PHILIPPER

Philipper Kapitel 3 Teil I

Philipper 3.1-6

Weiter, liebe Brüder, freuet euch in dem Herrn! Dass ich euch immer einerlei schreibe, verdrießt mich nicht und macht euch desto gewisser. Sehet auf die Hunde, sehet auf die bösen Arbeiter, sehet auf die Zerschneidung. Denn wir sind die Beschneidung, die wir Gott im Geiste dienen, und rühmen uns von Christo Jesu und verlassen uns nicht auf Fleisch; wiewohl ich auch habe, dass ich mich Fleisches rühmen möchte. So ein anderer sich dünken lässt, er möge sich Fleisches rühmen, ich möchte es viel mehr: der ich am achten Tag beschnitten bin, einer aus dem Volk von Israel, des Geschlechts Benjamin, ein Hebräer von Hebräern, und nach dem Gesetz ein Pharisäer, nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeinde, nach der Gerechtigkeit im Gesetz gewesen unsträflich.

 

Freuet euch in dem Herrn! – Das ist der Schluss des Vorhergehenden; denn da Satan nicht aufhörte, die Philipper täglich durch böse Gerüchte zu beunruhigen, so heißt sie der Apostel sicher und guten Mutes sein. Er ermahnt sie damit zu standhaftem Ausharren bei der einmal angenommenen Lehre. Schon der Anschluss des Satzes mit „weiter“ zeigt, dass die Rede noch im gleichen Zusammenhange bleibt. Paulus ruft seinen Lesern zu, sie möchten sich durch alle Widrigkeiten nicht in der Bewährung einer heiligen Freude stören lassen. Freilich eine seltene Tugend, dass man, wenn Satan durch den Druck des Kreuzes uns zu verbittern trachtet, damit der Name Gottes uns zuwider werde, doch noch eine solche Befriedigung in dem alleinigen Genuss der Gnade findet, dass alle Schmerzen und Sorgen und jede Trauer sich in Süßigkeit wandeln.

Dass ich euch immer einerlei schreibe, verdrießt mich nicht und macht euch desto gewisser. Sehet auf die Hunde, sehet auf die bösen Arbeiter, sehet auf die Zerschneidung.  – Damit beginnt ein neuer Abschnitt, der von den falschen Aposteln handelt. Mit ihnen führt der Apostel freilich nicht, wie im Galaterbriefe, einen eigentlichen Kampf; er schiebt sie nur, so viel dies eben nötig war, mit einigen kräftigen Worten beiseite. Offenbar hatten die Philipper von ihnen nur ein kleines Geplänkel und nicht einen ernsten Angriff zu erleiden gehabt. So bedurfte es keiner regelrechten Auseinandersetzung mit Irrtümern, die hier gar keinen Eingang gefunden hatten. Es genügt hier eine einfache Mahnung zur Wachsamkeit, damit man die Betrüger als solche erkenne und sich vor ihnen hüte. Paulus nennt sie „Hunde“. Dieser Vergleich liegt nahe, weil die Irrlehrer mit unreinem Gebell die wahre Lehre angreifen, um ihren Bauch zu sättigen. Der Titel bezeichnet sie als unrein oder gemein. Denn dass Hunde einander beneiden und beißen, dürfte schwerlich zur Wahl des Ausdrucks geführt haben. Zweitens spricht Paulus von bösen Arbeitern. Er will damit sagen, dass sie unter dem Vorwande, die Gemeinde zu erbauen, nicht anderes erstreben, als alles zu verderben und zu zerstören. Denn für viele, die immer tätig sind, wäre es besser, wenn sie müßig wären. Redet der Apostel weiter von der Zerschneidung, so bedient er sich damit eines feinen Wortspiels. Jene rühmten sich, dass sie die Beschneidung seien. Er verspottet diesen Ruhm, indem er ihre Beschneidung eine Zerschneidung nennt, da sie ja die Einheit der Kirche zerstören. Hier haben wir ein Beispiel dafür, dass der Heilige Geist Seine Werkzeuge, die heiligen Schriftsteller, nicht immer daran gehindert hat, witzige und scherzhafte Wendungen zu brauchen, natürlich nur solche, die nicht fade werden und nicht in Widerspruch zu der Majestät des Heiligen Geistes stehen. Unzählige Beispiele der Art finden wir bei den Propheten und besonders bei Jesaja, so dass es keinen weltlichen Schriftsteller gibt, der mehr schöne Wortspiele und Bilder gebraucht. Doch mehr zu beachten ist die Kraft und Macht, mit der Paulus gegen die falschen Apostel losfährt. Diese Kraft bricht immer da hervor, wo das Feuer eines frommen Eifers vorhanden ist. Dabei müssen wir uns aber hüten, dass kein Jähzorn oder übermäßige Bitterkeit unter dem Schein des Eifers sich einschleiche. – Übrigens könnte man den Hinweis darauf, dass der Apostel immer einerlei schreibt, so verstehen, dass er den Philippern schon früher geschrieben habe. Doch lässt sich auch daran denken, dass er ihnen jetzt schriftlich dasselbe mitteilt, was sie früher schon oft aus seinem Munde gehört hatten. Denn es ist nicht zu bezweifeln, dass er ihnen schon öfters mündlich gesagt hatte, wie sehr man diese Verderber meiden müsse. Doch verdrießt es ihn nicht, dies zu wiederholen, weil den Philippern Gefahr droht, wenn er schweigt. Und sicher ist es die Pflicht eines guten Hirten, nicht allein seine Herde mit Futter zu versorgen und sie durch sein Regiment in Ordnung zu halten, sondern auch die Wölfe zu vertreiben, welche in die Hürden einbrechen wollen. Und dieses muss er nicht nur einmal tun, sondern er muss fortwährend wachen und darf niemals ermüden. Denn da die Diebe und Räuber unausgesetzt darauf lauern, die Kirche zu verderben, so hat ein Hirte keine Entschuldigung, der nach mehreren tapfer abgeschlagenen Angriffen beim neunten oder zehnten Male doch endlich versagt. Übrigens ruft der Apostel, ganz anders als die Papisten, welche nie ein Urteil über ihre Lehre zulassen wollen, seine Gemeinde zu eigenem Urteil auf: Sehet, … sehet … sehet! So sagt auch der Herr (Johannes 10.5 & 27): „Meine Schafe hören meine Stimme, und sie folgen mir. Einem Fremden aber folgen sie nicht nach, sondern fliehen vor ihm.“

