GALATER

Galater Kapitel 4 Teil III

Galater 4.12-20

Seid doch wie ich; denn ich bin wie ihr. Liebe Brüder, ich bitte euch. Ihr habt mir kein Leid getan. Denn ihr wisset, dass ich euch in Schwachheit nach dem Fleisch das Evangelium gepredigt habe zum ersten Mal; und meine Anfechtungen, die ich leide nach dem Fleisch, habt ihr nicht verachtet noch verschmäht, sondern als einen Engel Gottes nahmt ihr mich auf, ja als Christus Jesus. Wie wart ihr damals so selig! Ich bin euer Zeuge, dass, wenn es möglich gewesen wäre, ihr hättet eure Augen ausgerissen und mir gegeben. Bin ich denn damit euer Feind geworden, dass ich euch die Wahrheit vorhalte? Sie eifern um euch nicht fein, sondern sie wollen euch von mir abfällig machen, dass ihr um sie sollt eifern. Eifern ist gut, wenn’s immerdar geschieht um das Gute, und nicht allein, wenn ich gegenwärtig bei euch bin. Meine lieben Kindlein, welche ich abermals mit Ängsten gebäre, bis das Christus in euch eine Gestalt gewinne! Ich wollte, dass ich jetzt bei euch wäre, und meine Stimme wandeln könnte; denn ich bin irre an euch.

 

Seid doch wie ich. – Durch diese freundlichere Zusprache mildert Paulus die bisherige Schärfe. Für die unwürdige Haltung der Galater war freilich kein Tadel zu schroff; weil es aber dem Apostel vor allem darauf ankam, sie zurechtzubringen, mildert er seine Rede und sucht so die Gemüter zu versöhnen. Das ist ja die Art eines weisen Seelenhirten, nicht danach zu fragen, was die Irrenden wohl verdient hätten, sondern was ihnen frommt, um sie wieder auf den rechten Weg zu leiten. Muss man strafen zu rechter Zeit und zur Unzeit, so soll dies doch mit aller Gelindigkeit und Geduld geschehen, wie derselbe Paulus anderwärts (in 2. Timotheus 4.2) vorschreibt. In solcher Erwägung hört er hier auf zu strafen und fängt an zu bitten. Ich bitte euch, sagt er, und Brüder nennt er die Galater, damit sie wissen, dass er mit dem Tadel sie nicht hat schmähen wollen. Fordert er nun, sie sollten sein wie er, so denkt er dabei an die innere persönliche Stimmung. Er ist ihnen innerlich entgegengekommen, nun mögen sie das Gleiche tun. Denn ich bin wie ihr, das heißt wenn ich nur darauf ausgehe, wie ich mich euch nützlich erweisen kann, so ist es billig, dass auch ihr euch etwas mäßigen lernt und euch lenksam und willig beweist. In alledem birgt sich ein neuer Fingerzeig für Seelenhirten: Wer unter dem Volke etwas erreichen will, soll ihm so nahe kommen wie möglich und soll ganz in sein Denken und Fühlen eingehen. Denn immer gilt der Satz: Wer Liebe ernten will, muss Liebe beweisen.

Ihr habt mir kein Leid getan. – Damit beseitigt der Apostel einen Verdacht, bei welchem die eben vernommenen Vorwürfe allerdings hätten gehässig erscheinen müssen. Denn wenn wir glauben, dass jemand persönliche Beleidigungen ahnden oder sich wegen eigener Unannehmlichkeiten rächen will, so wendet sich unser Herz von ihm, und was er sagt, erscheint in einem üblen Lichte. Allen solchen Gedanken will Paulus die Spitze abbrechen, indem er sagt: Persönlich habe ich keine Klage über euch zu führen. Werde ich heftig, so geschieht dies nicht meinetwegen, nicht aus Zorn oder Hass, sondern, weil die Sache es erfordert.

