Jakobus Kapitel 1 Teil I

Jakobus 1.1-4

Jakobus, ein Knecht Gottes und des Herrn Jesu Christi, den zwölf Geschlechtern, die da sind hin und her, Freude zuvor! Meine lieben Brüder, achtet es eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallet, und wisset, dass die Bewährung eures Glaubens Geduld wirkt. Die Geduld aber soll ein vollendetes Werk haben, auf dass ihr seid vollkommen und tadellos und keinen Mangel habt.

 

Den zwölf Geschlechtern. – Bei der Wegführung der zehn Stämme in die Gefangenschaft haben die Assyrer sie in verschiedenen Orten angesiedelt. Sehr wahrscheinlich ist es denn, dass sie hernach hierhin und dorthin gewandert sind und sich zerstreut haben – wie das im Gefolge solcher geschichtlichen Umwälzungen, wie sie auch damals sich ereigneten, zu geschehen pflegt. Die Juden waren ja doch in fast alle Länder der Welt zerstreut. Diese alle konnte der Verfasser mit dem Laut des Mundes nicht erreichen, weil sie ferne hin und her voneinander getrennt wohnten, so wendet er sich nun an sie mit schriftlicher Mahnung. Dass er aber über die Gnade Christi und den Glauben an Ihn sich nicht ausführlicher auslässt, hat offenbar seinen Grund in dem Umstand, dass er sich an solche wendet, die schon anderweitig eine genügende Einführung in das Christentum empfangen hatten, so dass sie nunmehr nicht so sehr der Lehre als vielmehr anstachelnder Ermahnung bedurften.

Achtet es eitel Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallet. – Das ist seine erste Ermahnung: Heiteren Mutes sollen sie die Anfechtungen aufnehmen, die ihren Glauben bewähren. Zuvörderst war es damals nämlich nötig, die von den Trübsalen fast zu Boden gedrückten Juden aufzurichten. Denn so schmachvoll war der Name dieses Volkes, dass sie allen Nationen, wohin sie auch gekommen sein mochten, ein Gegenstand des Hasses und der Verachtung waren. Die Lage der Christen aber war noch schlimmer, weil die eigenen Stammesgenossen ihre erbittertsten Feinde waren – obwohl doch diese Ermahnung nicht in dem Maße nur für diese eine Zeit zugeschnitten ist, dass sie nicht allezeit den Gläubigen dienlich wäre, deren irdisches Leben ja doch ein unausgesetzter Kriegsdienst ist. Im Übrigen ist – um die Absicht des Jakobus klar auszudrücken – kein Zweifel, dass er bei den Anfechtungen an widrige Lebensumstände denkt; denn diese sind ja die Prüfsteine unseres Gehorsams gegen Gott. Während die Gläubigen in solchen Umständen geübt werden, sollen sie fröhlich sein, und das nicht etwa nur, wenn sie in eine einzige Versuchung fallen, sondern auch, wenn deren mehr sind; und auch nicht nur dann, wenn es etwa gleichartige sind, sondern auch, wenn sie vielfältig und mannigfaltig sind. Da sie ja zur Ertötung unseres Fleisches dienen, ist es sicherlich notwendig, dass sie ebenso unaufhörlich wiederkehren, wie die Lüste des Fleisches in uns unablässig aufsprossen. Kurz, es ist nicht zu verwundern, wenn den verschiedenen Leiden, an denen wir kranken, auch verschiedene Heilmittel entsprechen. Auf mannigfaltige Weise züchtigt uns deshalb der Herr, weil Ehrsucht, Geiz, Missgunst, Lust am Wohlleben, geschweige denn die Weltlust und die Unzahl uns erfüllender Begierden unmöglich mit einem einzigen Gifte behandelt werden können. Wenn Jakobus befiehlt: Achtet jene Versuchungen für eitel Freude, so ist es, als wenn er sagte, man solle sie in dem Maße als Gewinn sich anrechnen, dass sie nur Anlass zur Freude bleiben. Außerdem deutet er auch an, es sei in den Anfechtungen nichts enthalten, was unsere Freude hindere. In dieser Weise weist er uns also nicht nur an, das Unglück friedlichen und gleichmütigen Sinnes zu tragen, sondern er lehrt, es eben unter dem Druck des Leidens selbst als einen Anlass der Freude zu nehmen. Zwar ist ja sicherlich von Natur her unsere innere Verfassung derart, dass jede Anfechtung und jeder Schmerz uns Betrübnis erregt; und niemand von uns kann sich seiner Natur bis zu dem Grabe entäußern, dass er nicht mehr Schmerz empfände oder betrübt werden könnte, sobald ihn etwas Übles berührt – das hindert aber die Kinder Gottes nicht, auf Antrieb des Geistes sich über den Schmerz des Fleisches zu erheben. Daher geschieht es denn, dass sie auch mitten in der Traurigkeit nicht ablassen, sich dennoch zu freuen.

