GALATER

Galater Kapitel 6 Teil I

Galater 6.1-5

Liebe Brüder, so ein Mensch etwa von einem Fehl übereilt würde, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid; und siehe auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest. Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. So aber sich jemand lässt dünken, er sei etwas, So er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. Ein jeglicher aber prüfe sein eigen Werk, und alsdann wird er an ihm selber Ruhm haben und nicht an einem andern. Denn ein jeglicher wird seine Last tragen.

 

So ein Mensch etwa von einem Fehl übereilt würde. – Wie vor allen Dingen die Pest des Ehrgeizes schädlich ist, so schadet nicht selten andererseits unzeitgemäße und allzu große Härte sehr viel, die sich zwar in den ehrbaren Deckmantel des Eifers hüllt, aber oft dem Hochmut und der überdrüssigen Verachtung der Brüder entstammt. Die meisten Menschen betrachten die Fehler ihrer Mitmenschen lediglich als einen erwünschten Anlass, den Nächsten verächtlich und bitter zu behandeln. Sie gehen mehr darauf aus, zu tadeln als zu bessern. Nun müssen Leute, welche gesündigt haben, zwar mit Bestimmtheit überführt werden, wobei manchmal Strenge und Schärfe nötig wird; wenn es darum auch angebracht sein mag, den Tadel unter Umständen bis zur Rücksichtslosigkeit zu treiben, so darf bei dem scharfen Essig doch das milde Öl nicht fehlen. Daher fordert Paulus hier auf, dass man, wenn man die Brüder wegen ihrer Vergehen zurechtweist, einen sanftmütigen Geist walten lasse; denn liebevoll und christlich kann nur ein solcher Tadel heißen, dem man sanfte Milde abfühlt. Um aber das Ziel seiner Mahnung desto eher zu erreichen, zeigt Paulus, dass die eigentliche Absicht des Tadels sein muss, dem Gefallenen zurecht zu helfen, das heißt ihn wieder auf einen guten Stand zu bringen. Das erreicht man aber niemals mit Gewalt, noch mit einem nörgelnden Wesen oder mit rauem Wort oder Blick. Es erfordert ein ruhiges und sanftes Gemüt, wenn man den Bruder wirklich heilen will. Damit aber niemand glaube, es handle sich lediglich um die äußere Gebärde der Milde, spricht der Apostel ausdrücklich vom „Geist“. Hier wirkt eben nur das innerste sanfte Gemüt. – Ein zweiter Grund, weshalb man den Bruder sanftmütig zurechtweisen soll, liegt schon im Vordersatz: Einen Menschen, der nur von einem Fehler übereilt ist oder sich wie durch Hinterlist hat umgarnen lassen, mit Härte anzugreifen, wäre doch unmenschlich – wissen wir doch, dass der Teufel immer auf Nachstellungen sinnt, und wir auf tausend Weisen von ihm umstrickt werden. Sehen wir also einen Bruder einen Fall tun, so wollen wir annehmen, dass er dem Satan ins Netz geraten ist; das erweckt unser Mitgefühl und macht uns umso eher geneigt, ihm zu verzeihen. Jedoch müssen wir mit dem Apostel ein Vergehen oder einen Fall bestimmt von tief gewurzelten Lastern unterscheiden, welche Hand in Hand gehen mit einer absichtlichen und beharrlichen Verachtung Gottes. Eine derartige Ruchlosigkeit und böswillige Auflehnung gegen Gott müsste ganz anders behandelt werden. Denn was würde man dabei mit der Sanftmut erzielen?

Die Anrede: Ihr, die ihr geistlich seid ist nicht ironisch zu nehmen, sondern geht alle diejenigen an, welche irgendwie geistlich sind, mögen sie auch noch nicht völlig mit dem Geist erfüllt sein. Diese alle haben die Aufgabe die Gefallenen aufzurichten: Denn je mehr einer den Vorzug der Gnade hat, umso mehr liegt ihm der Dienst ob die Unreiferen zu fördern. Weil wir aber so verkehrt sind, dass wir auch in den wichtigsten Pflichten irre gehen, ermahnt uns der Apostel, dass wir nichts Fleischliches mit unterlaufen lassen.