Denn wir sind die Beschneidung. – Das ist: Wir sind der wahre Same Abrahams und die Erben des Bundes, der durch das Zeichen der Beschneidung bestätigt ward. Denn die wahre Beschneidung geschieht im Geist und nicht im Buchstaben. Sie ist innerlich und im Herzen, nicht sichtbar nach dem Fleische (Römer 2.29). So dienen wir Gott im Geiste, wie es uns im Evangelium befohlen wird. Dieser Gottesdienst besteht im Vertrauen auf Gott, Anrufung Gottes, Selbstverleugnung und in einem reinen Gewissen. Übrigens wirft diese Wendung einen stillen Seitenblick auf den gesetzlichen Gottesdienst, auf den die falschen Apostel allein Gewicht legten. Paulus gibt zu verstehen: Jene lehren, Gott müsse durch die Beobachtung äußerer Zeremonien verehrt werden. Aber weil sie nur die Zeremonien des Gesetzes beobachten, so rühmen sie sich mit Unrecht, Gottes Volk zu sein. Wir sind in Wahrheit die Beschneidung, weil wir Gott im Geiste und in der Wahrheit verehren. Freilich könnte man dabei auf den Gedanken kommen, ob der Gottesdienst in der Wahrheit nicht vielleicht auch die Sakramente ausschließen müsse. Denn ähnlich ließe sich ja auch von Taufe und Abendmahl reden. Zur Antwort diene, dass nach dem obersten christlichen Grundsatz mit Christi Ankunft die schattenhaften Vorbilder gefallen sind, und dass die Taufe an die Stelle der Beschneidung trat. Aus diesem Grundsatz folgt, dass der wahre und rechtmäßige Gottesdienst von den Zeremonien des Gesetzes frei ist, und dass die Gläubigen eine wahre Beschneidung haben, die nicht bildlich ist.