Und wisset, dass die Bewährung eures Glaubens Geduld wirkt.  – Nun wird es uns klar, warum Jakobus die widrigen Umstände unseres Lebens Anfechtungen genannt hat: Nämlich, weil ihre Angriffe dazu dienen, unseren Glauben zu prüfen. Er begründet den vorigen Satz. Man könnte ja den Einwurf machen: Wie ist‘s möglich, das für süß zu achten, was doch als bitter empfunden wird? Deswegen zeigt er an der Wirkung, dass man im Leiden sich freuen müsse, weil daraus aus eine köstliche Frucht, die Geduld nämlich, hervorgehe. Wenn Gott also solcherweise für unser Heil sorgt, gibt Er uns Anlass zur Freude. Denselben Schluss macht Petrus im Anfang seines ersten Briefes: Auf dass eures Glaubens Bewährung viel köstlicher erfunden werde als Gold, zu Lobe usw. Gewiss scheuen wir vor Krankheiten, Mangel, Verleumdung, Gefängnis, Schmach und Tod zurück, weil wir alle diese Dinge für Übel halten. Wenn wir aber einsehen, dass sie durch Gottes wohltätige Fügung in Hilfsmittel des Heils verwandelt werden, so würden wir undankbar sein, wenn wir murren und nicht vielmehr uns Ihm freiwillig zu solch väterlicher Behandlung hingeben wollten. Was Jakobus hier Freude nennt, das nennt Paulus Römer 5.3 „sich rühmen“. Wir rühmen uns auch der Trübsale, sagt er, in der Gewissheit, dass Trübsal Geduld wirkt. Aber das, was bald folgt, scheint im Gegensatz zu des Jakobus Worten zu stehen. Denn Paulus setzt die Bewährung an die dritte Stelle gleichsam als Wirkung der Geduld, während sie hier gleichsam als Ursache doch an erster Stelle steht. Aber die Auflösung dieses Gegensatzes liegt sehr nahe, da ja dort das Wort Bewährung im Sinne einer Tätigkeit genommen wird, hier aber im Sinn eines Zustandes, in den jemand versetzt wird und den er über sich ergehen lassen muss. Die Bewährung, von der Jakobus spricht, soll die Geduld bewirken, insofern es ja keine Geduld gäbe, wenn Gott uns nicht in Prüfungen versetzte, sondern uns ohne Aufgabe ließe: Geduld ist ja nichts anderes als tapferer Mut im Ertragen von Leiden. Paulus dagegen meint, dass wir im Siege der Geduld über das Leiden erproben, was Gottes Hilfe in Not vermag. Denn in solcher Lage zeigt sich uns Gottes Wahrhaftigkeit gleichsam gegenwärtig. Daher kommt es denn, dass wir für die Zukunft unsere Hoffnung weiter auszuspannen wagen: Die aus Erfahrung erkannte Wahrhaftigkeit Gottes nimmt unser Vertrauen in höherem Maße in Beschlag. Aus solcher Bewährung, das heißt aus solcher Erfahrung göttlicher Gnade, werde Hoffnung geboren, lehrt Paulus – nicht als ob die Hoffnung dann erst begänne, aber sie wird dadurch vermehrt und gestärkt. Beide aber, Jakobus und Paulus, bezeichnen die Trübsal als den Anlass der Geduld. Übrigens ist das menschliche Gemüt von Natur nicht so angelegt, dass die Trübsal den Menschen die Geduld von selbst mitbrächte. Aber Paulus und Jakobus haben bei dieser Aussage weniger die menschliche Natur als Gottes Vorsehung im Auge. Diese Vorsehung ist nämlich die Ursache dafür, dass die Gläubigen unter ihrer Bürde Geduld lernen, während die Gottlosen mehr und mehr zu sinnloser Wut sich reizen lassen, wie man an Pharaos Beispiel sieht.

Die Geduld aber soll ein vollendetes Werk haben, auf dass ihr seid vollkommen und tadellos und keinen Mangel habt. – Weil in uns sich oft edle Geistesregungen erheben und sogleich wieder versinken, so fordert Jakobus Beharrlichkeit: Das, sagt er, ist die wahre Geduld, die bis ans Ende ausharrt. Denn das Wort „Werk“ steht hier für Wirkung, und es handelt sich nicht bloß darum, dass wir in einem Kampfe Sieger bleiben, sondern dass wir das ganze Leben hindurch es bleiben. Man könnte diese Vollendung auch auf die aufrichtige Hinneigung des Herzens beziehen, dass die Menschen sich Gott mit vollem Willen und nicht heuchlerischer Weise unterwerfen sollen. Aber da Jakobus den Ausdruck „Werk“ gebraucht, ziehe ich vor, seine Äußerung von der Beharrlichkeit zu verstehen. Denn, wie gesagt, viele, die zuerst mit Heldenmut sich brüsten, sind bald hernach ermüdet. Deshalb befiehlt Jakobus denen, bis zum Ende auszuhalten, die vollkommen und tadellos heißen wollen. Mit diesen beiden Worten nämlich bezeichnet er die eben geforderten Eigenschaften und die Leute, die weder sinken noch ermatten. Denn wer, von der Ungeduld besiegt, scheitert, der muss allmählich schwächer werden und endlich ganz dahinsinken.