GALATER

Galater Kapitel 3 Teil III

Galater 3.10-14

Denn die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch. Denn es steht geschrieben (5. Mose 27.26): „Verflucht sei jedermann, der nicht bleibt bei alle dem, das geschrieben steht in dem Buch des Gesetzes, dass er’s tue.“ Dass aber durchs Gesetz niemand gerecht wird vor Gott, ist offenbar; denn (Habakuk 2.4) „der Gerechte wird kraft seines Glaubens leben.“ Das Gesetz aber ist nicht des Glaubens, sondern (3. Mose 18.5) „der Mensch, der es tut, wird dadurch leben.“ Christus aber hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns (denn es steht geschrieben (5. Mose 21.23): „Verflucht ist jedermann, der am Holz hanget“), auf dass der Segen Abrahams unter die Heiden käme in Christo Jesu, und wir also die Verheißung des Geistes empfingen durch den Glauben.

 

Denn die mit des Gesetzes Werken umgehen. – Zur weiteren Begründung dient nun ein Hinweis auf das Gegenteil: Das Gesetz legt auf alle Sterblichen den Tod; also lässt sich aus ihm so wenig Leben und Segen schöpfen, als aus einem Quell kaltes und heißes Wasser zugleich. Unter Leuten, die mit des Gesetzes Werken umgehen, versteht Paulus in unserem Zusammenhange, wo es sich um die Frage der Rechtfertigung handelt, solche, die auf Gesetzeswerke ihr Heilsvertrauen gründen. Solche, sagt er, sind dem Fluche unterworfen. Zum Beweise dient ein Spruch des Gesetzes selbst, welcher jedem Menschen den Fluch androht, der auch nur irgendein Stück des Gesetzes übertrat (5. Mo. 27.26). Dabei steht unausgesprochen der Gedanke im Hintergrunde, dessen Wahrheit ein jeder an sich selbst erproben mag, dass es weder einen Menschen gab noch geben wird, welcher dem Gesetz Gottes Genüge tun könnte. Es werden also alle hier in gleicher Weise verdammt. – Dieser Beweis Pauli würde nicht stichhaltig sein, wenn unsere Kräfte zur Erfüllung des Gesetzes hinreichten. Denn dann könnte ein Gegner erwidern: Dass alle Übertreter verflucht sind, gebe ich zu; aber man findet auch Menschen, die das Gesetz halten, denn die Menschen haben freie Wahl zwischen Gut und Böse. Aber Paulus setzt hier ohne Zweifel voraus, was die Päpstlichen heute für ein Fluch-würdiges Dogma ansehen, dass den Menschen die Kräfte zur Beobachtung des Gesetzes fehlen. Daher tut er den kühnen Schluss, dass alle verflucht sein müssen, weil allen vorgeschrieben ist, das Gesetz ganz zu erfüllen, wozu ihnen doch bei der Verderbtheit ihrer Natur die Fähigkeit abgeht. Der Fluch des Gesetzes ist also etwas Dauerndes und Unentrinnbares. Denn den Segen, den es uns vorhält, hält die Verderbtheit unserer Natur uns fern. Es bleibt also nur der Fluch übrig.

Dass aber durchs Gesetz niemand gerecht wird vor Gott, ist offenbar. – Wiederum wird der Beweis durch Erwägung des Gegenteils verstärkt. Der Gedankenfortschritt ist folgender: Wenn wir durch den Glauben gerecht sind, werden wir es nicht aus dem Gesetz. Nun sind wir durch den Glauben gerecht; also nicht aus dem Gesetz. Den letzteren Satz beweist das Schriftwort aus dem Propheten Habakuk, das Paulus auch im Römerbrief zitiert (Habakuk 2.4; Römer 1.17). Der erstgenannte Satz muss wahr sein, weil die Rechtfertigung durch den Glauben oder durch das Gesetz auf eine ganz entgegengesetzte Weise geschieht. Denn das Gesetz rechtfertigt erst dann, wenn jemand alle seine Vorschriften erfüllt. Der Glaube aber rechtfertigt die, welche vom Verdienst der Werke absehend allein auf Christus vertrauen. Gerechtfertigt werden durch eigenes Verdienst und durch fremde Gnade; das beides kann nicht zugleich miteinander bestehen – so macht eines das andere unmöglich. Erst nach dieser Darlegung des Hauptgedankens können wir nun die einzelnen Sätze in genauere Erwägung ziehen.