Und rühmen uns von Christo Jesu. – Der Apostel fährt fort in der Gegenüberstellung: Wir haben die Sache selbst, während jene an dem äußeren Zeichen festhalten. Wir haben den Körper, während jene nur den Schatten sehen. Hierzu passt gut der andere Gegensatz, den er bald darauf hervorhebt: Wir verlassen uns nicht auf das Fleisch. Denn mit dem einen Worte „Fleisch“ fasst er, wie der Zusammenhang klar ergibt, alles Äußerliche am Menschen zusammen, dessen man sich zu rühmen pflegt. Oder um es kürzer zu sagen: Fleisch nennt der Apostel alles, was neben Christus noch etwas gelten soll. Damit versetzt er den verkehrten Eiferern für das Gesetz einen trefflichen Hieb: Sie geben sich mit Christus nicht zufrieden, sondern suchen in anderen Dingen ihren Ruhm! „Sich auf etwas verlassen“ und „sich einer Sache rühmen“, welche Ausdrücke hier abwechseln, ist einerlei. Denn ein Mensch, der sich auf ein Ding verlässt, wird sich desselben auch rühmen.

Wiewohl ich auch habe, dass ich mich Fleisches rühmen möchte. – Der Apostel will nicht sagen, dass er Lust, sondern nur, dass er einen Gegenstand zu solchem Rühmen wohl hätte, wenn er sich ebenso töricht gebärden wollte, wie die anderen. Er meint: Mein Ruhm ist auf Christus gegründet, aber wenn ich mich Fleisches rühmen müsste, so würde es mir hierzu nicht an Stoff fehlen. Hier können wir lernen, wie man jenem anmaßenden Selbstruhm entgegentreten muss, der sich auf irgendetwas anderes stützt als auf Christus. Können wir selbst von den Stücken einige aufweisen, deren andere sich rühmen, so wollen wir ihnen nicht zulassen, dass sie in törichtem Stolze wider Christus sich überheben; wir wollen vielmehr auch unsere Ruhmestitel aufzählen und dabei merken lassen, dass es keineswegs aus Neid hervorgeht, wenn wir für nichts achten, ja freiwillig wegwerfen, was ihnen groß dünkt. Die Bedingung muss aber immer dabei sein, dass uns jeder Fleischesruhm eitel und lächerlich wird.

So ein anderer sich dünken lässt, er möge sich Fleisches rühmen, ich möchte es viel mehr. – Paulus begnügt sich nicht damit, sich irgendeinem jener Leute bloß gleichzustellen; er stellt sich ihnen weit voran. So muss jeder Verdacht schwinden, als beneide er ihre Vorzüge oder höbe Christus hoch, um gering erscheinen zu lassen, was ihm selbst fehlt. Er sagt frei heraus, dass, wenn es auf einen Vergleich ankäme, er die anderen sicherlich schlagen würde. Denn wie wir bald sehen werden, hatten sie nichts, das er nicht ebenfalls besaß; und in vielen Stücken überragte er sie weit. Dass er sich Fleisches rühmen wolle, meint er natürlich nicht im Ernst; alle die fleischlichen Vorzüge, von welchen die anderen förmlich geschwollen waren, konnte er ohne jede Selbstüberhebung besitzen.

Am achten Tag beschnitten. – Paulus ist also ordnungsmäßig nach den Vorschriften des Gesetzes beschnitten worden. Die ordnungsmäßige Beschneidung galt mehr als eine nicht ordnungsmäßige und war dazu ein Zeichen der Abstammung von jüdischen Eltern. Denn bei Leuten, die vom Heidentum zum Judentum übertraten, geschah die Beschneidung in anderer Weise. Sie empfingen, wenn sie Proselyten wurden, die Beschneidung als Jünglinge, als Männer, ja auch wohl als Greise. Demgemäß sagt Paulus, dass er aus dem Volk von Israel herstammt, nennt auch seinen Stamm: Des Geschlechts Benjamin – schwerlich weil dieser Stamm etwa besser gewesen wäre als die anderen, sondern weil seine Angabe zur Bestätigung der israelitischen Herkunft diente und man überhaupt gewöhnt war, jeden in seinen Stamm einzuordnen. Ebendahin weist auch die weitere Notiz: Ein Hebräer von Hebräern. Es ist dies der älteste Name der Juden, den schon Moses von Abraham gebraucht (1. Mose 14.13: „der Ausländer“). Alles in allem: Des Paulus Stammbaum reicht bis auf die ältesten Zeiten des Samens Jakobs zurück, und er vermag seinen Ahnen und Urahnen zu nennen.