Ihr wisset, dass ich euch in Schwachheit gepredigt habe. – Diese Erinnerung an die freundliche und ehrenvolle Aufnahme, welche der Apostel bei den Galatern gefunden hat, hat einen doppelten Zweck: Zuerst sollen sie wissen, dass er sie liebt, und mit willigem Ohr seine Worte aufnehmen; sodann sollen sie einen Anstoß empfangen, zu dem guten Anfang ihres Laufes zurückzulenken. Unter „Schwachheit des Fleisches“ versteht Paulus alles, was ihn verächtlich und gering erscheinen lassen konnte. „Fleisch“ bezeichnet die äußere Erscheinung, „Schwachheit“ des Fleisches deutet demgemäß auf ein unansehnliches Auftreten, wie ja Paulus in der Tat ohne Prunk, ohne Prahlerei, ohne jene Ehre und Würde gekommen war, die in der Welt zu gelten pflegt, sondern als ein ganz bescheidener und scheinbar unbedeutender Mann. Trotzdem hatten die Galater ihn sehr ehrenvoll aufgenommen. Dieser Umstand ist von höchster Bedeutung, denn es konnte doch nur die Kraft des Heiligen Geistes sein, welche den Apostel groß und erhaben scheinen ließ. Wie durfte man ihn aber dann jetzt plötzlich bei Seite schieben? Paulus erhebt also einen Vorwurf auf Wankelmütigkeit: An ihm selbst hatte sich ja nichts verändert, um dessen willen er etwa geringere Achtung verdiente. Doch gibt er in dieser Hinsicht nur eine Andeutung und überlässt das Weitere dem eigenen Nachdenken der Galater.

Meine Anfechtungen, die ich leide nach dem Fleisch habt ihr nicht verachtet noch verschmäht. – Paulus will sagen: Obwohl ihr mich als einen Menschen vor euch stehen saht, der nach weltlichem Maßstabe verächtlich erscheinen konnte, so habt ihr mich doch nicht verachtet. Sondern als einen Engel Gottes nahmt ihr mich auf. So muss man ja jeden wahren Diener Christi ansehen. Denn wie Gott uns durch den Dienst der Engel Seine Gnadengaben austeilt, so erweckt Er auch fromme Lehrer, welche uns das allerherrlichste Gut zudienen sollen: Die Lehre vom ewigen Heil. Darum werden die Männer, durch deren Hände uns Gott einen solchen Schatz übermittelt, nicht mit Unrecht den Engeln an die Seite gestellt. Spricht durch ihren Mund Gott selbst zu uns, so sind sie auch in Wahrheit Gottes Boten (vergleiche Maleachi 2.7). Aber Paulus versteigt sich noch höher, indem er hinzufügt „ja als Christus Jesus“. Auch der Herr selbst schreibt vor, Seine Diener nicht anders zu schätzen als Ihn selbst (Lukas 10.16): „Wer euch hört, der hört mich; wer euch verachtet, der verachtet mich“. Das ist nicht verwunderlich, denn als Seine Gesandten traten sie an Seine Stelle. Mit solchen Lobsprüchen wird uns die Majestät des Evangeliums gepriesen und der Dienst daran verherrlicht. Müssen aber nach Christi Befehl die Diener so geehrt werden, so ist gewiss, dass es nur vom Teufel stammen kann, wenn man sie verachtet. Es kann ja auch keine Verachtung ihrer Person aufkommen, solange man noch das Wort gebührend schätzt. Freilich gilt die leere Berufung auf das bloße Amt, wie man sie im Papsttum vernimmt, nichts: Wer als ein Engel verehrt werden will, soll auch ein Engelswerk ausrichten; wer gehört werden will, wie Christus selbst, soll auch treulich das reine Gotteswort predigen.

Wie wart ihr damals so selig! – Oder: Wo ist nun eure Seligkeit von damals geblieben? Paulus gibt zu verstehen, dass die Galater damals selig waren, als sie ihn, welcher ihnen Seligkeit brachte, mit frommer Zuneigung umfingen. Jetzt aber sind sie unglücklich, weil sie sich den Dienst eines Mannes haben rauben lassen, dem sie alles verdankten, was sie von Christus besaßen. Damit will der Apostel seiner Gemeinde einen Stich versetzen. Soll denn alles verloren sein? Soll es umsonst gewesen sein, dass ihr einst Christus aus mir reden hörtet und annahmt? So ich vergeblich euch im Glauben gegründet haben? Soll jetzt euer Abfall den Ruhm eures Gehorsams vor Gott vernichten?

Ich bin euer Zeuge. – Nicht nur Ehrfurcht soll den Pastoren zu Teil werden, sondern auch Liebe. Beides ist notwendig. Denn sonst fehlt ihrer Lehre der liebliche Geschmack. Beides war nach Pauli Zeugnis bei den Galatern der Fall. Von ihrer Liebe spricht er hier. Denn es ist das Zeichen einer seltenen Liebe, seine Augen auszureißen, wenn es nötig ist. Das ist noch mehr als die Hingabe des Lebens.

