GALATER

Galater Kapitel 3 Teil IV

Galater 3.15-18

Liebe Brüder, ich will nach menschlicher Weise reden: verwirft man doch eines Menschen Testament nicht, wenn es bestätigt ist, und tut auch nichts dazu. Nun ist ja die Verheißung Abraham und seinem Samen zugesagt (1. Mose 22.18). Er spricht nicht: „durch die Samen“, als durch viele, sondern als durch einen: „durch deinen Samen“, welcher ist Christus. Ich sage aber davon: Das Testament, das von Gott zuvor bestätig ist auf Christum, wird nicht aufgehoben, dass die Verheißung sollte durchs Gesetz aufhören, welches gegeben ist über vierhundert und dreißig Jahre hernach. Denn so das Erbe durch das Gesetz erworben würde, so würde es nicht durch Verheißung gegeben; Gott aber hat’s Abraham durch Verheißung frei geschenkt.

 

Nach menschlicher Weise.  – Diese Worte sollen die Leser beschämen. Denn allzu unwürdig und schmachvoll ist es, wenn Gott bei uns weniger Ansehen hat als ein sterblicher Mensch. Selbstverständlich will Paulus Gott und Menschen nicht auf eine Linie stellen. Wenn er verlangt, dass man eine Verfügung Gottes mindestens mit dem gleichen Respekt behandeln soll wie die Verfügung eines Menschen, so überlässt er es vielmehr uns über den ungeheuren Unterschied zwischen Gott und Mensch weiter nachzudenken.

Verwirft man doch eines Menschen Testament nicht. – Paulus schließt vom Kleineren auf das Größere. Menschliche Verträge werden ohne Widerspruch als gültig angesehen – wie viel mehr das, was Gott festgesetzt hat! Dabei werden wir nicht gerade bloß an ein Testament, sondern überhaupt an eine Verfügung oder einen Kontrakt denken müssen. Der Apostel schließt von menschlichen Verträgen auf jenen feierlichen Bund, den Gott mit Abraham eingegangen ist. Denn wenn jene unabänderlich bleiben und man nicht einmal etwas hinzufügen darf, wie viel mehr ziemt sich das gleiche für diesen?

Nun ist ja die Verheißung Abraham und seinem Samen zugesagt. – Ehe der Apostel seinen eigentlichen Beweisgang weiter verfolgt, macht er eine Zwischenbemerkung über die Art des göttlichen Bundesverhältnisses: Dasselbe ist allein auf Christus gegründet. Ist aber Christus die Grundlage des Bundes, so muss er auf Gnade beruhen. Eben dasselbe liegt in dem Wort „Verheißung“. Denn wie sich im Gesetz alles um den Menschen und sein Tun dreht, so in der Verheißung um Gottes Gnade und Treue.

