GALATER

Galater Kapitel 3 Teil V

Galater 3.19-22

Was soll denn das Gesetz? Es ist hinzugekommen um der Sünden willen, bis der Same käme, dem die Verheißung geschehen ist, und ist gestellt von den Engeln durch die Hand des Mittlers. Ein Mittler aber ist nicht eines einigen Mittler; Gott aber ist einig. Wie? Ist denn das Gesetz wider Gottes Verheißungen? Das sei ferne! Wenn aber ein Gesetz gegeben wäre, das da könnte lebendig machen, so käme die Gerechtigkeit wahrhaftig aus dem Gesetze. Aber die Schrift hat alles beschlossen unter die Sünde, auf dass die Verheißung käme durch den Glauben an Jesus Christus, gegeben denen, die da glauben.

 

Was soll denn das Gesetz? – Sobald wir hören, dass das Gesetz nichts für Erlangung der Gerechtigkeit bedeutet, schleichen sich gleich mancherlei Gedanken ein, entweder es sei unnütz oder dem Bunde Gottes entgegen oder sonst etwas derartiges. Ja wir könnten auch denken: Warum sollten wir nicht vom Gesetze sagen, was Jeremia vom neuen Bunde sagt (Jeremia 31.31), dass er später geschlossen sei, um die Schwachheit der früheren Lehre zu verbessern? Derartige Einwürfe musste Paulus widerlegen, wenn er den Galatern genugtun wollte. Er fragt daher zunächst nach der Bedeutung des Gesetzes. Denn weil es auf die Verheißung gefolgt ist, entsteht leicht der Schein, es solle ergänzen, was jener fehlte. Ohne Zweifel wurde auch die Frage aufgeworfen, ob nicht die Verheißung an sich wirkungslos wäre, wenn sie nicht vom Gesetz unterstützt würde. Es ist dabei zu bemerken, dass Paulus nicht nur vom Moralgesetz redet, sondern von dem gesamten Dienste des Moses, soweit er dem Moses eigentümlich war. Dieser bestand aber darin, dass eine Lebensregel und Zeremonien für den Gottesdienst vorgeschrieben wurden, an welche sich dann Verheißungen und Drohungen fügten. Dass außerdem manche Verheißungen von Gottes freier Gnade und von Christus sich im Gesetze finden, die freilich auf Glauben zielen, ist nur nebensächlich und verschwindet vollends, wenn man die eigentliche Gnadenlehre damit vergleicht. Alles in allem will also Paulus die Frage aufwerfen, warum denn nach der Verheißung noch Moses mit neuen, gesetzlichen Bedingungen auftreten musste (3. Mose 18.5; 5. Mose 27.26): „wer das tut, wird dadurch leben – verflucht aber, wer nicht alles erfüllt.“ Hat er damit etwas Besseres und Vollkommeneres hinzugebracht?

