GALATER

Galater Kapitel 3 Teil VI

Galater 3.23-29

Ehe denn aber der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahret und verschlossen auf den Glauben, der da sollte offenbart werden. Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus, dass wir durch den Glauben gerecht würden. Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. Denn ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christus Jesus. Denn wie viel euer auf Christus Jesus getauft sind, die haben Christus angezogen. Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal Einer in Christo Jesu. Seid ihr aber Christi, so seid ihr ja Abrahams Same, und nach der Verheißung Erben.

 

Ehe denn aber der Glaube kam. – Hier erfolgt eine genauere Erörterung der schwebenden Frage. Paulus setzt deutlich auseinander, nicht nur welche Bedeutung das Gesetz hat, sondern auch, warum es nur für eine Zeit in Geltung stand. Es wäre doch eine Ungereimtheit, dass für alle Zeiten den Juden ein Gesetz gegeben sein sollte, von welchem die Heiden gar nichts wüssten! Denn wenn es eine Kirche gibt, die aus Juden und Heiden besteht, warum sollte sie so verschieden regiert werden? Und woher sollte nun die neue Freiheit stammen und auf welches Recht sollte sie sich stützen, wenn doch die Väter unter dem Gesetze waren? Der Unterschied, welchen der Besitz oder Nichtbesitz des Gesetzes herbeiführt, muss also von solcher Art sein, dass er die innere Einheit und Zusammenstimmung der Kirche nicht stört. Bei alledem sei noch einmal erinnert, dass Paulus unter dem „Gesetz“ nicht bloß die Zeremonien und auch nicht das Moralgesetz allein versteht; vielmehr begreift er unter diesem Titel die ganze Veranstaltung, mit welcher der Herr im alten Bunde sein Volk regierte. War doch eben dies die Streitfrage, ob diese ganze Lebensform, wie sie Moses eingesetzt hatte, zum Erwerb der Gerechtigkeit dienen konnte. Das Gesetz in diesem umfassenden Sinne vergleicht Paulus zuerst einem Gefängnis, in welchem Israel verwahrt und verschlossen ward, sodann (in Vers 24) einem Zuchtmeister. – Auf den Glauben hin ward Israel verwahrt und erzogen, das heißt für die volle Offenbarung dessen, was das Gesetz nur unter dunkler, schattenhafter Hülle darbot. Dass die Väter, die unter dem Gesetze lebten, überhaupt noch keinen Glauben besaßen, will Paulus damit nicht behaupten. War doch soeben (Galater 3.8) von Abrahams Glauben die Rede. Und der Verfasser des Hebräerbriefs führt noch weitere Glaubensvorbilder an (Hebräer 11). Auch geben Moses und alle Propheten Zeugnis für die Lehre vom Glauben. Aber weil damals die Klarheit des Glaubens noch nicht so offenbar war, darum nennt Paulus die Zeit des neuen Bundes die Zeit des Glaubens, nicht schlechthin, sondern verhältnismäßig. Dass er es so meint, zeigt gerade auch der Ausdruck, dass Israel auf den Glauben hin verschlossen ward: So sollte also die Zucht des Gesetzes nicht vom Glauben ausschließen, sondern eben innerhalb der Glaubensschranken festhalten. Der Ausdruck „verschlossen“ spielt übrigens in feiner Weise auf die Wendung an (Vers 22), dass die Schrift alles unter die Sünde beschlossen habe. Denn wie die Menschen von allen Seiten vom Fluch umlagert gehalten wurden, so hatten sie dieser Belagerung gegenüber einen Gewahrsam, der sie vor dem Fluch beschützte. Paulus zeigt also, dass der Gewahrsam des Gesetzes dem Geiste nach in Wahrheit befreiend war. Der Glaube aber war damals noch nicht offenbar – nicht als ob die Väter damals gar kein Licht gehabt hätten, sondern sie besaßen nur weniger Licht als wir. Damals stellten die Zeremonien nur ein Schattenbild von Christus auf, der selbst noch ferne war, heute besitzen wir Ihn in persönlicher Gegenwart. Anstatt des Spiegels, den die Alten hatten, besitzen wir heute das Wesen. Bei aller Dunkelheit des Gesetzes wussten doch die Väter wohl, wie man wandeln müsse. Denn wenn auch bei der Morgenröte nicht solche Helligkeit ist wie um den Mittag, so warten doch die Wanderer nicht auf den vollen Aufgang der Sonne, weil es ihnen genügt, wenn sie den Weg sehen können. So hatten jene einen Anteil am Licht gleich der Morgenröte, dadurch sie, vor jeder Gefahr der Verirrung sicher, zur ewigen Seligkeit geführt werden konnten.

Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus. – Dieses zweite Gleichnis drückt den Gedanken noch deutlicher aus. Ein Zuchtmeister wird nicht für das ganze Leben gesetzt, sondern nur für die Jugendzeit. Ferner hat er bei Erziehung des Knaben dies im Auge, durch die kindlichen Anfangsgründe ihn auf Größeres vorzubereiten. Beides passt auf das Gesetz: Dasselbe hatte einmal nur über ein bestimmtes Zeitalter zu gebieten, ferner brauchte es seine Schüler nur bis zu einem gewissen Punkte zu führen, von welchem aus sie nach Überwindung der Anfangsgründe nun weiterschreiten konnten, wie es dem männlichen Alter ziemt. Darum sagt der Apostel, dass das Gesetz unser Zuchtmeister auf Christus war. Wie ein Elementarlehrer seinen Zögling in die Hand eines höheren Lehrers übergibt, der ihn nun tiefer in die Wissenschaft einführt, so war das Gesetz gewissermaßen unser erster Erzieher, welcher seine Schüler nun in den Anfangsgründen unterweisen konnte und dann an die Lehre vom Glauben zur vollen Ausbildung abtreten musste. So stehen nach des Apostels Vergleich die Juden auf der Stufe der Kindheit, wir aber sind zu kräftigem Jünglingsalter herangewachsen. Doch was ist es eigentlich, was man in der Schule des Gesetzes lernt? Zunächst überführt das Gesetz, indem es Gottes Gerechtigkeit offenbart, die Menschen der eigenen Ungerechtigkeit. Denn in den Geboten Gottes können sie wie in einem Spiegel ersehen, wie weit sie von der wahren Gerechtigkeit entfernt sind. So empfangen sie einen Anstoß, die Gerechtigkeit anderswo zu suchen. Dieselbe Aufgabe haben die an das Gesetz geknüpften Verheißungen. Hört man sie, so steigt sofort der Gedanke auf: Kann man durch Werke nur dann das Heil erreichen, wenn man das Gesetz wirklich erfüllt, so wird man einen neuen Heilsweg suchen müssen. Die eigene Unvollkommenheit wird es ja nie erlauben, dass wir uns die hohen Zusagen aneignen; bei aller Anstrengung werden wir stets weit vom Ziele bleiben. Umgekehrt treiben und drängen auch die Drohungen des Gesetzes, dass man dem Zorn und Fluch Gottes zu entfliehen sucht. Sie lassen uns nicht Ruhe noch Rast, bis wir nach Christi Gnade ausschauen. Ebendahin wiesen auch alle Zeremonien. Denn was anders wollten die Opfer und Reinigungen, als das Bewusstsein des Sündenschmutzes und der Verdammnis stetig rege halten? Wie sollte aber ein Mensch, der seine Unreinigkeit vor Augen sieht und an dem unschuldigen Opfertier eine Darstellung seines Todes empfängt, noch ruhig schlafen können? Wie sollte er nicht einen Stoß empfangen, ein Heilmittel zu suchen? Ohne Zweifel vermochten die Zeremonien aber nicht bloß die Gewissen zu schrecken und zu demütigen, sondern auch wieder zum Glauben an den kommenden Erlöser emporzurichten. War doch bei allem Gepränge der Zeremonien alles, was den Augen sich darbot, gewissermaßen mit dem Stempel Christi versehen. So war denn alles in allem das Gesetz nichts anderes als eine Summe vielgestaltiger Übungen, welche zu Christus hinleiten sollten.

Dass wir durch den Glauben gerecht würden. – Dass wir durch den Glauben gerecht würden. Paulus hat schon dem Gesetz die Vollkommenheit abgesprochen, indem er sagt, es sei der Schulzucht ähnlich. Es würde aber die Menschen zur Vollkommenheit führen, wenn es ihnen Gerechtigkeit brächte. Was bleibt nun übrig, als dass der Glaube an seine Stelle tritt? Er tut dies aber, indem er uns, die wir der eigenen Gerechtigkeit bar sind, mit der Gerechtigkeit Christi umkleidet. So erfüllt sich jenes Wort: „Die Hungrigen füllt er mit Gütern“ (Lukas 1.53).

