1. Petrus Kapitel 1 Teil V

1. Petrus 1.13-16

Darum so begürtet die Lenden eures Gemüts, seid nüchtern, und setzet eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch angeboten wird durch die Offenbarung Jesu Christi, als gehorsame Kinder, und stellet euch nicht gleich wie vorhin, da ihr in Unwissenheit nach den Lüsten lebtet, sondern nach dem, der euch berufen hat und heilig ist, seit auch ihr heilig in allem eurem Wandel. Denn es stehet geschrieben: „Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig.“

 

Aus der Größe und Erhabenheit der Gabe wird eine Ermahnung abgeleitet: Je reicher Gottes Gnade sich über uns ergießt, umso gespannter müssen wir darauf sein, sie zu ergreifen. Es gilt, auf den Zusammenhang zu achten. Das Reich Christi, zu welchem uns das Evangelium beruft, wurde als derartig erhaben beschrieben, dass auch die Engel im Himmel sich aufrichten, es zu sehen: Was vollends müssen wir tun, die wir in der Welt weilen? So lange wir auf Erden leben, ist der Abstand zwischen und Christus so groß, dass Er uns vergeblich zu sich einladen wird. Also müssen wir das Bild Adams abstreifen, die ganze Welt und alle Hinderungen wegwerfen, damit wir frei und ungebunden zu Christus emporsteigen können. Der Apostel heißt seine Leser unbehindert und nüchtern auf die ihnen angebotene Gnade hoffen; sodann sollen sie nach Gott sich bilden lassen, indem sie die Welt und ihr früheres Leben verleugnen. Das erste Glied der Ermahnung ist also dies, dass sie die Lenden ihres Gemüts begürten und ihre Seele zur Hoffnung auf die angebotene Gnade stimmen sollen. Das zweite Glied fordert, dass sie sich durch Änderung ihres Sinnes zum Bilde Gottes umgestalten lassen.

Darum so begürtet die Lenden eures Gemüts. – Das Gleichnis erklärt sich aus der Sitte der Alten, lange Kleider zu tragen; sie konnten dabei weder eine Wanderung machen, noch irgendetwas bequem angreifen, wenn sie sich nicht gürteten. Daher stammen die Redewendungen, dass man sich zu einem Weg, einem Werk oder Geschäft gürtet: Die Meinung ist, dass alle Hindernisse beseitigt werden sollen, damit wir frei dem Herrn entgegenstreben können. Bei den Lenden an die fleischlichen Begierden zu denken, die man bändigen soll, ist überfein und entfernt sich von dem Sinn des Apostels. Petrus will nichts anderes sagen als jene Worte Christi (Lukas 12.35): „Lasset eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen.“ Allerdings bedient sich Petrus eines doppelten Bildes, indem er dem Gemüt Lenden zuschreibt: Die Meinung ist, dass unser Gemüt durch die unruhigen Sorgen dieser Welt und überflüssige Begierden verstrickt ist, die es nicht zu Gott emporsteigen lassen. Wer also recht hoffen lassen will, muss sich zuerst von diesen Stricken befreien und seinen Geist loslösen, damit er nicht in eitlen Stimmungen zerfließe. Eben darauf zielt auch die nächste Mahnung: Seid nüchtern. Denn dabei ist nicht bloß an Mäßigkeit in Speise und Trank zu denken, sondern vielmehr an die geistliche Nüchternheit, in der wir alle unsere Sinne in Zucht halten, damit sie sich nicht an den Lockungen dieser Welt berauschen. Denn wenn wir auch nur ein wenig von ihnen kosten, stehlen sie unser Herz dem Herrn; wer sie aber gar in ganzer Fülle einschlürft, muss unweigerlich stumpf und gleichgültig werden und Gott und alle göttlichen Dinge vergessen.

Setzet eure Hoffnung ganz auf die Gnade. – Damit gibt der Apostel zu verstehen, dass Leute, die ihren eitlen Gedanken die Zügel schießen lassen, nicht so klar und fest auf Gottes Gnade hoffen, wie es sich geziemte. Mögen sie auch eine geringe Hoffnung auf Gnade hegen, so gewinnt dieselbe doch keine Sicherheit, weil sie schwanken und sich in der Welt umtreiben lassen. Ausdrücklich sagt nun Petrus von der Gnade, dass sie den Lesern angeboten wird, um sie dadurch zu ihrer Annahme entschlossener zu machen. Sonst müsste man Gott in der Ferne suchen; Er aber begibt sich aus freien Stücken ganz in unsere Nähe. Welch ungeheure Undankbarkeit wäre es also, wenn wir die Gnade, die uns so gütig dargeboten wird, geringschätzen wollten! So kann dieser Zusatz viel dazu beitragen, unsere Hoffnung zu beleben.

