GALATER

Galater Kapitel 5 Teil III

Galater 5.13-18

Ihr aber, liebe Brüder, seid zur Freiheit berufen; allein seht zu, dass ihr durch die Freiheit dem Fleisch nicht Raum gebt, sondern durch die Liebe diene einer dem andern. Denn alle Gesetze werden in einem Wort erfüllt, in dem (3. Mose 19.18): Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. So ihr euch aber untereinander beißt und fresst, so seht zu, dass ihr nicht untereinander verzehrt werdet. Ich sage aber: Wandelt im Geist, so werdet ihr die Lüste des Fleisches nicht vollbringen. Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, und den Geist wider das Fleisch: dieselbigen sind wider einander, dass ihr nicht tut, was ihr wollt. Regiert euch aber der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetze.

 

Ihr aber, liebe Brüder, seid zur Freiheit berufen. – Nunmehr wendet sich die Rede zum rechten Gebrauch der Freiheit. Wir haben zum ersten Korintherbrief (8.1, 8.9 und 10.23) dargetan, dass die Freiheit selbst von ihrem Gebrauch noch zu unterscheiden ist. Die Freiheit selbst wohnt im Gewissen und hat es allein mit Gott zu tun, ihr Gebrauch aber bewegt sich in den Äußerlichkeiten des Lebens und hat es mit den Menschen zu tun, nicht mit Gott allein. Nachdem daher Paulus die Galater ermahnt hat, nicht zu dulden, dass etwas von ihrer Freiheit verloren gehe, heißt er sie nun im Gebrauch derselben maßvoll sein. Ferner schreibt er als Regel für deren rechten Gebrauch vor, sie nicht zu einem Vorwande oder Anlass der Willkür zu machen. Denn die Freiheit ist nicht dem Fleische gegeben, das vielmehr unter dem Joch gefangen gehalten werden muss, sondern sie ist ein geistliches Gut, für das nur fromme Seelen empfänglich sind.

Sondern durch die Liebe diene einer dem andern. – Dies ist die Weise, wie man die Freiheit zügeln muss, dass sie sich nicht in flatternden und maßlosen Missbrauch verliere: Die Freiheit soll sich durch die Liebe regieren lassen. Dabei wollen wir immer im Sinne behalten, dass jetzt nicht davon die Rede ist, wie wir vor Gott frei werden, sondern wie wir unsere Freiheit im Verkehr mit den Menschen gebrauchen sollen. Ist es mit dem Gewissen recht bestellt, so erträgt dasselbe freilich auch nicht die geringste Spur von Knechtschaft; dass man sich aber in äußeren Dingen beuge und Verzicht leiste, ist ganz ungefährlich. Alles in allem: Wollen wir einander in der Liebe dienen, so müssen wir stets auf des Nächsten Erbauung bedacht sein. So geraten wir nie in ein zügelloses Wesen, sondern verwerten die Gnade Gottes zu Seiner Ehre und des Nächsten Wohl.

Denn alle Gesetze werden in einem Wort erfüllt. – Leise kann man einen stillen Gegensatz hören zwischen dieser Ermahnung Pauli und der Lehre der falschen Apostel. Denn während jene allein auf die Zeremonien pochten, streift Paulus hier kurz die wahren Pflichten und Aufgaben der Christen. Dahin also zielt diese Empfehlung der Liebe, dass die Galater wissen sollen, dass die christliche Vollkommenheit hauptsächlich auf ihr beruhe. Doch wir müssen sehen, warum er alle Gesetzesvorschriften unter der Liebe zusammenfasst, da doch das Gesetz aus zwei Tafeln besteht, deren eine von der Verehrung Gottes und den Pflichten der Frömmigkeit redet, und nur die andere von der Nächstenliebe. Einen Teil aber zum Ganzen zu machen, wäre ja töricht. Mit der Erinnerung an die Gottesliebe, von welcher die erste Tafel handelt, ist hier nicht auszukommen, denn Paulus redet ganz deutlich eben von der Nächstenliebe. Wir müssen uns daher um ein besseres Verständnis bemühen. Mag nun die Beobachtung der ersten Tafel an sich viel höher stehen als die der zweiten, so bleibt doch wahre Frömmigkeit vor Menschensinnen ebenso verborgen, wie Gott unsichtbar ist. Sollten nun auch die Zeremonien zum Erweise der Frömmigkeit dienen, so ist doch darauf kein Verlass, denn in diesem Stück beweisen nur zu oft gerade die Heuchler den größten Eifer. Darum will Gott als Beweis unserer Liebe zu Ihm die Bruderliebe sehen. Diese heißt also nicht bloß hier, sondern auch in Römer 13.8 des Gesetzes Erfüllung, nicht weil sie besser wäre als Gottesdienst, sondern weil sie die kenntliche Erscheinung desselben ist. Der unsichtbare Gott stellt sich uns gewissermaßen in den Brüdern gegenüber, und fordert für sie, was wir Ihm schuldig sind. So fließt denn freilich die Nächstenliebe allein aus Gottesfurcht und Gottesliebe. Und vermöge dieses unlösbaren Zusammenhanges zwischen Wurzel und Frucht kann Paulus so reden, als wäre die letztere das Ganze.