Bin ich denn damit euer Feind geworden? – An dem jetzigen Umschwung will Paulus nicht schuld sein. Mag es noch so oft vorkommen, dass man sich durch offene Wahrhaftigkeit verhasst macht, so geschieht dies doch nur, wo ein böser und verkehrter Sinn die Wahrheit eben nicht hören will. Ist also jetzt eine Entfremdung eingetreten, so kann der Apostel die Schuld von sich abwälzen und die Undankbarkeit der Gemeinde anklagen. Dabei redet er noch immer im Tone freundlicher Erinnerung, die Gemeinde möge doch ja nicht unbedacht und grundlos ihren Apostel verwerfen, den sie einst geliebt und liebenswert gefunden hat. Wie unsagbar hässlich wäre es doch, wenn Hass gegen die Wahrheit aus Freunden Feinde machen sollte! So wollen diese Worte weniger schelten, als zur Umkehr mahnen.

Sie eifern um euch nicht fein. – Endlich wendet sich Paulus zu den falschen Aposteln, denen er viel böser mitspielt, indem er sie namenlos lässt, als wenn er sie ausdrücklich genannt hätte. Denn wir pflegen Namen zu unterdrücken, wenn wir von Leuten sprechen, die zu nennen uns anwidert. Der Apostel will nun seiner Gemeinde über das unzeitige Liebeswerben jener Leute die Augen öffnen, das freilich einem redlichen Eifer täuschend ähnlich sieht. Diese Leute sind wie Verführer, welche eine Jungfrau nicht zu keuschem und ehrbarem Bunde, sondern zu unreiner Lust gewinnen möchten. Möchten sich doch die Galater durch diesen regsamen Eifer nicht imponieren lassen: Dahinter steckt keine reine Absicht, sondern nur die eitle Sucht, sich einen Namen zu machen! So haben wir hier das Widerspiel zu jenem Eifer, von welchem in 2. Korinther 11.2 die Rede ist.

Sie wollen euch von mir abfällig machen, dass ihr um sie sollt eifern. – Damit erscheint ihre betrügerische Kunst in einem noch hässlicheren Lichte. Sie haschen nicht nur nach euch, sagt Paulus, sondern weil sie sich euer nicht anders bemächtigen können, versuchen sie Zwietracht zwischen uns zu säen, damit ihr nun innerlich allein steht und desto leichter eine Anknüpfung bei ihnen suchen möchtet. Wissen sie doch recht gut, dass sie keinen Eingang finden werden, so lange zwischen uns gutes Einvernehmen herrscht. Es ist ein geläufiges Kunststück aller Diener Satans, die Gemeinde ihrem Hirten zu entfremden, um sie nachher zu sich herüberzuziehen und, wenn der Nebenbuhler sozusagen entfernt ist, den leeren Platz einzunehmen. Bei genauer Beobachtung wird man immer finden, dass Irrlehrer auf solche Weise den Anfang machen.

Eifern ist gut. – Ob der Apostel hier von sich oder von den Galatern spricht, ist nicht sofort deutlich. Sollen in der Tat rechte Diener Christi brennenden Eifer beweisen, um ihre Gemeinden in der keuschen Verbindung mit ihrem himmlischen Eheherrn festzuhalten, so ließe sich der Satz in folgendem Sinne auf Paulus beziehen: Auch ich eifere um euch, aber mit anderem Ziel und Zweck; und ich tue dies abwesend nicht weniger als anwesend, weil ich nicht das Meine dabei im Auge habe. Besser wird der Satz doch auf die Galater bezogen werden, wobei freilich noch immer verschiedene Deutungen möglich sind. Entweder so: Jene versuchen, euch mir zu entfremden, damit ihr in der Vereinsamung zu ihnen übergeht; ihr aber, die ihr mich, als ich gegenwärtig war, geliebt habt, fahrt fort, auch wenn ich abwesend bin, mit Liebe mich zu umfassen! Vielleicht noch richtiger so: Paulus spielt mit der Doppelbedeutung des Wortes eifern. Erst hatte er es gesetzt im Sinne von „sich bewerben“, dann heißt es so viel wie „der Tüchtigkeit eines andern nacheifern“. Indem er das trügerische Eifern verurteilt, ermahnt er die Galater, sich in der entgegengesetzten Art des Eiferns zu üben, und zwar auch, wenn er abwesend ist.