Und siehe auf dich selbst. – Hier steht statt des vorigen „ihr“ ein „du“; das ist von besonderer Bedeutung, weil eine Ermahnung wirksamer ist, wenn sie jeden einzelnen angeht, und man sie ausschließlich für sich zu beherzigen hat. Wer du auch immer seist, so heißt es also, der du dich zum Richter über andere aufwirfst, blicke auch auf dich selber! denn es gibt nichts Schwereres als uns selbst zu einer Prüfung und Erkenntnis unserer eigenen Schwachheit zu bringen. So scharfsinnig wir auch in der Beobachtung der Fehler anderer sein mögen, ebenso unwissend sind wir über uns selbst. Darum redet der Apostel mit besonderem Nachdruck ganz persönlich. Der Sinn kann freilich in doppelter Weise verstanden werden. Einige finden hier eine Erinnerung an unsere eigene sündige Schwachheit, die uns besonders milde und zur Verzeihung geneigt stimmen müsse. Ich ziehe jedoch die andere Erklärung vor, wonach Paulus warnen will, nicht bei der Zurechtweisung eines Bruders durch maßloses Zufahren sich selbst zu versündigen. Darin besteht die Versuchung, die man so selten meidet. Immerhin wird es erlaubt sein, bei dem Satze: „Dass du nicht auch versucht werdest“ außerdem an die Versuchungen des Lebens überhaupt zu denken. Darum wollen wir immer, wenn wir die Fehler anderer aufzudecken haben, uns vorhalten, dass wir bei uns selbst den Anfang machen, damit wir eingedenk unserer eigenen Schwachheit mit anderen gelinde verfahren.

Einer trage des anderen Last. – Dieser Ausdruck ist sehr geeignet, menschliches Mitgefühl zu empfehlen, weil er die Schwachheiten und Fehler, an welchen wir leiden, Lasten nennt; denn schon die Natur weist uns an, diejenigen aufzurichten, welche unter einer Last zusammensinken. Paulus heißt uns aber die Lasten tragen, nicht zu dem Zweck, um durch Gleichgültigkeit oder Übersehen die Übelstände, an denen die Brüder leiden, zu fördern, sondern vielmehr, um ihnen die Last abzunehmen. Das wird durch eine freundliche und sanfte Zurechtweisung erreicht. Es gibt sehr viele Ehebrecher, welche Christus gern zum Kuppler, Diebe, welche Ihn gern zum Hehler: kurz Gottlose und Frevler aller Art, die Ihn zu ihrem Patron machen würden, ja alle möchten ihre Lasten auf die Schultern der Gläubigen abwälzen. Da aber der Apostel tragende Geduld nur empfiehlt, damit den Sündern zurecht geholfen werde, so kann doch jedermann verstehen, was er in Wirklichkeit von den Christen fordert.

So werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.  – So werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Mit voller Absicht redet Paulus gerade im vorliegenden Zusammenhange nicht bloß vom Gesetz, sondern vom Gesetz Christi. So tritt der Unterschied zwischen Christi und Moses Gesetz scharf hervor. Der Apostel will sagen: Wenn es euch so am Herzen liegt, das Gesetz zu halten, wohlan, Christus gibt euch ein Gesetz, welches ihr mit Recht jedem anderen vorziehen sollt, und dies besteht darin, dass wir untereinander menschliche Rücksicht üben. Das ist der einzige wirkliche Inhalt des menschlichen Lebens. Die Kehrseite der Sache ist, dass solch mitfühlende Hilfsbereitschaft das Gesetz in der Tat völlig „erfüllt“. Dieser Ausdruck lässt alles als überflüssig erscheinen, was mit der Liebe in keinem Zusammenhange steht. Freilich leistet niemand ganz und gar, was Paulus fordert; darum sind wir noch weit von der Vollkommenheit, wenn auch vielleicht nicht so sehr vor Menschenurteil, so doch durchaus vor Gottes Augen entfernt.

