Philipper 2.12-16
Also meine Liebsten, wie ihr allezeit seid gehorsam gewesen, nicht allein in meiner Gegenwärtigkeit, sondern auch nun viel mehr in meinem Abwesen, schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist’s, der in euch wirket beide, das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen. Tut alles ohne Murmeln und Streit, auf das ihr seid ohne Tadel und lauter und Gottes Kinder, unsträflich mitten unter dem unschlachtigen und verkehrten Geschlecht. Unter diesem scheint als Lichter in der Welt, damit dass ihr haltet ob dem Wort des Lebens, wir zu einem Ruhm an dem Tage Christi, als der ich nicht vergeblich gelaufen, noch vergeblich gearbeitet habe.
Also meine Liebsten. – Die ganze bisherige Ermahnung empfängt jetzt ihren Abschluss mit dem allgemeinen Satze, dass man sich unter Gottes Hand demütigen soll. Denn die Menschen werden untereinander erst nachgiebig und verträglich, wenn die trotzige Selbstüberhebung weicht. Dass aber der menschliche Geist solche Beugung lerne, dazu ist das einzig geeignete Mittel, dass er in ernster Selbstprüfung sich an Gott messe, dann wird die Selbstbespiegelung und Selbstgefälligkeit alsbald schwinden.
Wie ihr allezeit seid gehorsam gewesen. – Das Lob des früheren Gehorsams soll zum Fortschritt auf gleichem Wege treiben. Da sich aber nur zu leicht ein heuchlerisches Wesen mit bloßem Dienst vor Augen breit macht und außerhalb des Kreises, da man sich beobachtet weiß, ohne Furcht und Scham sich in zügellosester Weise gehen lässt, so mahnt Paulus seine Leser, sie möchten sich nicht nur in seiner Gegenwart gehorsam zeigen, sondern auch in seiner Abwesenheit, und zwar dann noch viel mehr. Denn bei persönlicher Gegenwart hätte er sie durch fortwährende Ermahnungen treiben und drängen können. Jetzt aber, da ihr Seelenführer ferne war, müssen sie selbst auf sich halten. Und zwar sollen die Philipper ihren Gehorsam durch Demut und Nachgiebigkeit bezeugen und beweisen. Der Quell wahrer Demut liegt aber in der Erkenntnis des eigenen Elends und der eigenen Hilfsbedürftigkeit. Zu dieser Erkenntnis will die Aussprache des Apostels führen. Denn hochfahrendes Wesen kommt nur aus falscher Sicherheit, und diese ergibt sich aus jenem blinden, eitlen Selbstvertrauen, welches sich viel lieber an den eigenen Vorzügen weidet, als auf Gottes Gnade stützt. Genau das Gegenteil davon ist die Furcht, zu welcher der Apostel uns mahnt. Wenn nun auch im Texte die Ermahnung zuerst kommt und dann die Lehre, so ist die Ermahnung doch der Ordnung nach das zweite, weil sie aus der Belehrung abgeleitet wird. Daher will ich mit der Lehre anfangen.
