein in Christus werde zu finden sein. Kommt man dann zu den Propheten, so wird man einen wahren Reichtum von Zusagen freier Gnade entdecken.

Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesum Christum. – Es folgt nun in wenigen Worten eine genauere Beschreibung der Rechtfertigung: Sie hat ihren Sitz in Christi Person und wird durch den Glauben ergriffen. Hier werden in geordneter Folge noch mancherlei Wahrheiten deutlich. Zuerst: In der Frage nach unserer Gerechtigkeit entscheidet kein menschliches Urteil, sondern allein Gottes Gericht, welches nur eine ganz vollkommene Rechtschaffenheit und einen restlosen Gehorsam gegen das Gesetz gelten lassen wird. Da aber kein Mensch solche Leistungen vollbringen kann, so sind sie alle in sich selbst ohne Gerechtigkeit. Zweitens tritt dann Christus auf den Plan, der einzig Gerechte, welcher Seine Gerechtigkeit uns zuspricht und uns dadurch gerecht sein lässt. Jetzt erkennen wir, wie die Gerechtigkeit des Glaubens Christi Gerechtigkeit ist. Wenn wir gerechtfertigt werden, so ist die treibende Kraft dafür Gottes Erbarmen; der Grund, welcher die Rechtfertigung ermöglicht, ist Christus; das im Glauben ergriffene Wort ist das Mittel. Nun ist klar, weshalb es heißt, dass der Glaube uns rechtfertige: Er ist das Mittel und Werkzeug, welches Christus ergreift, in welchem die Gerechtigkeit uns zuteilwird. Nachdem wir Christi Genossen wurden, ist nicht bloß unsere Person gerecht, sondern auch unsere Werke werden vor Gott gerecht geschätzt, denn was an ihnen Unvollkommenes bleibt, findet seine Deckung durch Christi Blut. Jetzt erst werden die nur bedingungsweise gegebenen Verheißungen ebenfalls durch Gottes Gnade für uns erfüllt, denn Gott kann unsere Werke für vollkommen ansehen, seit die freie Vergebung die Mängel ersetzt.

Zu allen und auf alle, die da glauben. – In feierlicher Wiederholung drückt der Apostel immer wieder mit andern Worten aus, was wir schon wissen, dass allein Glaube erfordert wird. Damit fällt auch jeder äußerliche Unterschied zwischen den Gläubigen: Es ist gleichgültig, ob sie Juden oder Heiden sind.