GALATER

Galater Kapitel 4 Teil II

Galater 4.6-11

Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreit: Abba, lieber Vater! Also ist nun hier kein Knecht mehr, sondern eitel Kinder; sind es aber Kinder, so sind es auch Erben Gottes durch Christus. Aber zu der Zeit, da ihr Gott nicht erkanntet, dientet ihr denen, die von Natur nicht Götter sind. Nun ihr aber Gott erkannt habt, ja vielmehr von Gott erkannt seid, wie wendet ihr euch denn nun wieder zu den schwachen und dürftigen Satzungen, welchen ihr von neuem an dienen wollt? Ihr haltet Tage und Monate und Feste und Jahre. Ich fürchte euer, dass ich nicht vielleicht umsonst habe an euch gearbeitet.

 

Dass auch die Galater an der eben beschriebenen Gotteskindschaft Anteil besaßen, ergibt sich nun daraus, dass ihnen der Geist der Kindschaft geschenkt ward, den man doch ohne die Kindschaft selbst nicht wohl haben kann. Paulus will sagen: Christi Geist treibt und mahnt euch, dass ihr wagen dürft, Gott euren Vater zu nennen. So muss es ja feststehen, dass ihr Gottes Kinder seid. Ganz ebenso nennt Paulus auch sonst den Geist einen Bürgen und ein Unterpfand unserer Kindschaft (2. Korinther 1.22; 5.5), so dass wir nun von Gottes väterlicher Gesinnung gegen uns fest überzeugt sein können. Freilich ließe sich fragen: Gehen nicht auch die Gottlosen in ihrer Verblendung soweit, dass sie damit prahlen, Gott sei ihr Vater? Sie pflegen sogar umso anmaßender sich Gottes zu rühmen, je weniger sie dazu ein Recht haben. Darauf antworte ich: Paulus redet hier nicht von eitler Prahlerei oder von dem, was einer für sich nach seinem eigenen Geiste beansprucht, sondern von dem Zeugnis eines frommen Gewissens, welches mit der Wiedergeburt unabtrennbar verbunden ist. Darum hat dieser Beweis nur unter Gläubigen Gültigkeit, weil die Gottlosen keine Erfahrung von dieser Gewissheit besitzen; wie der Herr selbst sagt (Johannes 14.17): Der Geist der Wahrheit, den die Welt nicht kann empfangen, denn sie kennt ihn nicht. Nichts anderes sagen auch Pauli Worte.

Gott hat gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen. – Nicht von dem redet der Apostel, was vielleicht den Galatern anmaßender fleischlicher Sinn eingab, sondern was Gott ihnen innerlich im Herzen durch seinen Geist bezeugte. Damit stimmt es trefflich zusammen, dass nach dem vorliegenden Ausdruck Gott den Geist seines Sohnes gesandt hat. Gerade weil wir den Geist Seines Sohnes haben, sind wir Gottes Kinder. Dabei wollen wir wohl beachten, wie Paulus diesen Besitz allen Christen insgemein zuerkennt, wie denn in Wirklichkeit da kein Glaube ist, wo dieses Unterpfand der göttlichen Liebe gegen uns fehlt. Von hier aus fällt ein Licht auf das Christentum des Papismus, wo der einer gottlosen Anmaßung schuldig gesprochen wird, der den Geist Gottes zu haben vorgibt. So ersinnt man sich einen Glauben ohne Gottes Geist und ohne Gewissheit, während doch Paulus niemanden als einen Christen gelten lässt, der nicht unter dem Antrieb des Heiligen Geistes Gott als seinen Vater anruft.

Der schreit. – Wer ein fröhliches Vertrauen besitzt, darf seinen Mund weit auftun. Der Zweifel dagegen hindert uns, frei heraus zu reden, hält die Kehle gleichsam eingeschnürt, sodass kaum halbgebrochene Töne bei stammelnder Zunge herauskommen. Dagegen ist das Schreien ein Anzeichen der Sicherheit und des nicht wankenden Vertrauens. Denn wir haben nicht abermals einen knechtischen Geist empfangen, dass wir uns fürchten müssten (Römer 8.15), sondern einen Geist der Freiheit voll fröhlichen Vertrauens.