Der Gerechte wird kraft seines Glaubens leben. – Nachdem dieser Prophetenspruch bereits zu Römer 1.17 erklärt worden ist, möge hier der Hinweis genügen, dass der Prophet das stolze Vertrauen auf das Fleisch dem wahren Glauben gegenüberstellt. Wenn er nun verkündet, dass die Gerechten kraft dieses Glaubens leben sollen, so will er damit sagen, dass sie dadurch nicht nur für eine gewisse Zeit getragen werden, sodass sie, wenn ein Sturmwind kommt, hinsinken müssten, sondern dass sie für immer feststehen, so dass sie nicht einmal mitten im Tode zu leben aufhören. So kann man auch nicht sagen, dass der Begriff des Glaubens beim Propheten in einem weiteren Sinne gebraucht werde als hier bei Paulus. Hier wie dort ist völlig übereinstimmend der Glaube einfach die ruhige Gewissheit des Bewusstseins, die sich allein auf Gott stützt.

Das Gesetz aber ist nicht des Glaubens. – Das Gesetz steht an sich dem Glauben nicht entgegen, sonst würde ja Gott sich selbst unähnlich sein. So muss man stets im Auge behalten, dass Paulus so spricht, wie die Sachlage es notwendig macht. Der Gegensatz von Gesetz und Glaube bezieht sich also nur auf die Ursache der Rechtfertigung. Denn leichter könnte man Wasser mit Feuer vereinen als dies beides, dass man durch Glauben und durch das Gesetz gerecht werde. Der Satz sagt also, die rechtfertigende Art des Gesetzes ist eine ganz andere als die des Glaubens. Sondern, der es tut, wird dadurch leben. Die Verschiedenheit von Glauben und Gesetz besteht darin, dass der Mensch bei Erfüllung des Gesetzes durch eigene, dem Gesetz entsprechende Gerechtigkeit für gerecht erklärt wird. Dies deckt Paulus mit dem Zeugnis des Moses (3. Mose 18.5). Welches ist aber die Gerechtigkeit des Glaubens? Der Apostel bestimmt sie in Römer 10.9 also: „So du glaubst, dass Christus gestorben ist für unsere Sünden“ usw. Dennoch folgt daraus nicht, dass der Glaube müßig geht, oder die Gläubigen entblößt von guten Werken dastehen. Denn hier fragt sich es nicht, ob die Gläubigen das Gesetz, soweit sie können, halten müssen, was ja über jeden Zweifel erhaben ist, sondern ob sie durch Werke die Gerechtigkeit erwerben. Das ist aber unmöglich. Auf den Einwurf: Wenn Gott den Tätern des Gesetzes das Leben verspricht, warum streitet Paulus ihnen die Gerechtigkeit ab? – ergibt sich die Antwort leicht: Deshalb ist niemand gerecht durch Werke des Gesetzes, weil niemand sie tut. Denn wenn Täter des Gesetzes da wären, so müssten wir solche freilich als Gerechte gelten lassen. Das hängt aber eben daran, dass die entsprechende Bedingung erfüllt wird. Darum müssten wir auf diesem Wege alle zu Grunde gehen; denn die ausbedungene Gerechtigkeit vermag niemand zu leisten. Man muss hierbei die obige Bemerkung im Gedächtnis halten, dass das Gesetz nicht die tun, welche teilweise gehorsam sind, sondern, die in sämtlichen Punkten sich untadelig beweisen – eine Vollkommenheit, von der alle sehr weit entfernt sind.