Nach dem Gesetz ein Pharisäer. – Nachdem er von dem Adel seines Geschlechts geredet hat wendet er sich nun zu seinen persönlichen Vorzügen. Bekennt sich Paulus als einen Pharisäer, so will er damit bekanntlich zu einer Partei gehören, die vor allen anderen im Rufe heiligen Lebens und rechter Lehre stand. Gewöhnlich nimmt man an, dass „Pharisäer“ so viel bedeute als „Abgeschiedene“, also Leute, die sich gesondert halten. Mir scheint eine andere Erklärung vorzuziehen zu sein, wonach der Titel einen rühmenden Hinweis auf ihre Gabe der Schriftauslegung enthält. Denn das betreffende hebräische Wort kann auch bedeuten: auslegen. Nannten andere sich etwa „Schriftgelehrte“, so wollten die Pharisäer schon in ihrem Namen kundgeben, dass sie an den Schriftauslegungen der Alten hielten. Jedenfalls steht fest, dass sie sich durch angeblich ehrwürdige Überlieferungen deckten, wenn sie die ganze Schrift mit ihren Erfindungen verfälschten. Aber weil sie zugleich einige gute, von den Alten überlieferte Erklärungen bewahrt hatten, so standen sie in höchster Ehre. Doch was soll der Zusatz: „nach dem Gesetz“? Denn dem Gesetze Gottes ist nichts so zuwider als Parteiungen. Das Gesetz überliefert ja nur die eine göttliche Wahrheit, die ein Band der Einigkeit ist. Auch bezeugt Josephus [Jüdische Altertümer, Buch 13], dass alle diese Sekten oder Parteien erst unter dem Hohepriestertum des Jonathan entstanden sind. Paulus gebraucht also das Wort Gesetz hier im uneigentlichen Sinne für die damalige verderbte gesetzliche Religionslehre. Für sie hat er geeifert und ist auf diesem Wege (Vers 6) ein Verfolger der Gemeinde geworden. Damit erinnert er freilich an die schwerste Sünde seines Lebens. Er tut dies aber, weil er sich mit unklaren Geistern auseinandersetzt, die in ihrem Gesetzeseifer Christus und Mose ineinander mischen. Ihnen hält er entgegen, dass er um dieses Gesetzesfanatismus willen zum Verfolger der Gemeinde werden musste.

Nach dem Eifer ein Verfolger der Gemeinde, nach der Gerechtigkeit im Gesetz gewesen unsträflich. – Zweifellos denkt Paulus dabei an die gesamte, vom Gesetz erforderte Gerechtigkeit, nicht bloß an die Zeremonien, was gar zu flach wäre. Er will ganz im Allgemeinen sagen, dass er eine Reinheit des Lebens gepflegt habe, wie man sie einem gesetzeseifrigen Manne nur irgend zumuten durfte. Freilich ließe sich dagegen sagen, dass die Gesetzesgerechtigkeit eine vor Gott durchaus vollkommene sein würde; ist doch ihr Hauptinhalt, dass ein Mensch ganz und gar an seinem Gott hängen soll. Was könnte man dann aber noch weiter zur Vollkommenheit verlangen? Ich antworte, dass Paulus hier lediglich von einer Gerechtigkeit spricht, welche der herrschenden menschlichen Ansicht Genüge leistet. Somit denkt er das Gesetz ohne seine Beziehung zu Christus. Was ist es aber dann anderes als ein toter Buchstabe? Um deutlich zu sein, möchte ich eine doppelte „Gerechtigkeit im Gesetz“ unterscheiden. Die eine ist wahrhaft geistlich und besteht in vollkommener Liebe zu Gott und dem Nächsten. Sie ist nur in der Vorschrift der Lehre vorhanden, und tritt in keines Menschen Leben jemals in Erscheinung. Die andere ist eine Buchstabengerechtigkeit, welche den Menschen in die Augen fällt, während im Herzen die Heuchelei ihren Sitz aufschlägt: sie ist vor Gott nichts als Ungerechtigkeit. So kann man das Gesetz in doppelter Weise ansehen, einmal mit Gottes, das andere Mal mit der Menschen Augen. Und Paulus behauptet, dass er nach menschlichem Urteil heilig, rein und tadelfrei dagestanden habe. Immerhin ein seltenes und fast einzigartiges Lob. Und doch werden wir sehen, wie gering der Apostel dasselbe eingeschätzt hat.