RÖMER

Römer Kapitel 3 Teil II

Römer 3.3-4

Dass aber etliche nicht daran glauben, was liegt daran? Sollte ihr Unglaube Gottes Glauben aufheben? Das sei ferne! Es bleibe vielmehr also, dass Gott sei wahrhaftig und alle Menschen Lügner; wie geschrieben steht: „Auf dass du gerecht seist in deinen Worten und überwindest, wenn du gerichtet wirst.“

 

Dass aber etliche nicht daran glauben, was liegt daran? – Zuvor hatte Paulus die Juden und ihr Prunken mit einem leeren Zeichen ins Auge gefasst – und es blieb ihnen dabei kein Fünkchen von Ruhm. Jetzt fasst er Gottes Zeichen selbst ins Auge – und es wird offenbar, dass selbst die Hohlheit seiner Träger Seine Kraft nicht zunichtemachen kann. Schien der Apostel oben gesagt zu haben, dass jede etwaige Gnadenkraft in dem heiligen Zeichen der Beschneidung durch die Undankbarkeit der Juden verloren gegangen sei, so stellt jetzt eine dem Widerspruch zuvorkommende Frage den Wert der göttlichen Ordnung fest. Dabei befleißigt sich die Rede maßvoller Schonung. Mit Recht hätte gesagt werden können, die Mehrzahl des Volkes habe Gottes Bund verworfen. Um aber diese für jüdische Ohren unerträgliche Härte zu mildern, spricht Paulus nur von „etlichen“.

Sollte ihr Unglaube Gottes Glauben aufheben? Das sei ferne! – „Aufheben“ soll heißen: Unwirksam machen. Denn die Frage ist nicht bloß, ob der Menschen Unglaube der Wahrheit Gottes insofern zuwider sei, dass sie nicht in sich selbst fest und beständig bleibe, sondern ob der Unglaube bewirken müsse, dass die Wahrheit unter den Menschen ihre Kraft verliere und ihr Ziel nicht erreiche. Der Sinn ist: Da doch die Mehrzahl der Juden den Bund gebrochen hat, so müsste wohl durch ihre Untreue der Bund Gottes derartig zerstört sein, dass er unter ihnen jede Frucht verlor. Doch die Antwort lautet: Keine menschliche Verkehrtheit kann die Wahrheit Gottes um ihren Bestand bringen. Mag eine Unzahl von Menschen den Bund Gottes gebrochen und mit Füßen getreten haben, so behält dieser selbst doch seine Geltung und beweist seine Kraft, wenn nicht bei jedem einzelnen, so doch in diesem Volke. Seine Kraft besteht darin, dass Gottes Gnade und Seine Segnungen für das ewige Leben in Israel noch mächtig bleiben. Das kann ja freilich nicht sein, ohne dass die Verheißung der Gnade eine gläubige Aufnahme findet und so der Bund gegenseitig sich schließt. Also spricht unser Satz aus: Es hat in diesem auserwählten Volke immer Leute gegeben, welche im Glauben an die Verheißung standen und demgemäß nicht aus dem Gnadenbunde gefallen sind.

Es bleibe vielmehr also, dass Gott sei wahrhaftig und alle Menschen Lügner. – Mit diesem feststehenden Gegensatz beseitigt Paulus das soeben verhandelte Bedenken. Denn wenn die zwei Dinge zugleich, ja notwendig miteinander bestehen, dass Gott wahrhaftig ist und der Mensch voller Lüge, so folgt, dass Gottes Wahrheit sich durch der Menschen Lüge nicht hindern lassen kann. Gott heißt nun wahrhaftig, nicht bloß, weil Er den guten Willen hat, Seine Versprechen zu halten, sondern weil Er mit unbehinderter Macht erfüllt, was Er redet. So Er gebeut, so steht es da. Dagegen heißt der Mensch ein Lügner, nicht bloß, weil er oft die Treue bricht, sondern weil seine Natur zur Lüge neigt und die Wahrheit flieht. Der erste Satz bildet das Hauptstück der gesamten christlichen Lebenswahrheit. Der zweite stammt aus Psalm 116.11, wo David nach seinen Erfahrungen ausruft, dass man etwas Gewisses vom Menschen weder erwarten dürfe noch im Menschen finden könne. Dieser herrliche Spruch birgt einen starken und nötigen Trost. Denn bei der menschlichen Verkehrtheit, welche Gottes Wort verachtet und verwirft, müsste dessen Gewissheit oft in Zweifel geraten, wenn wir nicht dessen uns getrösten dürften, dass Gottes Wahrheit nicht von der Menschen Wahrheit abhängt. Wie stimmt aber damit, was wir oben sagten, dass, um Gottes Gnadenverheißung wirksam zu machen, menschlicher Glaube erforderlich sei, welcher dieselbe aufnimmt? Ist doch Glaube das Gegenteil von Lüge! Die Frage ist schwierig, doch nicht unlösbar: Gott bahnt sich einen Weg durch das Unwegsame, durch die Lügen der Menschen, welche sonst Seiner Wahrheit im Wege stehen; Er heilt in Seinen Erwählten den angeborenen, unwahrhaftigen Unglauben der Natur, und die Widerspenstigen beugen sich unter Sein Joch. Unsere Stelle redet also von der fehlerhaften Naturanlage, nicht von Gottes Gnade, welche den Fehler heilt.

„Auf dass du gerecht seist in deinen Worten und überwindest, wenn du gerichtet wirst.“ – Unsere Lüge und Untreue vermag nicht bloß Gottes Wahrheit nicht zu stören, sie muss sie sogar in ein helleres Licht setzen. So bezeugt David (Psalm 51.6), dass während und weil er selbst ein Sünder ist, Gott immer gerecht und ein billiger Richter bleibt in allem, was er über ihn verhängen mag, und dass er alle Verleumdungen der Gottlosen, welche seiner Gerechtigkeit widersprechen wollen, wird niederschlagen können. Unter den Worten Gottes versteht David seine Gerichte, welche über uns ergehen. – Das zweite Satzglied lautet im hebräischen Texte des Psalms „und rein bleibest in deinem Richten“. Das heißt Gottes Tun ist rein und lobenswert, wie Er auch immer richten mag. Paulus aber folgt der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, die zu seiner gegenwärtigen Absicht auch besser passte. Wir wissen ja, dass die Apostel in der Anführung von Schriftstellen sich oft ziemlich frei bewegen; es genügte ihnen, wenn ihr Zitat sachlich stimmte, Buchstabenknechte waren sie nicht. Das Psalmwort will nun in unserm Zusammenhange folgendermaßen angewendet sein: Wenn jede Sünde der Menschen zur Verherrlichung Gottes beitragen muss, Gott aber in Seiner Wahrheit am herrlichsten dasteht, so folgt, dass auch die Hohlheit des menschlichen Wesens mehr dazu dient, Gottes Wahrheit zu bestätigen als zu erschüttern.