Um der Sünden willen ist das Gesetz hinzugekommen. Natürlich sagt Paulus damit nicht alles, was sich über Nutzen und Gebrauch des Gesetzes sagen ließe. Diesen Umstand darf man nicht übersehen. Anderwärts (2. Timotheus 3.16) lässt ja der Apostel selbst das Gesetz auch zur Lehre und Besserung nützlich sein. Im vorliegenden Gedankenzusammenhange aber gilt es zu betonen, dass das Gesetz um der Sünden willen gegeben ward. Das meint er nicht bloß in dem Sinne, wie auch die Philosophen sagen, dass das Gesetz dazu dient, die Missetaten einzudämmen, womit auch das alte Sprichwort zusammenhängt: Aus bösen Sitten werden gute Gesetze. Die Meinung des Apostels geht viel tiefer, als die Worte scheinbar lauten. Paulus meint, das Gesetz sei gegeben, um die Vergehungen offenbar zu machen und so die Menschen zur Erkenntnis ihrer Schuld zu führen. Verzeiht sich doch der natürliche Mensch nur zu schnell seine Sünden selbst; darum schläft sein Gewissen, solange es nicht den harten Druck des Gesetzes empfindet. Daher sagt Paulus (Römer 5.13): „die Sünde war wohl in der Welt bis auf das Gesetz, aber wo kein Gesetz ist, da achtet man der Sünde nicht“. Das Gesetz kam nun und weckte die Schlafenden. Denn das ist die wahre Vorbereitung auf Christum. „Durch das Gesetz“ heißt es ein anderes Mal (Römer 3.20), „kommt Erkenntnis der Sünde“. Warum? „Auf dass die Sünde würde überaus sündig“ (Römer 7.13). Es ist also das Gesetz der Übertretungen wegen gegeben, um sie aufzudecken, oder wie es heißt (Römer 5.20), „auf dass die Sünde mächtiger würde“. Diese Redeweise hat nichts Befremdendes. Oder ist es denn widersinnig, dass Gott die Gewissen vor Seinen Richterstuhl ruft, damit sie durch das Schuldgefühl gedemütigt werden, die sich sonst in ihren Sünden gefallen? Wenn Er die Stumpfheit wegnimmt, welche jedes Gefühl für Sein Gericht schwächte? Wenn Er die Sünde, die wie ein Dieb in der Höhle der Heuchelei verborgen war, ins Licht zieht? Man könnte einwenden: Da das Gesetz die Regel für ein frommes und rechtschaffenes Leben ist, warum soll es mehr um der Sünde als um des Gehorsams willen gegeben sein? Die Antwort lautet: Obwohl das Gesetz die wahre Gerechtigkeit darstellt, hat seine Verkündigung bei der jetzigen Verderbtheit der Natur keine andere Folge als eine Vermehrung der Übertretungen, bis der Geist der Wiedergeburt hinzutritt, der es in die Herzen schreibt. Den gibt aber nicht das Gesetz, sondern der Glaube empfängt ihn. Mit alledem deckt Paulus eine Wirkung des Gesetzes auf, von welcher die Philosophen und Politiker dieser Welt nichts zu wissen pflegen.

Bis der Same käme. – Wenn das Gesetz Beziehung hat auf den Samen, auf den der Segen sich gründet, so tut es der Verheißung keinen Abbruch. Denn jenes „bis“ will sagen: Unterdessen wird der Same erwartet. Daraus folgt, dass das Gesetz dienen sollte, und nicht den ersten Rang einnehmen. Denn dazu ward es gegeben, dass es die Menschen zur Erwartung Christi aufrichten sollte. Aber nun fragt sich, ob es nur dauern sollte bis zu Christi Kommen. Wäre es so, dann wäre es jetzt abgeschafft. Ich antworte, jene ganze Veranstaltung war nur eine zeitweilige, lediglich zu dem Zweck vorgenommen, die Gemeinde des alten Bundes in der gläubigen Erwartung auf Christum zusammenzuschließen. Nicht aber gestehe ich zu, dass mit Christi Kommen das ganze Gesetz abgeschafft wurde. Auch der Apostel hat dies nicht sagen wollen, sondern nur, dass jene Art von Veranstaltung, die zwischeneingekommen war, ein Ende in Christo habe nehmen müssen, welcher der Gegenstand der Verheißung ist. Darüber werden wir unten noch mehr zu sagen haben.

Ist gestellt von den Engeln. – Es soll zur Empfehlung des Gesetzes dienen, dass es durch Engel übergeben ist, was auch Stephanus (Apostelgeschichte 7.53) versichert. Wendet uns Gott schon die kleinsten Wohltaten durch Engel zu, so dürfen wir uns nicht wundern, dass den Engeln auch dieses Amt aufgetragen wurde, als Zeugen bei der Gesetzesveröffentlichung zugegen zu sein.