Er spricht nicht: „durch die Samen“. – Um zu beweisen, dass Gott in der angeführten Stelle von Christus redet, legt der Apostel einen großen Nachdruck auf den Gebrauch der Einzahl, welche durchaus einen bestimmten „Samen“ oder Nachkommen Abrahams im Augen haben müsse. Diese Beweisführung wird nun von den Juden stark angegriffen, und scheinbar mit einigem Grunde. Denn da das Wort „Same“ ein Sammelname ist, so scheint die Behauptung unsinnig, dass man dabei nur an eine einzige Person und nicht vielmehr an Abrahams gesamte Nachkommenschaft denken müsse, zumal es auch heißt (1. Mose 22.17), dass dieser Same wie der Sand am Meer sein soll. Dennoch lässt sich des Paulus Beweisführung wohl verteidigen. Denn schon bei den Söhnen Abrahams selbst beginnt eine solche Trennung, dass der eine von beiden aus der Familie ausgestoßen wird. In Isaak soll dir der Same genannt werden (1. Mose 21.12). Also wird Ismael nicht mitgerechnet. Gehen wir zur zweiten Generation über, so werden die Juden schwerlich behaupten wollen, dass Esaus Kinder zum gesegneten Samen zählten; vielmehr ward deren Vater trotz seiner Erstgeburt verworfen. Und wie viel Völker sind aus Abrahams Stamm hervorgegangen, die in dieser Berufung nicht Platz haben? Waren die zwölf Patriarchen ebenso viele Stammeshäupter, so waren sie dies nicht als Nachkommen Abrahams, sondern weil sie durch Gottes besondere Erwählung dazu bestimmt waren. Denn seit die zehn Stämme in die Verbannung geführt waren, waren viele Tausende so entartet, dass sie als Abrahams Same nicht gelten konnten. Zuletzt war auch bei dem Stamme Juda Gefahr, es möchte die wahre Erbschaft des Segens in dem kleinen Volke nicht bleiben. Und Jesajas Predigt lautet (Jesaja 10.21): Nur der Rest wird selig werden. So entscheidet lediglich Gottes freie Gnade, welche zum ersten Male in der Verfügung zum Ausdruck kam (1. Mose 21.12): In Isaak soll dir ein Same genannt werden. Und es liegt völlig in derselben Linie, wenn der Herr später die an Abraham gegebene Verheißung immer mehr beschränkte und schließlich auf David und Davids Sohn zuspitzte. Paulus stützt sich also auf den Gebrauch der Einzahl nicht, um zu beweisen, dass nur von einer Person die Rede sein könne. Vielmehr will er vor allem darauf aufmerksam machen, dass der Titel „Abrahams Same“ nicht jedem gebührt, der fleischlich von Abraham abstammt, sondern nur dem, welcher außerdem durch besondere göttliche Berufung dazu verordnet ward. Dass sich aber die Weissagung insbesondere auf Christus bezieht, ergibt sich aus ihrem Inhalt: In deinem Samen sollen alle Völker gesegnet werden. Liegt auf uns allen von Natur Gottes Fluch, so kann ja den Segen nur empfangen, wer sich dem Messias anschließt. So erst wird er zum Gliede des einen Gottesvolkes, welches der Messias als Haupt zu Seinem Leibe sammelt.

Das Gesetz, welches gegeben ist über vierhundert und dreißig Jahre hernach, konnte die Verheißung nicht ungültig machen. Der einmal geschlossene Bund musste unantastbar bleiben. Nun meint Paulus gewiss nicht, dass die Beobachtung der Zeremonien und Werke, welche das Gesetz vorschreibt, an und für sich gegen den Bund mit Abraham verstoße. Nur wenn es sich um den Weg der Rechtfertigung handelt, stehen Verheißung und Gesetz wider einander: Freie Gnade und Verdienst der Werke schließen sich aus. Darum konnte das Gesetz, welches erst später kam, die freie Gnade nicht wieder umstoßen; sonst wäre ja die Verheißung um ihre Gültigkeit gekommen.

Denn so das Erbe durch das Gesetz erworben würde, so würde es nicht durch Verheißung gegeben; Gott aber hat’s Abraham durch Verheißung frei geschenkt. – Wollten die Gegner etwa sagen, dass ja ihre Lehre gar nicht beabsichtige, Gottes Bundesverheißungen zu zerstören oder zu beseitigen, so kommt der Apostel jetzt allen solchen Ausflüchten zuvor, indem er ganz deutlich ausspricht, dass es ein ausschließender Gegensatz ist, die Seligkeit auf dem Wege des Gesetzes oder auf dem Wege der Verheißung zu gewinnen. Wer möchte wagen, dabei nur an die Zeremonien zu denken, da Paulus vielmehr unterschiedslos alles zusammengreift, was der Verheißung aus freier Gnade entgegensteht? Jegliche Art von Werken soll aus dem Heilsweg ausgeschlossen werden. Ebenso heißt es auch im Römerbrief (4.14): Wo die vom Gesetz Erben sind, so ist der Glaube nichts, und die Verheißung ist abgetan. Warum? Weil das Heil von der Bedingung abhängig sein würde, dass man dem Gesetze genüge tut. Soll die Verheißung feststehen, so ergibt sich also der unausweichliche Schluss, dass man das Heil lediglich auf den Glauben gründen darf. Nun verstehen wir, inwiefern Verheißung und Gesetz sich ausschließen: Zielt doch jene durchaus auf den Glauben, während dieses mit Werken zu schaffen hat. Der Glaube aber nimmt hin, was ihm die freie Gnade schenkt, wogegen den Werken ein verdienter Lohn gezahlt wird. Eben dies meint Paulus, wenn er hinzufügt: Gott aber hat es Abraham durch Verheißung frei geschenkt. Wo es sich um Leistung und Gegenleistung handelte, könnte doch nicht von einem freien Geschenk die Rede sein.