So aber sich jemand lässt dünken, er sei etwas, So er doch nichts, ist der betrügt sich selbst. – So spricht der Apostel schwerlich bloß im Blick auf besonders unbedeutende Menschen, die doch eine maßlos hohe Meinung von sich haben – vielmehr soll hier jedermann eine Erinnerung empfangen, dass er nichts ist, also im Irrtum befangen, wenn er sich einbildet, etwas zu sein. Wir merken also erstens, dass kein Mensch in sich selbst etwas Gutes hat, niemand also einen Grund besitzt, sich irgendeines Vorzuges zu rühmen, als wäre es wirklich sein. Daraus folgt dann zweitens, dass jede anmaßende Überhebung ein Selbstbetrug ist. Und wie wunderlich, dass wir Menschen, die wir jeden Betrug von anderer Seite bitter empfinden, uns selbst nur zu gern betrügen! Solche Gedanken sollten uns gegen andere viel milder stimmen. Die Wurzel aller hochmütigen Ungenießbarkeit im Verkehr ist doch bloß die Selbstüberhebung. Möchte doch das hochfahrende Wesen überall einer bescheidenen Demut weichen!

Ein jeglicher aber prüfe sein eigen Werk. – Den stärksten Hieb hat Paulus dem menschlichen Stolz versetzt. Weil aber der Hochmut des Weiteren seine Nahrung besonders daraus zu ziehen pflegt, dass wir uns mit anderen vergleichen, um auf dunklem Hintergrund selbst desto glänzender dazustehen, so werden uns nun solche Seitenblicke ganz und gar verwehrt. Keiner soll sich mit einer fremden Elle messen und an sich aus dem Grunde Gefallen finden, weil ihm andere weniger gefallen; sondern ohne Rücksicht auf andere sein eigenes Gewissen durchforschen und sich die Beschaffenheit seines eigenen Tuns klar machen. Wahres Lob muss nicht in der Herabsetzung eines anderen, sondern in sich selbst begründet sein. Viele Ausleger fassen die Stelle ironisch, in dem Sinn: Du schmeichelst dir wegen der Fehler anderer, aber wenn du bedenkst, wer du selbst bist, dann wirst du den Ruhm haben, welcher dir gebührt (das heißt gar keinen); denn es gibt niemanden, der auch nur einen Tropfen Ruhmes verdiente. Man nimmt den folgenden Vers dann in dem Sinne: Ein jeglicher „pflegt“ seine Last (von Fehlern) zu tragen. So empfehlenswert nun das ironische Verständnis erscheint, weil der Apostel allerdings sofort jeden menschlichen Ruhm niederschlägt, so bleibt doch der Zusammenhang ohne diese Deutung geschlossener. Die Worte besagen ganz einfach: Du wirst einen Ruhm haben, was dich selber ausschließlich allein betrifft, und nicht erst durch Vergleichung mit anderen. Der Apostel erkennt damit (wie auch sonst öfters) in allem Ernste den Ruhm eines guten Gewissens an, welcher den Kindern Gottes wohl ansteht. Solcher Ruhm ist nichts anderes als eine Anerkennung der göttlichen Gnade: Er bedeutet keine Selbstüberhebung, sondern lediglich die Bereitschaft, Gott die Ehre zu geben. Finden die Frommen einen Anlass in sich, in dieser Weise zu rühmen und zu preisen, so führen denselben doch nicht auf ihr eigenes Verdienst, sondern auf Gottes Güte zurück. Ähnlich heißt es zum Beispiel in 2. Korinther 1.12: Unser Ruhm ist dieser: das Zeugnis unseres Gewissens, dass wir in Einfältigkeit und göttlicher Lauterkeit, nicht in fleischlicher Weisheit, sondern in der Gnade Gottes auf der Welt gewandelt haben. Und Christus würde etwa sagen: Gehe in dein Kämmerlein und tue wohl vor dem Vater im Verborgenen, und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird es dir vergelten öffentlich (vergleiche Matthäus 6.6).

Denn ein jeglicher wird seine Last tragen. – Denn ein jeglicher wird seine Last tragen. Dies Wort hält uns das Gericht Gottes vor, um uns alle stolze Sicherheit auszutreiben: Dereinst wird jeder ohne alle Seitenblicke einfach für sein eigenes Leben Rechenschaft geben müssen. Jetzt kommt die Selbsttäuschung gewöhnlich daher, dass unter den Blinden der Einäugige sich für den König, und unter den Schwarzen der Braune sich für weiß halten kann. Solche Einbildungen werden vor dem Richterstuhle Gottes verfliegen, und keiner wird imstande sein, den anderen von seinen Sünden loszusprechen.