Nun aber der Glaube gekommen ist. – Nun aber der Glaube kommen ist. Was es heißt, dass der Glaube kommt, haben wir bereits dargelegt: Es kommt eine völligere Offenbarung der Gnade, nachdem der Vorhang des Tempels zerrissen ist. Und wir wissen, dass dies bei Christi Erscheinung geschah. Darum sagt Paulus, dass mit dem Anbruch des Reiches Christi die Kinderzeit vorüber ist, während welcher der Zuchtmeister herrschte. Das Gesetz hat seine Schuldigkeit getan: Weil es nur auf Christus vorbereiten soll, ist seine Zeit vorüber. Fragt man nun, ob das Gesetz so abgeschafft ist, dass es uns nichts mehr angeht, so antworte ich: Das Gesetz, soweit es eine Regel ist für ein gutes Leben, ein Zügel, der uns in Gottesfurcht festhält, und ein Stachel zur Besserung der Schwachheit unseres Fleisches, endlich soweit es nütze ist zur Lehre, zur Besserung, zur Strafe, sowie dass die Gläubigen zu allem guten Werk geschickt werden, gilt heute nicht weniger als ehemals und bleibt unberührt. Inwiefern ist es denn abgeschafft? Wir sagten schon, dass Paulus vom Gesetz hier in seiner ganz besonderen Eigentümlichkeit redet. Diese Eigentümlichkeit besteht eben darin, dass es Lohn und Strafe für unsere Werke festsetzt, seinen Tätern also das Leben verheißt, die Übertreter dagegen verflucht, dabei die höchste Vollkommenheit und unverbrüchlichen Gehorsam von dem Menschen verlangt, nichts nachlässt oder vergibt, sondern jeden geringsten Irrtum anrechnet, Christus und Seine Gnade nicht offenbar zeigt, sondern nur von ferne andeutet, und zwar gleichsam von den Zeremonien umhüllt. Alle diese besonderen Eigenschaften des Gesetzes, so lehrt Paulus, sind abgeschafft: Soweit des Moses Amt sich nach dem äußeren Anschein vom Bunde der freien Gnade unterscheidet, hat es sein Ende erreicht.

Denn ihr seid alle Gottes Kinder. – Denn ihr seid alle Gottes Kinder. Noch auf einem anderen Wege beweist der Apostel, dass das Gesetz unmöglich mehr die Gläubigen dauernd in Fesseln schlagen darf: Er erinnert an ihre Gotteskindschaft. Könnte er nicht auf diesen Stand der Freiheit hinweisen, welchen die Gotteskindschaft mit sich bringt, so würde die Behauptung, dass das Kindesalter hinter uns liegt, wenig bedeuten; wir könnten ja auch als Sklaven herangewachsen sein. Aber durch den Glauben an Christus Jesus werden wir freie Gotteskinder.

