George Orwell
Wir geben der Sprache die Form, die sie haben wird, wenn niemand mehr anders spricht. Wenn wir damit fertig sind, werden Leute wie du die Sprache ganz von neuem erlernen müssen. Du nimmst wahrscheinlich an, neue Worte zu finden. Ganz im Gegenteil! Wie merzen jeden Tag Worte aus – massenhaft, zu Hunderten. Wir vereinfachen die Sprache auf ihr nacktes Grundgerüst.
Weißt Du auch, dass die Neusprache die einzige Sprache der Welt ist, deren Wortschatz von Jahr zu Jahr kleiner wird? […] Siehst Du denn nicht, dass die Neusprache kein anderes Ziel hat, als die Reichweite des Gedankens zu verkürzen? Zum Schluss werden wir Gedankenverbrechen buchstäblich unmöglich gemacht haben, da es keine Worte gibt, in denen man sie ausdrücken könnte.
Nicht genug, dass die Vergangenheit sich änderte, ihre Veränderung war fortlaufend und unaufhörlich. […] Es hatte eine Zeit gegeben, in der es als Zeichen von Wahnsinn galt, zu glauben, die Erde drehe sich um die Sonne; heute wahr es Wahnsinn, zu glauben, die Vergangenheit stünde ein für alle Mal fest.
Heutzutage kämpfen sie überhaupt nicht gegeneinander. Der Krieg wird von jeder herrschenden Gruppe gegen ihre eigenen Anhänger geführt, und das Kriegsziel ist nicht, Gebietseroberungen zu machen oder zu verhindern, sondern die Gesellschaftsstruktur intakt zu halten.
In der Vergangenheit besaß keine Regierung die Macht, ihre Bürger unter dauernder Überwachung zu halten. Die Erfindung der Buchdruckerkunst machte es jedoch leichter, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, und Film und Radio förderten diesen Prozess noch weiter. Mit der Entwicklung des Fernsehens und dem technischen Fortschritt, der es ermöglichte, mit Hilfe desselben Instruments gleichzeitig zu empfangen und zu senden, war das Privatleben zu Ende.
Jede Aufzeichnung wurde vernichtet oder verfälscht, jedes Buch überholt, jedes Bild übermalt, jedes Denkmal, jede Straße und jedes Gebäude umbenannt, jedes Datum geändert. Und dieses Verfahren geht von Tag zu Tag und von Minute zu Minute weiter. Die geschichtliche Entwicklung hat aufgehört. Es gibt nur noch eine unabsehbare Gegenwart, in der die Partei immer recht behält.
Aber ich sage ihnen, die Wirklichkeit ist nicht etwas an sich Vorhandenes. Die Wirklichkeit existiert im menschlichen Denken und nirgendwo anders. Nicht im Denken des einzelnen, der irren kann und auf jeden Fall bald zugrunde geht: nur im Denken der Partei, die kollektiv und unsterblich ist. Was immer die Partei für Wahrheit hält, ist Wahrheit.
In unserer Gesellschaftsordnung sind diejenigen, die am besten wissen, was gespielt wird, auch am weitesten davon entfernt, die Welt so zu sehen, wie sie tatsächlich ist. Im Allgemeinen gilt, je tiefer der Einblick, desto größer die Verblendung; je klüger, desto weniger vernünftig.
(1984)
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