Denn Gott ist ´s, der da wirket. – Das ist das rechte Geschütz, um jede Höhe zu zerstören; das ist das Schwert, um jeden Hochmut zu töten: Wenn wir hören, dass wir gar nichts sind und nichts vermögen, außer allein durch Gottes Gnade. Ich verstehe darunter die übernatürliche Gnade, die aus dem Geiste der Wiedergeburt hervorgeht. Sofern wir Menschen sind, sind wir schon in Gott und leben und weben in Ihm. Aber hier redet Paulus von einer anderen Lebenskraft als von jener allgemeinen. So wollen wir denn sehen, wie viel er Gott zuschreibt, und was er uns übrig lässt. Beim Handeln unterscheiden wir wesentlich zwei Teile: Das Wollen und das Vollbringen. Beides schreibt der Apostel vollständig Gott zu. Was bleibt uns dann aber übrig, dessen wir uns rühmen könnten? Nennt Paulus die beiden Grundbestandteile unseres Handelns, so bedeutet dies ja genau so viel, als wenn er von unserem Tun insgesamt gesprochen hätte. Denn der Wille ist das Fundament, das Vollbringen das auf demselben aufgeführte Gebäude. So besagt der Ausdruck weit mehr, als wenn es nur hieße, dass Gott den Anfang und das Ende wirkt. Denn dann würden sophistische Theologen heraustüfteln, dass etwas, was zwischen beiden in der Mitte liegt, dem Menschen überlassen bliebe. Jetzt aber, was bleibt für uns übrig? Die Schulweisheit müht sich ins Endlose, den freien Willen noch neben Gottes Gnade unterzubringen. Ich meine den freien Willen, wie man ihn zu denken pflegt, der sich selbst bestimmen, selbständig wirken und also mit der göttlichen Gnade zusammen wirken soll. Über Worte will ich dabei nicht streiten, es handelt sich um die Sache selbst. Damit nun der freie Wille neben der Gnade seinen Platz behaupte, teilt man zwischen beiden und sagt etwa: Gott gibt uns die verlorene Fähigkeit wieder, frei zu wählen, sodass wir nun das Gute wollen können. So bliebe die Möglichkeit zum guten Wollen eine Gabe Gottes: Der gute Wille selbst müsste auf den Menschen zurückgeführt werden. Paulus dagegen verkündigt, dass der gute Wille ganz Gottes Werk ist. Denn er sagt nicht, dass Gott unserem Herzen eine Neigung oder einen Anreiz mitteile, oder dem guten Willen in seiner Schwachheit zu Hilfe komme, sondern dass Er den guten Willen ganz und gar wirkt. Sagt man aber, dass bei unserer Lehre, die alles Gute in uns auf freie Gnade zurückführt, der Mensch wie ein Steinblock vorgestellt würde, so ist das eine unverschämte Verleumdung. Wir geben ja zu, dass wir von Natur einen Willen haben. Weil dieser Wille aber infolge des Verderbens der Sünde böse ist, so beginnt er erst dann wieder gut zu werden, wenn Gott ihn wiederhergestellt hat. Wir sagen nicht, dass der Mensch ohne persönliche Willensbeteiligung irgendetwas Gutes tue; aber dies wird nur der Fall sein, wenn sein Wille vom Geiste Gottes gelenkt wird. So bleibt Gottes Ruhm ungeschmälert, und es muss wohl eine leichtfertige Ansicht sein, wenn man von einem Angebot der Gnade träumt, dessen Annahme in unserem Belieben stünde. Nur wenn Gott wahrhaftig in uns wirkt, hat Paulus ein Recht, davon zu reden, dass Er das Wollen schafft. Genau so steht es mit dem anderen Stück: Gott wirkt in uns das Vollbringen. Er führt also die guten Regungen, die Er uns eingeflößt hat, zum Ziele, damit sie nicht fruchtlos bleiben, wie Er durch Hesekiel verheißt (siehe Hesekiel 36.27, vergleiche 11.20): Ich will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln. Daraus schließen wir, dass auch die Beharrung der Gläubigen ein reines Geschenk Gottes ist.
Nach seinem Wohlgefallen. – Von Gottes gnädigem Wohlgefallen ist die Rede, nicht etwa von der Menschen wohlgefälligem Entschluss. Der ganze Zusammenhang drängt ja darauf, dass dem Menschen alles genommen und Gott alles gegeben werden soll. So begnügt sich der Apostel nicht mit der Aussage, dass Gott das Wollen und das Vollbringen wirkt, sondern fügt hinzu, dass Er dies „nach seinem Wohlgefallen“ tut. So muss jeder Gedanke daran schwinden, als wäre die Gnade eine Belohnung für vorangehendes Verdienst. Paulus lehrt, dass – wenn anders wir auf rechtem Weg sind – unser ganzer Lebenslauf von Gott geleitet wird, und zwar durch Seine unverdiente Gnade und Güte.