Meine lieben Kindlein. – Eine besonders freundliche Anrede. Denn „Kind“ ist mehr als „Bruder“, und die Verkleinerungsform ist nicht verächtlich, sondern zärtlich gemeint. Immerhin mögen wir auch eine leise Anspielung auf die Unreife der Galater heraushören, welche ja längst ausgereifte Männer hätten sein sollen. Die Rede ist abgebrochen, wie es in der Erregung zu geschehen pflegt. Ein besonders lebhaftes Gefühl lässt uns ja den Faden der Rede abbrechen und nicht den passendsten Ausdruck finden: Wenn die Seele emporquillt, so verschließt sie leicht den Mund.

Welche ich abermals mit Ängsten gebäre. – Auch daraus, dass Paulus um der Galater willen mütterliche Wehen und Schmerzen auf sich nimmt, kann man abnehmen, wie sehr er sie liebt. Zugleich aber verraten seine Worte eine gewisse Ängstlichkeit. Denn erst, wenn eine Mutter geboren hat, kehrt Freude ein, bei der Geburt selbst aber erduldet sie die bittersten Qualen. Waren nun die Galater bei ihrer Bekehrung schon einmal ans Licht geboren, so mussten sie jetzt nach dem Abfall gleichsam noch einmal geboren werden. Kann aber der Apostel sagen, bis dass Christus in euch eine Gestalt gewinne, so mildert er mit diesem Ausdruck die bisherige Aussprache. Die erste Geburt scheint danach doch nicht ganz zunichte geworden, vielmehr deutet das Bild darauf hin, dass nur eine nicht völlig ausgetragene Frucht noch zur ganzen Reife kommen muss. So gewinnt sie in Christus eine Gestalt, oder (was dasselbe ist), Christus gewinnt Gestalt in uns. Denn dazu werden wir eben geboren, damit wir in Ihm neue Kreaturen werden, und Er selbst wird in uns geboren, damit Sein Leben in uns lebe. Weil nun das wahre Bild Christi durch die von den falschen Aposteln eingeführten Irrlehren entstellt ward, arbeitet Paulus an dessen Ausbildung, damit es rein und ohne Hindernis erstrahle. Das tun auch die Diener des Evangeliums, wenn sie Milch, wenn sie feste Speise geben, ja im ganzen Verlauf ihrer Predigt müssen sie damit beschäftigt sein. Insbesondere vergleicht sich hier aber der Apostel einer Gebärerin, unter dem Gesichtspunkte, dass die Galater noch nicht völlig geboren waren. Damit gibt er einen trefflichen Wink für die Aufgabe des Predigtamtes. Ist es im eigentlichsten Sinne allein Gottes Werk geistlich zu zeugen und zu gebären, so sind doch die Diener des Wortes mit ihrer Predigt Seine Werkzeuge. Und sofern Gottes Kraft ihre Tätigkeit begleitet, kann man wohl von ihnen aussagen was eigentlich nur Gottes ist. Dabei gilt es aber stets festzuhalten, dass der Diener des Wortes, abgesehen von Gottes Kraft, nichts ist und vermag, sondern ein nutzloses Werkzeug bleibt. Wirkt aber durch ihn der Heilige Geist, so gewinnt er Anteil an dem Lobe, das solchem Wirken gebührt. Will also ein Diener des Wortes wirklich etwas ausrichten, so muss er streben, nicht sein, sondern Christi Bild der Gemeinde einzuprägen. – Wie vom Schmerz überwältigt bricht der Apostel nun mitten im Satze ab.

Ich wollte, dass ich jetzt bei euch wäre. – Einen schmerzlicheren Tadel kann ein Vater kaum aussprechen, als wenn er klagen muss, dass er durch Schuld der Kinder ganz verwirrt, irre und ratlos wird, sodass er nicht mehr weiß, wohin er sich wenden soll. Des Apostels Wunsch wäre es nun, mündlich mit den Galatern verhandeln zu können, weil sich ja persönlich viel leichter der passende Ton treffen lässt: Nur die mündliche Rede vermag sich anzupassen, je nachdem der Zuhörer sich empfänglich oder widerstrebend zeigt. Aber noch mehr als dies will der Apostel ausdrücken, wenn er wünscht, seine Stimme wandeln zu können: Er wäre gern bereit, ganz neue Formen und selbst eine neue Sprache zu finden, wenn er wüsste, wie er es machen sollte. Möchten hier alle Diener am Worte lernen, dass sie nicht selbstgefällig an ihrer Eigenart kleben, sondern, wie es die Sache fordert, sich dem Verständnis der Gemeinde anbequemen. Freilich darf die Rücksicht auf Menschenbeifall sie auch nicht vom rechten Wege abbringen.