BÜCHERECKE

Nechifor Lipans Weib

von Mihail Sadoveanu

 

Verlag: Hoffmann und Campe Verlag

 

Leseprobe

Am Sonntagmorgen stieg sie zu Pferd, ermüdet und mit umränderten Augen. Sie hörte die verschiedenen Ratschläge des Kaufmanns an und sah dabei in eine andere Richtung. Nur bei den Rechnungen und bei den geldlichen Ratschlägen horchte sie aufmerksamer hin.

„Das ist gut“, willigte sie ein, „ich zahle Euch für die Bewirtung. Ihr gebt mir Kleingeld für einige Tausend, damit ich es zur Hand habe. Ich will nicht, dass man merkt, was ich bei mir habe, damit es keinen anlockt. Wenn es mein Geld wäre, würde ich nichts sagen. Man nimmt es mir und mag dann in gutem Frieden abziehen! Aber es ist sein Geld.“

„Wessen Geld?“

Sie antwortete ganz innen, ohne Worte: „Des Lipan; des Toten“, aber sie antwortete nur für sich. Sie erhielt das Kleingeld, band es in eine Ecke ihres Schweißtuches und stieß die Fersen dem scheckigen Pferd in die Flanken.

Sie kamen bei Sonnenschein bis nach Farcascha. Als sie in das Dorf einritten, erhob sich plötzlich vom hohen Berg kalter Wind, der schwarze Wolken und Schneewirbel hinter sich herzog. Als sie an der Kirche vorbeiritten, war weder Himmel noch Erde zu sehen.

Vitoria hielt das Pferd an und stieg ab. Sie verneigte sich vor der heiligen Stätte.

„Gheorghitza“, sagte sie, „dies ist eine Mahnung, hier Rast zu machen.“

(Ausschnitt aus: Nechifor Lipans Weib; Hoffmann und Campe Verlag, Ausgabe 1949)

 

Inhalt

Vitoria ist die Frau des Nechifor Lipan, eines reichen Bauern aus den rumänischen Bergen. Dieser ist im Herbst ausgezogen, um Schafe zu kaufen und zu den Weiden zu treiben. Nun wartet sie auf seine Rückkehr. Sie wartet bis Weihnachten. Sie wartet bis in das Neue Jahr. Sie wartet. Und sie erkennt eines Tages: ihr Mann kommt nicht. Er kommt nicht mehr. Düstere Träume offenbaren ihr, dass ihr Mann ermordet wurde. So zieht sie zusammen mit ihrem Sohn aus, um ihren Mann zu suchen und seinen Verbleib zu klären. Dabei wird sie, die im einfachen Volksglauben der Berge aufgewachsen ist, mit den Sitten und der Bildung des städtischen Lebens ebenso konfrontiert wie mit den Gesetzen und bürokratischen Abläufen des Staates. Sie findet Hilfe, wo sie keine Erwartet, treu im Glauben an Gott und ihr Ziel immer vor Augen: Den Nechifor Lipan zu finden!

 

Biographie

Mihail Sadoveanu wurde 1880 in Pașcani/Rumänien geboren. Nach seinem Abitur ging er nach Bukarest, um dort Jura zu studieren, brach jedoch das Studium 1900 vorzeitig ab, um sich komplett seiner literarischen Tätigkeit zu widmen. 1904 veröffentliche er erfolgreich seine ersten Bücher, denen viele weiter folgten. Seine vorwiegen folkloristischen Erzählungen, beeinflusst von der Beschreibung der Natur sowie der rumänischen Geschichte, lassen ihn zu einem der herausragenden Schriftsteller der rumänischen Prosa des frühen 20. Jahrhunderts werden. Einzig seine Kooperation mit dem stalinistischen Regime seit der Nachkriegszeit wirft einen dunkleren Schatten auf sein Schaffen, ließ er sich doch literarisch vom kommunistischen Regime einspannen. 1961 verstarb Mihail Sadoveanu nach einem Schlaganfall und wurde in Bukarest beigesetzt.

 

Bewertung

Ein in seinem historischen und geographischen Kontext sehr interessantes und gut zu lesendes Buch, was einen in die rumänische Bergwelt des neunzehnten Jahrhunderts führt. Kann ich empfehlen… ist allerdings aktuell wohl nur antiquarisch zu erhalten. Der Kauf lohnt sich aber.

 

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