[…] Diese geistlosen Vollstrecker des Gesetzes begreifen absolut nicht und sind nicht imstande zu begreifen, dass die bloße buchstäbliche Erfüllung des Gesetzes, ohne Nachdenken, ohne Verständnis für seinen Geist, gerade zu Unordnungen führt und nie zu etwas anderem geführt hat. „Es steht so im Gesetz; was will man noch weiter?“ sagen sie und sind aufrichtig erstaunt darüber, dass man von ihnen außer der Befolgung der Gesetze auch noch gesunde Vernunft und nüchternes Urteil verlangt. Besonders das letztere erscheint vielen von ihnen als ein überflüssiger, empörender Luxus, als eine Beschränkung, als Intoleranz.
Die Tyrannei ist eine Gewöhnung; sie ist mit Entwicklungsfähigkeit ausgestattet und entwickelt sich schließlich zu einer Krankheit. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch der beste Mensch infolge von Gewöhnung so roh und stumpf werden kann, dass er auf die Stufe des Tieres herabsinkt. Blut und Macht haben etwas Berauschendes; es entwickeln sich Rohheit und Sittenlosigkeit; die unnatürlichsten Dinge werden dem Denken und Empfinden erträglich und zuletzt süß.
Jeder, wer er auch sei, und wie tief erniedrigt er auch sein mag, verlangt doch, wenn auch nur instinktiv und unbewusst, Achtung vor seiner Menschenwürde.
(Aufzeichnungen aus einem Totenhause)
Comments powered by CComment