GALATER

Galater Kapitel 3 Teil II

Galater 3.6-9

Gleichwie Abraham hat Gott geglaubt, und es hat ihm gerechnet zur Gerechtigkeit. So erkennt denn, dass, die des Glaubens sind, das sind Abrahams Kinder. Die Schrift aber hat es zuvor gesehen, dass Gott die Heiden durch den Glauben gerecht gemacht; darum verkündigte sie dem Abraham (1. Mose 12.3): „In die sollen alle Heiden gesegnet werden“. Also werden nun, die des Glaubens sind, gesegnet dem gläubigen Abraham.

 

Auf den Erfahrungsbeweis folgt jetzt das Schriftzeugnis. Zuerst wird das Beispiel Abrahams angeführt. Pflegen sonst die von Beispielen hergenommenen Gründe nicht immer stichhaltig zu sein, so haben wir es hier doch mit einer sehr wirksamen Beweisführung zu tun, die sowohl der Sache nach als in Bezug auf die zum Vorbilde gewählte Persönlichkeit durchaus zutrifft. Denn da es nur einen Weg zur Gerechtigkeit gibt, so wird Abraham mit Recht der Vater aller Gläubigen genannt: Er ist das gemeinsame Vorbild für sie alle. Ja, in seiner Person ward uns eine allgemeingültige Regel dafür gegeben, wie man die Gerechtigkeit erlangt.

Gleichwie Abraham hat Gott geglaubt, und es hat ihm gerechnet zur Gerechtigkeit. – Stillschweigend vorausgesetzt erscheint hier die Antwort auf die soeben erhobene Frage, die ja nicht zweifelhaft sein konnte: Wir empfangen den Geist durch die Predigt vom Glauben, wie ja dies bereits Abraham erfahren durfte. Gerade die Weise, wie die Galater zuerst Gottes Gnade empfingen, ließ sie als Nachfolger Abrahams erscheinen.