Abba, lieber Vater! – Dass uns dieser Ruf in doppelter Sprache mitgeteilt wird, bedeutet ohne Zweifel, dass er in allen Zungen erschallen soll. Gerade in den vorliegenden Zusammenhang passt ja der Hinweis trefflich, dass gleicherweise Juden und Griechen Gott ihren Vater nennen. So hatte es Jesaja vorausgesagt (45.23): Alle Zungen sollen meinen Namen bekennen. Zählen aber die Heiden zu den Kindern Gottes, so ist klar, dass die Kindschaft sich nicht auf gesetzliches Verdienst, sondern auf die Gnadengabe des Glaubens gründet.

Also ist nun hier kein Knecht mehr. – Das heißt in der christlichen Gemeinde gibt es nicht mehr Knechtschaft, sondern nur freie Kindesstellung. In welcher Weise die Väter unter dem Gesetze Knechte waren, ist schon gesagt, nämlich insofern ihre Freiheit noch nicht offenbart, sondern unter den Hüllen und dem Joch des Gesetzes eingeschlossen war. Paulus spricht also wieder vom Unterschied zwischen dem alten und dem neuen Bund. Kinder Gottes waren die Alten auch und Erben durch Christus. Aber wir sind es in anderer Weise, denn Christus ist uns gegenwärtig, deshalb genießen wir Seine Gaben. Dies alles wird im Römerbrief eingehender besprochen (vergleiche Römer 8.15).

Aber zu der Zeit, da ihr Gott nicht erkanntet. – Um den Galatern vorzustellen, wie tief sie gefallen sind, sagt Paulus: Was einst ganz begreiflich war, muss jetzt nahezu unfasslich scheinen. Dass ihr bei der früheren Blindheit und Unkenntnis Gottes denen dientet, die von Natur nicht Götter sind, kann ich verstehen. Aber wie unwürdig ist es, jetzt am hellen Tag so schmählich in der Irre zu gehen! So lässt sich die gegenwärtige Verunreinigung des Evangeliums viel weniger entschuldigen als der frühere Götzendienst. Dies ist der Hauptgedanke. Übrigens ist noch zu bemerken, dass die Menschen, ehe sie die Erleuchtung zur Erkenntnis des Einen Gottes empfangen haben, immer den Götzen dienen, mit welcher Farbe sie auch die falsche Religion verdecken. Soll man Gott in Wahrheit verehren, so muss man Ihn erst recht kennen. – Die Götzen sind „von Natur“, das heißt ihrem Wesen nach, nicht Götter. Denn alles, was Menschen über Gott ausdenken, ist eine Dichtung und ein Nichts. So sind Götzen nur Gedankengötter, also in Wahrheit ein Nichts.

Nun ihr aber Gott erkannt habt. – Es lässt sich nicht in Worten genügend ausdrücken, welch eine schändliche Undankbarkeit der Abfall von dem einmal erkannten Gott ist. Man bedenke doch, was es eigentlich bedeutet, freiwillig das Licht, das Leben und die Quelle aller Güter zu verlassen, wie der Herr selbst durch Jeremia (2.13) klagt. Noch größer aber wird die Schuld, weil Paulus verbessernd hinzusetzen muss: Ja vielmehr von Gott erkannt seid. Denn je größer Gottes Gnade gegen uns, umso schwerer ist unsere Schuld, wenn wir sie verachten. Paulus erinnert die Galater daran, woher ihre Gotteserkenntnis kommt. Sie haben sie nicht erlangt durch eigene Kraft, durch den Scharfsinn ihres Geistes oder durch Fleiß, sondern weil Gott durch Seine Barmherzigkeit ihnen zuvorgekommen ist, als sie an nichts weniger als an Ihn dachten. Was Paulus von den Galatern sagt, gilt ebenso von uns allen. Denn immer erfüllt sich jenes Wort des Jesaja (65.1): Ich werde gesucht von denen, die nicht nach mir fragten; ich werde gefunden von denen, die mich nicht suchten. Der Grund unserer Berufung ist also Gottes gnädige Erwählung, durch die Er uns zum Leben bestimmt hat, ehe wir geboren werden. Davon hängen die Berufung und der Glaube ab, wie überhaupt alles, was zur Seligkeit gehört.