Durch die Hand des Mittlers. – Mit diesem Mittler, dessen Dienst bei der Gesetzgebung noch wichtiger war als der Dienst der Engel, ist nicht Moses gemeint, sodass – wie viele [auch alle neueren Ausleger] glauben – hier ein Vergleich zwischen ihm und Christo stattfände, sondern – wie die Kirchenväter mit Recht annehmen – Christus selbst. Man muss dafür halten, dass seit Anfang der Welt kein Verkehr Gottes mit den Menschen stattgefunden hat, es sei denn unter Vermittlung Seiner ewigen Weisheit oder Seines Sohnes. Daher sagt auch Petrus, dass die heiligen Propheten durch den Geist Christi gesprochen hätten (Apostelgeschichte 4.26), und Paulus macht Christus zum Führer des Volkes in der Wüste (1. Korinther 10.4). Auch der Engel, der dem Mose erschien (2. Mose 3.2), kann gewiss nicht für etwas anderes gehalten werden, da er sich den eigentlichen und wesentlichen Namen Gottes beilegt, der nie auf Geschöpfe übertragen wird. Christus ist also nicht bloß der Mittler des Schutzes, durch welchen uns der Zugang zur Anrufung des Vaters offensteht, sondern überhaupt und zu aller Zeit der Vermittler jeglicher Offenbarung Gottes an die Menschheit. Daran wollte Paulus hier ganz ausdrücklich erinnern, damit die Galater lernten, dass derselbe, welche der Grund des Gnadenbundes ist, auch die erste Stelle bei der Veröffentlichung des Gesetzes eingenommen hat.

Ein Mittler aber ist nicht eines einigen Mittler. – Man legt dies insgemein so aus, dass für einen Mittler kein Platz sei, außer wenn eine Partei mit einer andern ein Geschäft hat. Was aber diese Aussage im Zusammenhang bedeuten soll, wird dabei nicht immer klar. Darüber hätten wir also noch genauer nachzudenken. Möglicherweise will Paulus einem gotteslästerlichen Gedanken zuvorkommen, der angesichts der Veränderung des göttlichen Planes leicht aufsteigen konnte. Man konnte ja sagen: Wie die Menschen ihre Verträge zurückzunehmen pflegen, die ihnen leid sind, so ist es auch mit den Verträgen Gottes geschehen. Bei dieser Auslegung würde Paulus im ersten Satzgliede einräumen, dass bei dieser Bundesschließung freilich veränderliche und unbeständige Menschen die eine Partei bildeten; er würde aber hinzufügen, dass Gott trotzdem der eine und unveränderliche bleibt, den die Unbeständigkeit der Menschen nicht zum Wanken bringt. – Bei genauer Erwägung glaube ich doch, dass dem Apostel vielmehr der Unterschied zwischen Juden und Heiden vorschwebt. Christus ist Mittler nicht bloß eines einigen und in sich völlig übereinstimmenden Volkes, sondern für sehr verschiedenartige Gruppen. Darum aber, so will Paulus sagen, soll man doch nicht den Schluss ziehen, dass Gottes Bund sich widersprechen und mit den verschiedenen Menschen wandeln müsse. So sind die Worte klar. Wie Christus einst Gott mit den Juden versöhnt hat bei Schließung des Bundes, so ist Er jetzt der Mittler auch für die Heiden. Zwischen Heiden und Juden besteht ein tiefer Unterschied; denn durch die Beschneidung und die Zeremonien ist eine Mauer zwischen sie gebaut. Jene waren Gott nahe, als die Heiden fern waren. Dennoch hört Gott nicht auf, sich gleich zu bleiben. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass Christus die, welche früher voneinander getrennt waren, zu dem einen Gott führt und macht, dass sie zu einem Leibe zusammen wachsen. Gott ist also einig, da Er immer sich gleich bleibt, und was Er einmal beschlossen hat, beständig und unverbrüchlich festhält.