Mit Furcht und Zittern. – Nun knüpft der Apostel die Ermahnung an, dass wir unsere Seligkeit mit Furcht schaffen sollen. Er verbindet nach seiner Gewohnheit Furcht und Zittern, um den Begriff zu steigern. So ergibt sich der Gedanke an einen tief-ernsten und sorgsamen Eifer. Damit will der Apostel gleicherweise schläfrige Trägheit wie falsches Selbstvertrauen vertreiben. Mit dem Worte „schaffen“ trifft er die stets für den eigenen Vorteil erfinderische Bequemlichkeit, die leicht Gottes Gnade als Ruhekissen gebrauchen könnte: Wenn Gott in uns wirkt, weshalb sollen wir dann nicht müßig die Hände in den Schoß legen? Aber der Heilige Geist erinnert daran, dass Er nur in lebendigen Organen wirken will, und wirft mit Seiner Mahnung zu Furcht und Zittern jede Selbstüberhebung nieder. Dabei muss sorgfältig beachtet werden, wie die Folgerung lautet. Paulus sagt: Ihr habt alles von Gott, darum seid eifrig und demütig! Denn nichts muss uns mehr zur Bescheidenheit und Demut erziehen, als wenn wir hören, dass wir allein durch Gottes Gnade stehen, und dass wir alsbald fallen werden, wenn Er auch nur für einen Augenblick Seine Hand von uns abzieht. Das Vertrauen auf uns selbst erzeugt Sicherheit und Zügellosigkeit. Wir erfahren es ja, dass alle, die auf ihre eigene Kraft bauen, frech und anmaßend werden und zugleich, als wenn sie sicher sein dürften, schlafen. Das Mittel gegen beide Übel ist, dass wir uns selbst misstrauen lernen und uns ganz an den einigen Gott hängen. Und fürwahr! Der ist recht fortgeschritten in der Erkenntnis sowohl der Gnade Gottes als auch seiner eigenen Schwäche, der aufgeweckt aus der Sicherheit mit Ernst Gottes Beistand sucht. Leute dagegen, die hochmütig auf ihre eigene Kraft pochen, leben auch immer im Rausche einer falschen Sicherheit. Daher ist es eine unverschämte Beschuldigung, wenn die Papisten uns vorwerfen, dass wir mit unserem Ruhm der Gnade und der Herabsetzung des freien Willens die Menschen sorglos machen, ihnen die Furcht aus dem Herzen reißen und sie von der sittlichen Sorgfalt entbinden. Doch die Leser sehen, dass Paulus hier nicht aus der Lehre der Papisten, sondern aus der unsrigen den Stoff zur Ermahnung nimmt. Er sagt: Gott wirkt alles in euch, daher unterwerft euch Ihm mit Furcht! Ich leugne zwar nicht, dass viele, wenn sie hören, dass in uns nichts Gutes ist, sich noch mehr in ihren Fehlern gehen lassen. Aber ich leugne, dass hieran eine Lehre die Schuld trage, die, recht verstanden, vielmehr sittlichen Eifer in den Herzen erzeugt. Außerdem missbrauchen die Papisten diese Stelle, um die Glaubensgewissheit zweifelhaft zu machen. Sie sagen nämlich: Wer zittert, ist ungewiss. Sie fassen die Worte des Paulus so, als ob wir unser ganzes Leben hindurch in Ungewissheit über unsere Seligkeit bleiben müssten. Doch wenn wir Paulus nicht mit sich selbst in Widerspruch bringen wollen, so ermahnt er uns hier nicht zum Zweifel, da er ja überall das volle Vertrauen empfiehlt. Doch die Lösung ist leicht, wenn jemand den wahren Sinn ohne Zank sucht. Es gibt zwei Arten der Furcht; die eine, welche die Sorge und die Demut gebiert, die andere, welche den Zweifel gebiert. Die erste Art der Furcht steht im Gegensatz sowohl zur fleischlichen Sicherheit und Trägheit als auch zum Hochmut. Die andere Art der Furcht steht im Gegensatz zur Glaubensgewissheit. Dann ist ferner zu beachten, dass die Gläubigen, so wie sie einerseits sicher ruhen in Gottes Gnade, andererseits, wenn sie ihre Augen richten auf ihre eigene Unbeständigkeit und Schwäche, durchaus nicht ruhig schlafen, sondern durch die Furcht vor den Gefahren, die ihnen drohen, zum Beten angetrieben werden. Trotzdem ist diese Furcht so weit davon entfernt, die Ruhe ihres Gewissens zu stören und ihr Vertrauen zu erschüttern, dass dieselbe vielmehr zu ihrer Stärkung dient. Denn Misstrauen gegen uns selbst bewirkt, dass wir uns umso mehr auf Gottes Barmherzigkeit stützen. Und eben dies will der Apostel mit diesen Worten erreichen; denn er fordert von den Philippern nichts anderes, als dass sie sich mit wahrer Selbstverleugnung Gott unterordnen.