Abraham hat Gott geglaubt. – Dies Beispiel kann hier wie Römer 4.1 ff. zum Beweise für die Rechtfertigung durch den Glauben dienen, weil eben der Glaube dem Abraham zur Gerechtigkeit gerechnet ward. Wir müssen nun zunächst sehen, was Paulus hier unter „Glauben“ und unter „Gerechtigkeit“ versteht; dann, weshalb ihm der Glaube als Ursache der Gerechtigkeit gilt. Unter dem Glauben ist nicht jegliche Überzeugung zu verstehen, welche die Menschen von der göttlichen Wahrheit haben können. Denn gesetzt, Kain hätte hundertmal dem Herrn Glauben geschenkt, als Er ihm Strafe ankündigte, so hätte er damit doch keine Gerechtigkeit erlangt. Abraham ist vielmehr nur deshalb durch den Glauben gerecht geworden, weil er sich mit gewisser Zuversicht an die ihm geschenkte Verheißung der göttlichen Gnade hielt. Der Glaube bezieht sich also hier auf ein solches Gotteswort, auf welches die Menschen vertrauen und bei welchem sie Ruhe finden können. – Was nun das Wort „Gerechtigkeit“ angeht, so gilt es, auf den Ausdruck in der alttestamentlichen Erzählung genau zu achten (1. Mose 15.6): Dass Abraham glaubte, ward ihm gerechnet zur Gerechtigkeit; also war er gerecht, weil Gott ihn als gerecht ansah. Die Gerechtigkeit, welche die Menschen in sich selbst nicht haben, empfangen sie durch Zurechnung, indem Gott ihren Glauben als Gerechtigkeit gelten lässt. Dass wir durch den Glauben gerecht werden, will also nicht sagen, dass der Glaube uns innerlich in durch und durch gerechte Menschen verwandelt, sondern dass er uns vor Gott annehmbar macht. Wie kommt aber nun der Glaube zu der Ehre, dass er die Ursache unserer Gerechtigkeit heißt? Zunächst muss man wissen, dass er nur die Mittelursache ist, denn eigentlich zu reden ist unsere Gerechtigkeit nichts anderes als die unverdiente Annahme bei Gott, auf welche unser Heil sich gründet. Indem uns nun Gott im Evangelium ein Zeugnis Seiner Liebe und Gnadenbereitschaft gibt, bietet Er uns eben damit die „Gerechtigkeit“ an, von der hier die Rede ist – und wir ergreifen sie durch den Glauben. Wenn wir also dem Glauben die Rechtfertigung des Menschen zuschreiben, so wollen wir in diesem Glauben nicht die Hauptursache sehen, sondern nur den Weg, auf welchem die Menschen zur wahren Gerechtigkeit gelangen. Denn diese Gerechtigkeit ist ein reines Geschenk Gottes, nicht eine dem Menschen innewohnende Qualität. Man besitzt sie nur im Glauben. Der Glaube ist aber kein Verdienst, so dass wir die Gerechtigkeit gewissermaßen als schuldigen Lohn empfingen, sondern im Glauben ergreifen wir das, was Gott freiwillig schenkt. Darum sind alle jene Sprechweisen gleichwertig: Wir werden gerecht durch Gottes Gnade, Christus ist unsere Gerechtigkeit, Gottes Barmherzigkeit ist die Ursache unserer Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit ist uns durch Tod und Auferweckung Christi erworben, die Gerechtigkeit wird uns durchs Evangelium gebracht, wir erlangen die Gerechtigkeit durch den Glauben. Welch ein törichter Irrtum ist es also, zwischen jenen Sätzen vermitteln zu wollen und zu sagen, wir werden gerechtfertigt durch Glauben und Werke zugleich; denn wer durch den Glauben gerecht ist, der weiß sich der eigenen Gerechtigkeit bloß und ledig und getröstet sich alleinigen Gnade Gottes. Dies ist auch der Grund, weshalb Paulus im Römerbrief (4.2) den Schluss zieht, Abraham habe keinen Ruhm vor Gott, weil er die Gerechtigkeit durch den Glauben erlangt hatte. Denn es heißt nicht, ihm sei der Glaube als ein Teil der Gerechtigkeit angerechnet worden, sondern einfach als Gerechtigkeit. So bestand also seine Gerechtigkeit ganz und gar im Glauben. Und dieser Glaube schaut allein auf Gottes Barmherzigkeit und den gekreuzigten und auferstandenen Christus. Demgemäß kann kein Verdienst der Werke zu der Rechtfertigung etwas beitragen, welche ganz und gar nur dem Glauben zugeschrieben wird. Denn der Glaube, welcher ja Gottes unverdiente Güte, den Herrn Christus mit allen Seinen Gütern und das im Evangelium gegebene Zeugnis unserer Kindschaft in sich enthält, steht in scharfem Gegensatz zum Gesetz, zu irgendeinem Verdienst der Werke und zur eigenen Würdigkeit der Menschen. Die Beschränkung dieses Gegensatzes auf die Zeremonien widerlegt sich in diesem Zusammenhang leicht. Wir halten also fest, dass die, welche durch den Glauben gerecht sind, ihre Gerechtigkeit außer sich selbst haben, nämlich in Christo. Gott schenkt uns in freier Gnade die völlige Gerechtigkeit, die wir nicht in uns selbst besitzen können, weil das Gesetz ohne allen Rückstand erfüllt sein will. – Noch ließe sich aber fragen, ob nicht die jüdische Behauptung Recht hat, dass die an Abraham ergangene Verheißung nur irdische Güter im Auge habe, also auf Christus und das ewige Leben nicht bezogen werden dürfe. Indessen müssen wir als obersten Grundsatz festhalten, dass alle besonderen Verheißungen, welche Gott dem Abraham gab, nur einen Anhang zu den Grundverheißungen bilden (1. Mose 15.1; 22.18): Ich bin dein Gott und dein sehr großer Lohn, und durch deinen Samen sollen alle Völker gesegnet werden. Als daher Abraham hörte: „Dein Same wird sein wie der Sand am Meer“ usw. (22.17), betrachtete er diese Zusage nicht rein für sich, sondern nur als einen Teil der Gnaden- und Kindschaftsverheißung. Jede Einzelzusage betrachtete er lediglich als ein Zeugnis der väterlichen Gnade Gottes, und ließ sie sich zur Stütze seines Heilsvertrauens dienen. Denn auch in diesem Stücke unterscheiden sich die Ungläubigen von den Kindern Gottes, dass jene zwar Gottes Wohltaten mit ihnen gemeinsam erfahren, aber nach Art der Tiere sie verschlingen, ohne aufwärts dabei zu blicken, diese aber wissen, dass alle Wohltaten durch Verheißungen geheiligt sind, und lernen durch sie Gott als Vater kennen. So erblicken sie in allem einen Hinweis auf das ewige Leben, weil sie auf den Grund zurückgehen, auf den Glauben an ihre Gotteskindschaft. Nicht deshalb also ist Abraham gerechtfertigt worden, weil er nur in Bezug auf die Vermehrung seiner Nachkommenschaft Gott geglaubt hat, sondern weil er Gottes Gnade umfasste und auf den verheißenen Mittler vertraute, in dem alle Verheißungen Gottes Ja und Amen sind (2. Korinther 1.19 f.).