Christus aber hat uns erlöst. – Paulus hat alle, die unter dem Gesetz sind, unter den Fluch gestellt. Daraus entsteht die große Schwierigkeit, dass die Juden sich unter den Fluch des Gesetzes beugen mussten. Der Apostel löst diesen Knoten, indem er den allein möglichen Ausgang zeigt: Christus hat uns befreit. Dadurch erfährt aber die eigentliche Absicht des Gedankenganges nur noch eine erhebliche Verstärkung. Denn wenn unsere Seligkeit davon abhängt, dass wir vom Fluche des Gesetzes befreit werden, so kann ja die Gerechtigkeit nicht aus dem Gesetz stammen. Des Weiteren empfangen wir Auskunft über die Weise der Erlösung: Christus ward ein Fluch für uns. Dass es so war, ergibt sich aus dem Schriftwort, welches auf Christus zutrifft (5. Mose 21.23): „Verflucht ist jedermann, der am Holz hanget“. Nun ist klar, dass Er nicht seinetwegen diese Strafe erlitten hat. Er ist also entweder umsonst gekreuzigt, oder unser Fluch ist auf Ihn gelegt, damit wir davon frei würden. Es heißt aber nicht „Christus ward verflucht“, sondern „ward ein Fluch“, was noch mehr ist. Denn dies heißt, dass Er den Fluch, der auf allen Menschen lag, auf sich genommen hat. Scheint dies jemandem zu hart, so mag er wohl des Kreuzes Christi sich schämen, dessen Bekenntnis unser Ruhm ist. Gott wusste wohl, von welcher Art der Tod Seines Sohnes sein würde, als Er verkündete: „Verflucht ist jedermann, der am Holz hanget“. Aber wie kann der geliebte Sohn des Vaters verflucht werden? Es wird gelten, in der Betrachtung von Christi Person und Menschheit ein doppeltes zu bedenken: Einesteils war Christus das unbefleckte Gotteslamm, auf welchem nur Segen und Gnade ruhen konnte; andererseits wollte Er unser Stellvertreter sein – darum stand Er als Fluch-beladener Sünder da, nicht sowohl an und für sich, sondern weil Er unsere Rolle spielte. So bewegte Er sich einerseits im Bereich der göttlichen Gnade, und trug doch andererseits Gottes Zorn. Denn selbstverständlich hätte Er den Vater nicht mit uns aussöhnen können, wenn Er selbst mit Ihm verfeindet und von Ihm verworfen gewesen wäre. Es ruhte also auf Ihm stets des Vaters Wohlgefallen. Andererseits konnte Er uns nur dadurch von Gottes Zorn erlösen, dass Er denselben auf sich nahm. Darum ist Er um unserer Sünden willen verwundet worden und erfuhr es, dass Gott Ihm als zürnender Richter gegenüberstand. Dies ist die Torheit des Kreuzes, die sogar den Engeln wunderbar erscheint (1. Korinther 1.18; 1. Petrus 1.12), die alle Weisheit der Welt nicht nur übertrifft, sondern auch zur Torheit macht.

Auf dass der Segen Abrahams unter die Heiden käme in Christo Jesu. – Was der Apostel soeben über unsere Erlösung vom Gesetzesfluch ausführte, passt er nunmehr seinem eigentlichen Gedankenzuge ein: Dass der Segen, welcher Abraham verheißen war, über die Menschheit und darum auch über die Heiden kommen kann, hängt von dieser Erlösung ab. Denn wenn die Juden erst vom Gesetz frei werden müssen, um das Erbe Abrahams anzutreten, was hindert dann die Heiden, sich desselben Gutes zu bemächtigen? Weiter, wenn in Christus allein jener Segen vorhanden ist, so ist es allein der Glaube an Christus, welcher uns desselben teilhaftig macht.

Und wir also die Verheißung des Geistes empfingen durch den Glauben. – „Verheißung des Geistes“ ist so viel wie „eine geistliche Verheißung“. Andere erklären freilich, als wenn dastünde: Wir sollen „den verheißenen Geist“ empfangen. Ohne Zweifel wird uns auch für den neuen Bund der Heilige Geist versprochen (Jesaja 44.3). Aber dass Paulus an unserer Stelle daran denkt, bezweifle ich. Vielmehr scheint er den „geistlichen“ Inhalt der Verheißung im Gegensatz zu äußerlichen Dingen zu betonen, wie z. B. der Zeremonien und vor allem der fleischlichen Abstammung, welche jetzt nicht mehr in Betracht kommen soll. Er zeigt also aus der Natur der Verheißung, dass dieselbe nicht etwa den Juden in höherem Maße gilt als den Heiden; denn eine „geistliche“ Verheißung kann man sich nur im Geist und Glauben aneignen.