Schaffet, dass ihr selig werdet. – Auch diese Wendung missbraucht man, um die Kraft und Fähigkeit der Menschen übertreibend zu rühmen. Erinnern wir an den eben besprochenen Satz, dass Gott alles wirkt, so wehrt man denselben durch einen Hinweis auf die gegenwärtige Aussage ab, dass wir doch selbst unsere Seligkeit schaffen sollen. So teilt man denn das Heilswerk zwischen Gott und dem Menschen und gibt jedem die Hälfte. Tatsächlich denkt aber der Apostel an keinerlei Verdienst, mit welchem man das ewige Leben gewinnen könnte. Spricht er vom „Seligwerden“, so meint er damit den ganzen Weg im Stande der Berufung, also kurzweg alles, womit Gott uns zu jener Vollendung führt, für welche Er uns erwählt hat. Diese Seligkeit schaffen wir, wenn wir unter der Leitung des Heiligen Geistes nach einem seligen Leben trachten. Gott ist es, der beruft und der das Heil anbietet. Unsere Pflicht ist es, im Glauben hinzunehmen, was Er anbietet, und gehorsam Seinem Rufe zu folgen. Das alles aber vermögen wir nicht aus uns selbst. Wir können es nur dann tun, wenn Gott uns selbst zum Handeln tüchtig macht. Das Wort, das mit „schaffen“ übersetzt wird, bedeutet eigentlich „zu Ende führen“. Aber man muss im Gedächtnis behalten, dass Paulus nicht etwa davon handelt, dass doch auch unsere Kräfte über ein bestimmtes Gebiet reichen. Vielmehr will er uns einfach lehren, dass Gottes Wirken uns nicht träge und müßig bleiben lässt, sondern uns mit verborgenem Triebe in steter sittlicher Übung festhält.
Tut alles ohne Murmeln. – Dies ist die Frucht der Demut, zu welcher Paulus uns ermahnte. Denn, wer sich selbst nichts zuschreibt und es gelernt hat, sorgfältig sich unter Gott zu beugen, der wird sich auch unter den Menschen friedlich verhalten. Wo dagegen die Menschen an sich selbst Gefallen haben, da herrschen zwei Sünden: Erstens, dass der Sinn des Einen sich wider den Anderen richtet, und dann, dass sie untereinander in Streit geraten. Deshalb verbietet der Apostel zuerst missgünstiges und heimliches Murren, sodann den offenen Streit. Und als Drittes fügt er hinzu (Vers 15), dass Christen ohne Tadel sein sollen. Er meint dies in dem Sinne, dass sie niemandem Anlass zu Klagen und Tadel geben sollen, wie ein solcher sich gerade aus rechthaberischem Wesen ergibt. Zwar kann man dem Hass nicht immer entgehen, aber wir müssen uns Mühe geben, dass wir uns nicht durch eigene Schuld verhasst machen. Trifft uns Hass, so muss an uns das Wort erfüllt werden (Psalm 35.19): Sie hassen mich ohne Ursache. Doch habe ich auch nichts dagegen einzuwenden, wenn man den Gedanken allgemeiner fasst. Denn Murren und Streit muss sich überall einstellen, wo ein Mensch durch selbstsüchtiges Verhalten den anderen einen Anlass zum Tadel bietet. Übrigens kann das griechische Wort nicht bloß heißen: „frei von Tadel“, sondern auch: „nicht tadelsüchtig“. Und diese Bedeutung würde recht wohl in den Zusammenhang passen. Ist doch die Ursache fast aller Wortstreitereien und Zänkereien die Nörgelsucht. Ferner sollen wir lauter sein; denn ein geläutertes Herz wird niemals solchen Schmutz auswerfen.