Wie viel euer auf Christus Jesus getauft sind. – Je größer und herrlicher unsere Gotteskindschaft ist, desto ferner liegt sie unserem irdischen Verstehen und Begreifen. So sieht sich denn der Apostel zu einer genaueren, wenn auch kurzen Beschreibung unserer Gemeinschaft mit dem Sohne Gottes veranlasst, kraft deren uns zu eigen wird, was Christus gehört: Wir haben Christus angezogen. So ist Christus wie ein Kleid gedacht, welches die Gläubigen umgibt, sodass sie nun vor Gottes Angesicht gelten, als wären sie nicht mehr sie selbst, sondern Christus. Dies Bild eines Gewandes ist auch sonst geläufig (vergleiche Römer 13.14). Bedenklich erscheint freilich die Aussage, dass die Galater ohne weiteres dadurch, dass sie getauft wurden, Christus sollen angezogen haben. Denn daran fehlt doch viel, dass die Taufe bei jedermann sich wirksam erwiese. Auch wäre es ungereimt, die Gnadengabe des Heiligen Geistes ohne alles Weitere an das äußere Zeichen gebunden zu denken. Nach alledem scheint unser Wort sowohl gegen die sonstige Lehre der Schrift als auch gegen die Erfahrung zu streiten. Indessen haben wir zu bedenken, dass Paulus von den Sakramenten auf zweierlei Weise redet. Hat er es mit Heuchlern zu tun, die mit den bloßen Zeichen sich brüsten, so redet er, als wäre das äußere Zeichen leer und nichtig und fährt gegen ein trügerisches Vertrauen scharf drein. Dabei schwebt ihm dann nicht die göttliche Einrichtung vor, sondern das verkehrte Ding, welches ein unfrommer Sinn daraus gemacht hat. Spricht der Apostel aber zu Gläubigen, welche die Sakramente in rechter Weise gebrauchen, so denkt er mit dem Zeichen auch das bezeichnete Wesen zusammen. Dann ist ihm das Sakrament weit mehr als ein äußeres Schaugepräge; die Sache selbst erscheint hinter der sinnbildlichen Darstellung. Sollte nun jemand die Frage aufwerfen, ob also nicht menschliche Schuld es dahin bringen könne, dass das Sakrament nicht mehr ist, was es darstellt, so ist die Antwort leicht: Es wird den Sakramenten durch die Gottlosen von ihrer Natur und Kraft nichts genommen, obgleich sie selbst gar keine Wirkung derselben empfinden. Denn die Sakramente bieten den Guten wie den Bösen Gottes Gnade an, und ihre Verheißung der Gnade des Heiligen Geistes ist nicht trügerisch. Die Gläubigen empfangen das Dargebotene wirklich. Die Gottlosen bewirken zwar durch ihr Widerstreben, dass ihnen das Dargebotene nichts nützt; aber sie können nichts daran hindern, dass Gott treu ist und die Bedeutung des Sakraments wahrhaftig. Darum sagt Paulus mit Recht zu den Gläubigen, dass sie Christus in der Taufe angezogen haben. So sagt er auch im Römerbrief, dass wir samt Ihm zu gleichem Tode gepflanzt worden sind, damit wir auch Seiner Auferstehung gleich sein sollen (Römer 6.5). So erscheint, was nur Gottes Kraft vermag, nicht den Sakramenten zugeschrieben – und doch bleibt den Sakramenten ihre Kraft, sodass sie niemand für leere und inhaltlose Schaustellungen halten darf. Zugleich wird klar, wie sündhaft die Undankbarkeit der Menschen ist, die Gottes heilsame Ordnungen nicht nur um ihre Wirkung bringen, sondern auch zum eigenen Verderben verkehren.

Hier ist kein Jude noch Grieche. – Paulus will sagen, dass die äußere Stellung und die Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Volke nichts mehr bedeutet. Und auch die Beschneidung wiegt nicht schwerer als der Unterschied zwischen Mann und Weib oder die soziale Lage. Alle denkbaren Unterschiede gleich die Gemeinschaft mit dem einen Christus aus. Darum heißt es: Ihr seid allzumal Einer in Christo Jesu. So hängt Gotteskindschaft und Heilshoffnung nicht mehr an der Beobachtung des Gesetzes, sondern allein an Christus, der alles ist. Spricht übrigens Paulus von den „Griechen“, so nennt er dieselben beispielsweise; gemeint sind die Heiden überhaupt.

So seid ihr ja Abrahams Same, und nach der Verheißung Erben. – Dieser Zusatz sagt nicht, dass ein Sohn Abrahams sein mehr ist als ein Glied Christi sein, sondern schlägt den Stolz der Juden nieder, die sich ihres Vorrechtes rühmten, als wären sie allein Gottes Volk. Sie besaßen keinen größeren Vorzug als die Abstammung von Abraham. Darum erkennt Paulus gerade diesen Vorzug allen zu, die an Christus glauben. Diese Folgerung wird aber dadurch möglich, dass Christus jener gesegnete Same ist, in dem alle Kinder Abrahams vereinigt werden, wie der Apostel (Vers 16) dargelegt hatte. Dass es aber so ist, ergibt sich aus dem ganz allgemeinen Angebot des göttlichen Erbes. So ist es die Verheißung, um deren willen uns das Erbe gehört. Zu dieser Verheißung – das wollen wir uns zuletzt noch einprägen – muss also der Glaube ein Verhältnis gewinnen.