Wie wendet ihr euch denn nun wieder zu den schwachen und dürftigen Satzungen, welchen ihr von neuem an dienen wollt? – Da die Galater nicht in den jüdischen Zeremonien aufgewachsen waren, so konnten sie sich, streng genommen, auch nicht „wieder“ zu denselben wenden. So wird vielmehr ein allgemeiner Tadel darüber vorliegen, dass die Gemeinde sich in so unbegreiflicher Weise wieder einem alten Aberglauben zugekehrt, als hätte sie nie etwas von Gottes Wahrheit vernommen. Als schwache und dürftige Satzungen bezeichnet aber der Apostel die Zeremonien, weil er sie außer dem Zusammenhang mit Christus betrachtet, ja sogar im Gegensatz gegen Christus. Denn den Vätern waren sie nicht nur heilsame Übungen und Hilfsmittel ihrer Frömmigkeit, sondern auch wirksame Mittel der Gnade. Aber ihre ganze Kraft ruhte in Christus und in Gottes Einrichtung. Die falschen Apostel dagegen legten auf die Zeremonien einen Wert im Gegensatz zur Predigt von Christus und ließen die daran gehängten Verheißungen gänzlich außer Acht: So entstand denn freilich ein Aberglaube, den Paulus mit Recht geringschätzig behandelt. Heißt es endlich, dass die Galater diesen Satzungen dienen, so liegt darin ein Hinweis auf den Zwang, welchem sie sich unterwerfen.

Ihr haltet Tage und Monate und Feste und Jahre. – Damit führt der Apostel nur ein Beispiel für die Art der Satzungen an. Selbstverständlich will er die Beobachtung bestimmter Zeiten im bürgerlichen Leben, wie sie sich aus der Naturordnung ergibt, nicht für unerlaubt erklären. Diese Naturordnung wird fest und unbeweglich bleiben. Der Wechsel von Monaten und Jahren ergibt sich aus dem Umlauf der Sonne und des Mondes. Sommer und Winter, Frühling und Herbst müssen einander nach Gottes ablösen. So hat es ja Gott selbst versprochen (1. Mose 8.22). Dass sich das bürgerliche Leben nach dieser Ordnung richtet, lässt sich auch im Ackerbau, in Staat und Haushalt gar nicht vermeiden. Und diese Tatsache wirkt auch in das Leben der christlichen Gemeinde hinein. Die Tagewählerei, welche Paulus tadelt, ist von ganz anderer Art; sie bindet die Gewissen mit religiöser Scheu, als ob es zum rechten Gottesdienst gehörte, einen Tag heiliger zu halten, als den anderen (vergleiche auch zu Römer 14.5 f.). In diesem Geiste drängten die falschen Apostel zur Beobachtung der Sabbate, Neumonde und anderen Festtage, weil sie im Gesetz verordnet waren. Wenn wir dagegen heute zwischen den Tagen Unterschiede machen, so legen wir nicht die Schlinge des Zwanges um die Gewissen, wir halten nicht einen Tag vor dem anderen, als wäre einer heiliger als der andere, wir machen daraus nicht eine Sache der Religion und Gottesverehrung, sondern sorgen nur für die Ordnung in der Gemeinschaft. So ist bei uns die Beobachtung der Tage frei und rein von allem Aberglauben.

Ich fürchte euer, dass ich nicht vielleicht umsonst habe an euch gearbeitet. – Ein hartes Wort, das die Galater sehr demütigen musste. Denn was blieb ihnen für Hoffnung übrig, wenn Paulus‘ Arbeit vergeblich gewesen wäre? Manche wundern sich, dass Paulus durch die Beobachtung der Tage erregt wurde, dass er sie eine Zerstörung fast des ganzen Evangeliums nennt. Wir müssen ihm aber bei genauer Überlegung Recht geben. Nicht nur versuchten die falschen Apostel, der Gemeinde ein jüdisches Joch aufzuhalsen, sondern sie erfüllten auch die Seelen mit gottlosem Aberglauben. Schon das war kein geringes Übel, dass die Christen dem jüdischen Formenwesen unterworfen wurden, aber ein noch viel schlimmeres Gift war es, dass man im Widerspruch mit der Gnade Christi die Beobachtung von Feiertagen als ein verdienstliches Werk einführte, mit welchem man Gott verehren und versöhnen könnte! Bei der Annahme solcher Lehren wird die Verehrung Gottes gefälscht, die Gnade Christi entleert, die Gewissensfreiheit unterdrückt. Wundern wir uns, dass Paulus fürchtet, umsonst gearbeitet zu haben? Welcher nennenswerte Inhalt des Evangeliums wäre denn noch übrig geblieben? Und ähnlich steht es heute bei den Römischen!