Dass uns die Gnade durch die Offenbarung Jesu Christi angeboten wird, lässt eine doppelte Deutung zu: Denn die Lehre des Evangeliums offenbart uns Christus; weil wir Ihn aber bis jetzt nur wie im Spiegel und im Rätselbilde sehen, wird die volle Offenbarung bis zum letzten Tag verschoben. Dies letztere Verständnis scheint mir angemessener, obgleich ich auch das erste nicht verwerfen will. Denn der Apostel beabsichtigt, uns aus der Welt herauszurufen; dafür aber wäre die Erinnerung an Christi Wiederkunft ganz besonders passend: Denn wenn wir dahin unsere Augen richten, ist uns die Welt gekreuzigt und wir der Welt. Zudem hat ja Petrus das Wort in eben dieser Bedeutung noch kurz zuvor gebraucht (Vers 7). Übrigens wäre der Satz am besten dahin zu erläutern, dass uns die Gnade angeboten wird bis auf die Offenbarung Jesu Christi. Der Apostel sagt uns etwa: Ihr braucht nicht einen langen Weg zu durchmessen, Gott ist euch zuvorgekommen, indem Er sich euch anbietet. Da aber der völlige Genuss sich erst erschließt, wenn Christus, in welchem das Heil der Frommen verborgen liegt, vom Himmel erscheint, so bedarf es inzwischen der Hoffnung. Denn das gegenwärtige Angebot der Gnade Christi würde vergeblich sein, wenn wir nicht geduldig bis zu Christi Ankunft standhalten.

Als gehorsame Kinder, und stellet euch nicht gleich wie vorhin. – Zuerst gibt der Apostel zu verstehen, dass wir vom Herrn durch das Evangelium zum ehrenvollen Recht der Kindschaft berufen wurden. Sodann prägt er die Bedingung unserer Annahme zur Kindschaft ein: Gott will seinerseits an uns gehorsame Kinder haben. Da die Gabe der Kindschaft ein freies Geschenk ist, macht uns sicherlich der Gehorsam nicht zu Kindern, aber er scheidet die Kinder von den Fremden. Petrus zeigt nun, wie weit dieser Gehorsam sich ausdehnt. Denn er verbietet den Kindern Gottes, sich den Lüsten dieser Welt gleichzustellen oder anzupassen, und ermahnt vielmehr, dass sie sich nach Gott bilden. Darauf vornehmlich zielt das Gesetz und alles, was Gott von uns fordert, dass in uns Sein Bild widerstrahle, damit wir nicht aus der Art geschlagene Kinder seien. Das kann aber nur geschehen, wenn wir erneuert werden und das Bild des alten Adam ausziehen. Wir entnehmen daraus, welchen Zweck Christen in ihrem ganzen Leben sich vorsetzen sollen, nämlich dass sie in Heiligkeit und Reinheit ihren Gott zur Anschauung bringen. Weil aber alle Stimmungen unseres Fleisches wider Gott streiten und die ganze Richtung unseres Geistes Feindschaft wider Ihn ist, hebt Petrus mit der Verleugnung der Welt an. Überhaupt macht die Schrift, wenn sie von der Wiederherstellung des Bildes Gottes in uns handelt, immer damit den Anfang, dass der alte Mensch mit seinen Begierden in uns vertilgt werde.