Gottes Kinder werden als solche auch unsträflich dastehen. Diesen inneren Zusammenhang wollen die Worte des Apostels ausdrücken. Denn unsere Annahme zur Gotteskindschaft muss zum Untergrunde eines unsträflichen Lebens werden, damit wir wenigstens einigermaßen die Züge unseres Vaters an uns tragen. Wenn nun auch in der Welt niemals eine solche Vollkommenheit vorhanden war, dass nichts Tadelnswertes gefunden werden könnte, so werden die Kinder Gottes doch unsträflich genannt, weil sie mit ganzem Eifer nach Vollkommenheit streben (vergleiche auch 3.12 & 3.15).
Mitten unter dem unschlachtigen und verkehrten Geschlecht. – Die Gläubigen leben nun einmal auf Erden mit den Ungläubigen vermischt, atmen mit ihnen dieselbe Luft, bewohnen denselben Boden. Und in damaliger Zeit lebten sie noch in höherem Maße in der Zerstreuung, da man kaum ein frommes Haus finden konnte, das nicht von allen Seiten von Ungläubigen umgeben war. Umso mehr treibt Paulus die Philipper an, dass sie sich sorgfältig vor allen Verführungen hüten. Er will ihnen sagen: Ihr seid zwar von bösen Leuten umgeben; aber vergesst nicht, dass eure Annahme zur Gotteskindschaft euch von ihnen geschieden hat! Lasst also im Leben die Unterscheidungszeichen klar hervortreten! Der Gedanke daran, dass Gott euch abgeschieden hat, muss euren Eifer für ein frommes und heiliges Leben noch immer reger machen, damit ihr euch nicht von fremden Sünden anstecken lasst und ihr dabei selbst wieder ein Teil jenes unschlachtigen und verkehrten Geschlechts werdet. So nennt der Apostel übrigens die Ungläubigen im Blick auf die besonderen Verhältnisse. Die Philipper empfangen damit einen Anstoß, sich umso sorgfältiger zu hüten, weil ihnen von den Ungläubigen viele Ärgernisse erwuchsen, die sie in ihrem rechten Lauf hindern konnten, und weil das ganze Leben der Ungläubigen gleichsam ein Irrgarten ist voll verschlungener Wege, auf die auch wir leicht geraten und dann den rechten Weg verfehlen können. Übrigens passen diese Beiworte auch für die Ungläubigen unter allen Völkern und zu allen Zeiten. Denn wenn das Herz des Menschen unergründlich und böse ist, wie werden dann die Früchte dieser Wurzel sein? Solche Beiworte lehren uns also, dass in dem Leben des Menschen nichts rein und nichts recht ist, bis es durch Gottes Geist wiederhergestellt wird.
Unter diesem scheint als Lichter in der Welt. – Wenn auch nach dem Grundtext die Übersetzung als Aussage (unter welchem ihr scheint) sprachlich möglich ist, so passt doch die ebenfalls mögliche Befehlsform weit besser in einen Zusammenhang durchaus ermahnenden Charakters. Die Gläubigen sollen Fackeln sein, die in der Finsternis der Welt leuchten. Paulus will sagen: Die Ungläubigen sind die Kinder der Nacht, und in der Welt ist nichts als Finsternis; aber Gott hat euch zu dem Zweck erleuchtet, damit die Reinheit eures Lebens in dieser Finsternis leuchte, damit seine Gnade umso herrlicher werde. So heißt es auch bei dem Propheten (Jesaja 60.2): Über dir wird aufgehen der Herr, und an dir seine Ehre erscheinen. Und bald darauf folgt: Die Völker werden in deinem Lichte wandeln und die Könige im Glanze deines Angesichts. Freilich handelt Jesaja dort mehr von der Lehre, während dem Apostel das Beispiel des Lebens vorschwebt. In Bezug auf die Lehre nennt auch Christus seine Jünger das Licht der Welt (Matthäus 5.14).