So erkennt denn. – Man könnte auch übersetzen: „so erkennt ihr ja“; aber die Fassung als Befehl ist lebhafter. Unter Leuten, die des Glaubens sind, versteht der Apostel solche, welche allem Werkvertrauen entsagt haben und allein in Gottes Verheißung ihren Trost suchen. Diese Auslegung wird als richtig erwiesen, durch Vergleich der Stelle Römer 4.4 ff.: „Dem, der mit Werken umgeht, wird der Lohn nicht aus Gnade zugerechnet, sondern aus Pflicht.“ Einem Menschen aber, der keine Werke vorweisen will, ist Gott auch nichts schuldig – und es bleibt nichts übrig, als dass ihm „sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet werde“. Des Glaubens sein heißt also seine Gerechtigkeit und sein Heilsvertrauen auf Gottes Barmherzigkeit gründen. Dass solche Menschen Abrahams Söhne sind, folgt aus dem vorigen. Denn wenn Abraham durch den Glauben gerechtfertigt worden ist, so müssen, die seine Söhne sein wollen, ebenfalls auf den Glauben sich gründen. Leise hört man hier die Wahrheit heraus, dass niemandem ein Platz in der Kirche zusteht, der nicht Abrahams Sohn ist.

Die Schrift aber hat es zuvor gesehen, dass Gott die Heiden durch den Glauben gerecht gemacht. – Was er bisher nur unbestimmt gesagt hatte, deutet Paulus nun ausdrücklich auf die Heiden. Denn die Berufung der Heiden war etwas Neues und Ungewohntes, weshalb man auch über ihre Aufnahme in die Christenheit unschlüssig war. Man schien ihnen die Beschneidung und das gesamte Gesetz auflegen zu müssen, sollten sie anders an Gottes Bund Anteil gewinnen. Demgegenüber zeigt Paulus, dass sie durch den Glauben den Segen Abrahams gewinnen und den Eintritt in seine Nachkommenschaft erlangen. Zum Beweise dient ihm der Satz (1. Mose 12.3): „In dir sollen alle Heiden gesegnet werden“. Diese Worte wollen ohne Zweifel besagen, dass man nur in der inneren Zusammenfassung mit Abraham den Segen empfangen kann: Er ist das Urbild und die allgemeingültige Regel. Ist er nun durch den Glauben gesegnet worden, so wird ein anderer Weg dafür überhaupt nicht offenstehen. Darum redet der Apostel (Vers 9) mit großem Nachdruck von dem gläubigen Abraham, nicht von dem beschnittenen oder dem, der gute Werke tat, nicht von dem Hebräer oder dem Manne, der auf eigene Würdigkeit sich stützen konnte, sondern lediglich von dem, der allein durch Glauben den Segen empfangen hat. Denn hier kommt keine persönliche Beschaffenheit in Betracht, sondern allein der Glaube. – Das Wort „Segen“ wird in der Schrift verschieden gebraucht; hier bezeichnet es die Annahme zum ewigen Leben.