Ist denn das Gesetz wider Gottes Verheißungen? – Haben wir einmal erkannt, wie Gottes Vorsatz feststeht und sich stetig gleich bleibt, so werden wir nicht mehr zweifeln dürfen, dass Seine verschiedenen Offenbarungen einander nicht widersprechen können. Aber der Schein des Widerspruchs zwischen dem Gesetz und dem Gnadenbund muss noch beseitigt werden. Bevor aber der Apostel sachlich auf diese Frage eingeht, drückt er in einer ihm geläufigen Weise (vergleiche hierzu Galater 2.17) den Abscheu aus, welchen jedes fromme Gemüt bei dem gotteslästerlichen Gedanken an solchen Widerspruch empfinden muss: Das sei ferne! Hinter dieser Wendung birgt sich aber noch ein besonderer Kunstgriff. Paulus schiebt nämlich damit seinen Gegnern das Verbrechen zu, dass sie Gott mit sich selbst in Widerspruch setzen. Steht einmal fest, dass Gesetz und Verheißungen von Gott stammen, so ist es ja eine Gotteslästerung, beide miteinander in Widerstreit zu bringen. Der Widerstreit ist aber da, wenn das Gesetz rechtfertigen soll. So wendet Paulus sehr geschickt wider die Gegner, was sie in verleumderischer Absicht ihm fälschlich zur Last legen wollten.

Wenn aber ein Gesetz gegeben wäre, das da könnte lebendig machen, so käme die Gerechtigkeit wahrhaftig aus dem Gesetze. – Diese indirekte Antwort stellt noch nicht offen die Übereinstimmung zwischen Gesetz und Verheißungen fest, reicht aber hin, den Widerspruch zwischen beiden aufzuheben. Besäße das Gesetz die Kraft, den Menschen zu rechtfertigen, dann würde es allerdings wider die Verheißung streiten. Denn es gäbe dann zwei entgegengesetzte Weisen der Rechtfertigung, und gewissermaßen zwei sich widersprechende Wege, die Gerechtigkeit zu erlangen. Paulus aber spricht diese Kraft dem Gesetz ab. So ist der Widerspruch aufgehoben. Ließe sich Heil und Leben im Gesetze finden, so müsste man ja zugeben, dass es auch Gerechtigkeit schaffe. Aber davon kann doch keine Rede sein.

Aber die Schrift hat alles beschlossen unter die Sünde. – Unter der „Schrift“ ist hier besonders das Gesetz zu verstehen. Dieses beschließt alle Sterblichen unter die Schuld, beraubt sie also vielmehr der Gerechtigkeit, anstatt sie damit zu beschenken. Die Begründung ist sehr gut: Du suchst im Gesetz die Gerechtigkeit, das Gesetz selber aber, ja die ganze Schrift, lässt den Menschen nichts übrig als die Verdammnis, denn es beschuldigt alle Menschen mit ihren Werken der Ungerechtigkeit. Wer wird also aus dem Gesetz das Leben empfangen? Hinter dem allen steht natürlich die Erinnerung an das Wort (Vers 12): „wer es tut, wird dadurch leben.“ Schließt uns die Schuld den Eingang ins zukünftige Leben, so werden wir ja vergeblich durch Vermittlung des Gesetzes Heil suchen. Sagt der Apostel nun „alles“, so ist dies umfassender als „alle“. Nicht bloß die Menschheit, sondern alles, was man überhaupt denken kann, erscheint darunter begriffen.

Auf dass die Verheißung käme. – Es bleibt kein anderes Heilmittel, als dass wir von der Werkgerechtigkeit uns los sagen und zum Glauben an Christus unsere Zuflucht nehmen. Die Folgerung lautet ganz bestimmt: Wenn die Werke vors Gericht kommen, so sind wir alle verurteilt. Also erlangen wir die Gnadengerechtigkeit durch den Glauben an Christus. Übrigens birgt dieser Satz einen sehr großen Trost: Er erinnert uns daran, dass, so oft wir von unserer Verdammnis in der Schrift hören, uns Hilfe in Christus bereit steht, wofern wir nur uns zu Ihm wenden. Wir sind verloren, auch wenn Gott darüber geschwiegen hätte. Warum verkündet Er aber so oft unser Verloren-sein? Damit wir nicht im ewigen Verderben untergehen, sondern, durch so grauenvollen Urteilsspruch niedergeschmettert und verwirrt, im Glauben Christus suchen, durch den wir vom Tode ins Leben kommen. – Die „Verheißung“, welche kommen soll, ist das verheißene Heil.