Liebe deinen Nächsten. – Denn wer liebt, lässt jedem sein Recht zukommen, tut niemand Unrecht oder Schaden, tut vielmehr, soweit er kann, allen Gutes. Um was sonst handelt es sich aber in der ganzen zweiten Gesetzestafel? Eben dies sagt Paulus im Römerbriefe. Als unseren „Nächsten“ haben wir übrigens jeden Menschen anzusehen, mit welchem uns ja die gemeinsame Natur verbindet. Wie Jesaja sagt (58.7): „Entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut.“ Besonders aber muss die gemeinsame Gottesebenbildlichkeit uns aneinander ketten. So schwindet jeder Unterschied zwischen Freund und Feind, denn selbst die Schlechtigkeit der Menschen kann das Recht der Natur nicht zerstören. – Der Zusatz: „wie dich selbst“ will im Hinblick auf unsere natürliche Neigung zur Selbstliebe ganz besonders einprägen, dass Gott von uns fordert, vielmehr an den Nächsten zu denken. Wir werden aber niemals aufrichtig und nach Gottes Sinn den Nächsten lieben, wenn wir nicht unsere Selbstsucht ausrotten. Denn hier handelt es sich um entgegengesetzte Triebe. Die Selbstliebe erzeugt Vernachlässigung und Verachtung der Mitmenschen, erzeugt einen grausamen Sinn, ist die Quelle der Habsucht, von Räuberei, Betrügerei und ähnlichen Lastern, treibt uns zur Ungeduld und entfacht die Rachgier: Darum verlangt Gott, dass sie sich in Liebe kehre.

So ihr euch aber untereinander beißt und fresst, so seht zu, dass ihr nicht untereinander verzehrt werdet. – Sowohl aus der Sache als aus den Worten lässt sich vermuten, dass die Uneinigkeit in der Lehre auch andere Streitigkeiten unter den Galatern zur Folge hatte. An dieser Folge zeigt nun der Apostel, ein wie verderbliches Übel solche Uneinigkeit in der Gemeinde ist. Auch ist wahrscheinlich, dass der Herr ihren Ehrgeiz, Stolz und andere Laster mit Irrlehren gestraft hat, wie Er zu tun pflegt und wie Er dies auch in 5. Mose 13.2 bezeugt. Redet nun der Apostel von „beißen und fressen“, so werden ihm böswillige Verleumdungen vorschweben, Verdächtigungen, Schimpfworte und sonstige Beleidigungen mit Worten, aber auch Unbill, die durch Betrug oder Gewalt geschieht. Und was wird das Ende sein? Paulus sagt: Dass ihr untereinander verzehrt werdet. Dem gegenüber ist es doch die Art der Liebe, dass man einander schützt und hegt. Wenn wir doch, so oft der Teufel uns zum Streite reizt, immer daran dächten, dass aus dem inneren Widerstreit der Glieder nichts anderes hervorgehen kann als der völlige Untergang des ganzen Leibes! Wie elend aber und unvernünftig ist es, dass wir, die wir desselben Leibes Glieder sind, mutwilliges Verderben über uns heraufbeschwören!

Ich sage aber: Wandelt im Geist! – Damit folgt ein Fingerzeig auf das Heilmittel. Gilt es doch, einem so schweren Übel, welches den Untergang der Gemeinde bedeutet, mit allen Kräften zu steuern. Doch wie geschieht dies? Wenn wir uns nicht durch das Fleisch, sondern durch Gottes Geist regieren lassen. Der Ausdruck gibt übrigens zu verstehen, dass die Galater fleischlich sind und des göttlichen Geistes bar, weil sie eine für Christenmenschen unwürdige Haltung zeigen. Denn worin sonst hatten ihre Streitigkeiten ihren Grund als in der Herrschaft fleischlicher Leidenschaft? Das ist also ein Zeichen, dass sie nicht nach dem Geiste wandeln. Beachtenswert ist der Ausdruck: Ihr werdet die Lüste des Fleisches nicht vollbringen. Wir entnehmen demselben, dass Gottes Kinder, solange sie die Last dieses Fleisches tragen, zwar noch allerlei sündhaften Neigungen unterworfen sind, dass sie aber an dieselben nicht völlig gebunden und verkauft sind, sondern angespannten Widerstand leisten. Freilich steht der geistliche Mensch über die Begierden des Fleisches nicht so erhaben da, dass sie ihn nicht oftmals reizen, aber er unterliegt nicht, noch überlässt er ihnen die Herrschaft – kurz, er „vollbringt“ sie nicht (vergleiche Römer 8.1 ff.).

Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist. – Der Apostel erinnert an den schweren Kampf, ohne welchen niemand zum geistlichen Sieger werden kann. Die Schwierigkeit aber liegt darin, dass unsere seelische Art dem Geiste Gottes widerstrebt. Will doch unter dem „Fleisch“, wie wir zu Römer 7.18; 8.3 und 8.7 dargelegt haben, die ganze Art und Natur des Menschen verstanden sein. Ist „Geist“ die erneuerte Natur oder die Gnadenkraft der Erneuerung, so kann das Fleisch nichts anderes sein als der alte Mensch. Wenn eben die ganze Natur des Menschen sich wider Gottes Geist auflehnt und ihm widerstrebt, so bedarf es harten und schweren Kampfes und der gewaltsamsten Anstrengungen, wenn wir dem Geiste gehorchen wollen. Der Anfang muss mit der Selbstverleugnung gemacht werden. Hier können wir sehen, wie Gottes Wort unseren Geist einschätzt: Unser Geist und göttliches Wesen stimmen zusammen wie Wasser und Feuer. Daraus lässt sich abnehmen, dass der freie Wille keinen Tropfen des wahrhaft Guten in sich birgt. Oder soll etwa gut heißen, was das Widerspiel des Geistes Gottes ist? So heißt es auch Römer 8.7: Fleischlich gesinnt sein ist eine Feindschaft wider Gott.

Dass ihr nicht tut, was ihr wollt. – Dies bezieht sich ohne Zweifel auf die Wiedergeborenen. Denn fleischliche Menschen haben keinen Kampf mit bösen Begierden, kein rechtes Verlangen, in welchem sie sich nach Gottes Gerechtigkeit sehnen. Und da Paulus die Gläubigen anredet, so deutet dieses „Wollen“ nicht auf die natürliche Neigung, sondern auf die heiligen Gedanken und Absichten, welche Gott uns durch seine Gnade einhaucht. Paulus sagt also, dass die Gläubigen trotz alles guten Strebens dennoch in diesem irdischen Leben sich nicht so weit emporringen, dass sie Gott vollkommen dienen. Ein Wollen und Begehren haben sie wohl, aber die volle Wirkung entspricht dem nicht. Diesen Gedanken haben wir zu Römer 7.15 genauer erörtert.

Regiert euch aber der Geist, so seid ihr nicht unter dem Gesetze. – Wenn also die Gläubigen auf Gottes Wege nur hinkenden Schrittes vorwärts kommen, so mögen sie doch nicht den Mut darüber verlieren, dass sie dem Gesetze Gottes noch nicht Genüge tun. Darum spendet ihnen Paulus hier (wie auch in Römer 6.14) den Trost: Ihr seid nicht unter dem Gesetze. Denn daraus folgt, dass ihnen, was noch fehlt, nicht angerechnet wird, sondern ihre Werke Gott so angenehm sind, als wenn sie fehlerfrei und ganz vollkommen wären. – Übrigens bewegt sich dieser Gedanke zugleich in der Bahn der begonnenen Erörterung über die Freiheit. Den Geist, von welchem Paulus hier redet, nannte er ja vorher (4.5 - 6; vergleiche Römer 8.15) den Geist der Kindschaft: Er ist es, welcher die Menschen frei macht, indem Er ihnen das Joch des Gesetzes abnimmt. Paulus will sagen: Wollt ihr endlich einmal die Streitereien beendigen, mit denen ihr euch selbst am meisten quält, so wandelt im Geist! Denn dann werdet ihr der Herrschaft des Gesetzes entrinnen, das Gesetz wird euch dann nur noch eine Lehre bedeuten, die euch allerlei Fingerzeige gibt, die aber das Gewissen nicht weiter gebunden hält. Sind wir aber dem Gesetz nichts mehr schuldig, so leben wir auch frei von den Zeremonien, die ja doch nur Symbole der Knechtschaft sind.