Da ihr in Unwissenheit lebtet. – Das bezieht sich auf die Zeit, als die Leser noch nicht zum Glauben an Christus berufen waren. Wir ersehen daraus, dass der Unglaube die Quelle alles Bösen ist. Denn von Unwissenheit ist hier nicht in dem uns geläufigen Sinne die Rede. Die platonische Lehre, dass alle Sünde nur aus Unwissenheit hervorgehe, ist falsch. Aber wenn auch die Ungläubigen durch ihr Gewissen gestraft werden, so irren sie doch wie blind in der Finsternis umher; denn sie gehen nicht auf dem rechten Weg und sind des wahren Lichtes beraubt. In diesem Sinne sagt Paulus (Epheser 4.17), dass die Christen nicht mehr wandeln sollen wie die Heiden „in der Eitelkeit ihres Sinnes, welcher Verstand verfinstert ist und sind entfremdet von dem Leben, das aus Gott ist, durch die Unwissenheit, so in ihnen ist.“ Wo nicht die Erkenntnis Gottes herrscht, da haben Finsternis, Irrtum, Eitelkeit, Mangel an Licht und Leben die Oberhand. Das alles aber hindert nicht, dass die Gottlosen bei ihrer Sünde ein böses Gewissen haben und etwas davon empfinden, dass ihr Richter im Himmel sitzt und auch in ihnen als ihr Henker. Alles in allem: Da Gottes Reich ein Reich des Lichtes ist, müssen notwendig alle, die Ihm fremd bleiben, blind sein und in einem Labyrinth sich verirren. Dabei ergeht auch die Mahnung an uns, dass wir eben deshalb zur Erkenntnis Gottes erleuchtet wurden, damit wir nicht weiter durch zerstreuende Begierden uns umtreiben lassen. Nur in demselben Maße also, wie jemand in der Erneuerung des Lebens vorangekommen ist, hat er auch in der Erkenntnis Gottes Fortschritte gemacht. Doch es erhebt sich hier eine Frage: Wie kann der Apostel, der doch zu den Juden spricht, die immer unter dem Gesetz gelebt hatten und in der Verehrung des einen Gottes erzogen waren, dieselben wie ganz unheilige Leute der Unwissenheit und Blindheit zeihen? Ich antworte, dass eben hierdurch klar wird, wie fade aller Menschen Wissen ohne Christus ist. Wenn Paulus den hohlen Schein der Leute aufdecken will, die ohne Christus weise sein möchten, sagt er mit einem Worte (Kolosser 2.19), dass sie sich nicht an das Haupt halten. Solche Leute waren die Juden, die bei den zahllosen Verderbnissen, in die sie geraten waren, auch noch eine Decke vor den Augen liegen hatten, so dass sie Christus im Gesetze nicht erkennen konnten. Die Lehre, in der sie unterwiesen wurden, war freilich das wahre Licht; aber solange die Sonne der Gerechtigkeit ihnen verborgen war, zeigten sie sich blind mitten in diesem Licht. Wenn nun Petrus die Jünger des Gesetzesbuchstabens, solange sie Christus als die einzige Weisheit Gottes nicht kennen, als unheilige Leute der Finsternis zuweist, so ist es für uns eine umso dringendere Notwendigkeit, uns nach Seiner Erkenntnis auszustrecken.

Nach dem, der euch berufen hat und heilig ist, seit auch ihr heilig in allem eurem Wandel. Denn es stehet geschrieben: „Ihr sollt heilig sein, denn Ich bin heilig.“ – Der Zweck der Berufung wird als Beweisgrund herangezogen. Gott sondert uns zu Seinem Eigentum ab; also müssen wir von jeder Befleckung rein sein. Dabei wird ein Satz zitiert, den Mose öfter wiederholt (3. Mose 19.2; 11.45). Weil das Volk Israel auf allen Seiten von unheiligen Heidenvölkern umgeben war, deren überaus böses Beispiel sie zu zahllosen Verderbnissen verleiten konnte, ruft der Herr es immer wieder zu sich. Es ist, als wollte Er ihnen sagen: Mit mir habt ihr es zu schaffen; ihr seid mein; also enthaltet euch von den Befleckungen der Heiden! Liegt es uns doch nur zu nahe, auf Menschen zu schauen und ihre allgemeine Lebensweise anzunehmen. So locken sich die Menschen gegenseitig scharenweise zu allem Bösen, bis der Herr uns durch Seine Berufung aussondert. Dass wir aber heilig sein sollen, wie Er heilig ist, deutet nicht auf eine vollkommene Gleichheit; aber bis zu dem von uns erreichbaren Ziel sollen wir streben. Und da von diesem Ziel auch die Vollkommensten noch immer weit entfernt sind, müssen wir täglich immer von neuem darnach streben. Dabei wollen wir uns aber erinnern, dass uns nicht bloß unsere Pflicht vorgeschrieben wird, sondern dass Gott auch hinzufügt (3. Mose 22.32): „Ich bin es, der euch heiligt.“ Petrus ruft uns nun zu: Seid heilig in allem eurem Wandel. Es soll also kein Stück unseres Lebens geben, welchem man nicht diesen guten Geruch der Heiligkeit anspürte. Sehen wir doch, wie Gott auch in sehr geringen und beinahe ganz gleichgültigen Dingen Sein Volk an diesen Gedanken gewöhnt, damit es desto sorgfältiger sich hüte.