Damit dass ihr haltet ob dem Wort des Lebens. – Das ist der Grund, weswegen die Christen Lichter sein müssen: Sie tragen und halten das Wort des Lebens, das sie selber erleuchtet, damit es auch anderen zur Leuchte werde. Der Apostel denkt an eine Lampe, Gottes Wort der Leuchtkörper. Oder: Wir sind der Leuchter, die Lehre des Evangeliums ist die Kerze, welche auf uns gesetzt wird und nun überallhin ihren Glanz verbreitet. So empfangen wir eine Erinnerung, dass es hieße, dem Worte Gottes eine Schmach antun, wollten wir nicht seinen Widerschein in einem reinen Leben spüren lassen. Hierauf bezieht sich auch das Wort Christi (Matthäus 5.15): Niemand zündet ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel. Doch tragen wir das Wort in keinem anderen Sinne, als dass wir zugleich von ihm getragen werden, da wir ja auf dasselbe gegründet sind. Was aber Paulus hier einprägen will, ist wesentlich dies: Wir halten auf Gottes Wort oder tragen dasselbe in rechter Weise nur dann, wenn wir sein Licht nicht bloß für uns behalten und müßig bleiben, sondern, wenn wir es für andere weiter leuchten lassen. Alles in allem: Wer die Erleuchtung durch die himmlische Sonne empfangen hat, trägt ein Licht an sich, welches, wenn er nicht heilig und züchtig wandelt, alle seine bösen Werke verrät und offenbart. Angezündet ward aber dieses Licht nicht bloß deshalb, damit es uns selbst auf rechtem Wege leite, sondern, damit wir auch anderen diesen Weg zeigen können.
Mir zu einem Ruhm. – Um ihren Mut zu beleben, bezeugt Paulus den Philippern, dass es ihm zum Ruhm gereichen werde, wenn er nicht vergeblich an ihnen gearbeitet hätte. Nicht, dass jemand um den Preis und Lohn seiner Arbeit betrogen wäre, wenn er treu, aber ohne Erfolg gearbeitet hätte. Vielmehr ist der Erfolg unseres Dienstes ein besonderer Segen Gottes; und wir brauchen uns nicht zu wundern, wenn Er zu den übrigen Gaben, die Er uns gibt, auch die hinzufügt, dass Er unserem Erfolge Seinen besonderen Lohn und Seine Krone schenkt. Wie die vielen Gemeinden, die durch ihn für Christum gesammelt wurden, Pauli Apostelamt ehren, so werden sie einst sein Siegespreis und sein Ruhm sein im Reiche Christi, wie er etwas später sagt (4.1): Ihr seid meine Krone. Und es ist unzweifelhaft, dass der Triumph umso glänzender sein wird, je größere Taten vollbracht sind. Wenn nun jemand fragen würde: Wie darf Paulus sich jetzt seiner Arbeit rühmen, da er ja anderwärts (1. Korinther 1.31) verbietet, sich anders, als im Herrn zu rühmen? – so ist die Antwort leicht: Wenn wir uns und all das Unsrige Gott zu Füßen legen und unseren ganzen Ruhm in Christum setzen, so ist es auch erlaubt, durch Christum sich der Wohltaten Gottes zu rühmen, wie wir ja dies aus dem ersten Briefe an die Korinther ersehen konnten (z. B. 4.9 ff.; 9.14 ff.; 15.10). Der Hinweis auf den Tag Christi ist für die Philipper ein Ansporn zum Ausharren; von dem Richterstuhle Christi dürfen sie den Lohn ihres Glaubens erwarten.