Jona 2.8
Da meine Seele bei mir verzagte, gedachte ich an den Herrn; und mein Gebet kam zu dir in deinen heiligen Tempel.
Das hat der Prophet Jona also auch erfahren, dass seine Seele bei ihm verzagt gewesen ist. Solche, die darüber klagen, dass ihre Seele bei ihnen verzagt, haben doch Brüder und Schwestern vor sich gehabt, welche auch diesen Streit des Leidens haben durchmachen müssen. Es ist fast nicht zum Aushalten, wenn die Seele bei einem verzagt, der des Herrn ist. In solchem Zustande wird man aller Teufel Gelächter, Hohn und Schimpf, und es ist keine Gegenrede in uns, dass man sich ihrer würde erwehren können. So ganz verlassen steht man da und bekommt von allen Seiten Faustschläge. Tausend und Millionen Verheißungen erblickt zu haben des Segens und des Lebens und keine davon erfüllt zu sehen, dies ist zu schrecklich, als dass man es würde ertragen können. Den Trauring in dem Abgrunde zu erblicken und hören zu müssen: Das ist deine Schuld, hole ihn wieder, wenn du kannst – solches möchte einen beinahe zur Verzweiflung führen! Den Segen von Gott zu haben, und allerwärts nur den Fluch zu vernehmen als wäre man ein Judas, das Leben auf ewig zu haben und bei alle dem sich wieder zu finden wie Petrus, da er den Herrn verleugnet hatte und nicht wusste, ob er Ihn je wieder sehen würde – dieses erweckt eine namenlose Angst! Die Ehre Gottes zu kennen und dazustehen vor allen Teufeln, an den Schandpfahl gebunden, geschunden auf einem Felde zu liegen voll von Leichnamen – ist fast um zu vergehen!
Der Gang Gottes mit seinen Erwählten ist aber durch tiefe Wasser, und seine Fußstapfen werden nicht gesehen als hinten nach. Starr und schweigend steht man bei dem Sarg, worin man alle seine Erwartungen hineingeworfen sieht, und alle Verheißungen Gottes scheinen ‚nein’ zu sein, statt ja und Amen. Auch diese und jenes trifft uns noch, als wäre Gott selbst darauf aus, uns zu vernichten. Da steht man, alles was in der Hand, es ist zerbrochen, ist tot, alles ist abgeschnitten. Millionen Gedanken aus dem Abgrund und feurige Pfeile des Bösen fliegen durch das Gemüt. Mitleiden findet man nicht. Es gibt Schlag auf Schlag. Man fühlt eine ewige Not, und wird man nicht augenblicklich Odem haben, so ist es um einen geschehen! Die Seele verschwindet und verschmachtet und wird wie von einer Macht überdeckt mit Angst, Beklemmung, Sorge und Kümmernis! Alle Lebensorgane sind wie zusammengeballt und zusammengekniffen, und man sieht sich allein mit der Leiche seiner ewigen Habe auf einer Sandbank, ringsum drohen alle Wellen mit dem Tode. Niemand wird unserer Not gewahr und wir erblicken keine Rettung.
In solchem Verzagen der Seele – was geschieht bei den Erwählten Gottes? Fallen sie der Verzweiflung ganz anheim? Werden sie den Teufeln preisgegeben, der Not, der Sünde, der Hölle zur Beute überlassen? Mit nichten! So bezeugt der Prophet Jona: Da meine Seele bei mir verzagte, gedachte ich an den Herrn. Bei allen, in deren Seele es aufrichtig zugeht, kann solches nicht ausbleiben. Eben dann wenn die Not hoch kommt, eben dann wenn es in die Tiefe der Tiefen geht bis zum Versinken, ist ein Gedenken des Herrn, wie nie zuvor! Freilich gestaltet sich dieses an den Herrn gedenken so, dass es in der Seele heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, warum verstößt du mich, warum muss ich in Trauer gehen, warum verbirgst du dein Angesicht vor mir? – Aber eben bei allem Klagen, Girren und Wimmern kann man des Herrn nicht vergessen. Es wird bei allen Erwählten erfüllt, was der Herr verheißen hat: Der Tröster, den ich euch senden werde von dem Vater, wird euch alles dessen erinnern, was ich euch gesagt habe! Der heilige Geist ist beschäftigt in der Seele, wie sie sich auch von dem Herrn verlassen und ohne allen Trost befinde, um so mehr alle die guten Worte und lieblichen, tröstlichen Verheißungen von Leben und Segen bei ihr in Erinnerung zu bringen. Der Teufel sucht zwar solche Verheißungen vor der Seele lächerlich zu machen, aber der heilige Geist bewirkt es, dass die Seele um so mehr über solchen Verheißungen ringt, dass sie dennoch wahr werden mögen, und der Herr von neuem mit ihr vom Leben und Segen rede. Daher entsteht dann das Gebet, wie der Prophet bezeugt: Und mein Gebet kam zu dir in den Tempel deiner Heiligkeit. Von solchem Gebet, welches eben in der Not und Anfechtung ohne Unterlass geschieht, schreibt der Apostel ganz tröstlich in Römer 8.26. Dieses Gebet geschieht selbst dann, wenn wir nicht wissen ob wir beten, auch nicht wissen was wir beten sollen, auch wenn alles in uns spricht: Höre auf, lass ab, Gott hört die Sünder nicht, Gott hört dein Gebet nicht, Er macht mit dir ein Ende. – Aber das Wort des Herrn Jesu ist mächtiger als alle Not des Leibes und der Seele! Seine Verheißungen von Segen und Leben, Seine Liebe hat Er in unser Herz geworfen, darum kann das Gebet der Erwählten nicht ausgelöscht werden! Obschon alles ‚nein’ schreit, obschon sie sich in der Hölle gebettet fühlen, so bleibt es dennoch dabei: Aus der tiefen Grube rufe ich zu dir, höre das Blöken deines Schafes, o du großer Menschenhüter. Und ein Allmächtiger ist in diesem Gebet, der heilige Geist, der weiß wohl wie das Herz eines zürnenden Vaters wieder zu gewinnen, wie die Gnade, wie Segen und Leben von dem Throne zu erbeuten ist. Darum heißt es: Mein Gebet kam, ja es kam, wie auch von allen Mächten des Abgrunds, wie auch von meinem eigenen ungläubigen Herzen niedergehalten, es kam, es drang durch, wo hinein? – Es kam zu dir in den Tempel deiner Heiligkeit! Durch den heiligen Geist kommt das Gebet zu dem Vater aller Gnaden; in diesem Gebet wird der Elende geworfen zu seinen Füßen. In dem Tempel der Heiligkeit Gottes ist Heiligung und Reinigung für den Unreinen, Hilfe für den Verlorenen, Ehre für den Geschändeten, Herrlichkeit für den Zertretenen. Und wer da liegt in der Tiefe, erfährt es, dass sein Gebet nicht vergebens war zu dem Gott seines Lebens. Aus dem Hause der Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes eilt der Vater selbst dem verlorenen Kinde entgegen, von dem Gnadenstuhl kommt Begnadigung und allerlei Hilfe, und die Seele ist genesen von ihrer Not. Die Heiligkeit, die Herrlichkeit, die Ehre, welche ihr verheißen wurde, nach welcher sie gedürstet, hat sie bekommen mitten in ihrer Verlorenheit, und sie ist zufrieden gemacht von dem allmächtigen Gotte und großen Erbarmer.
Das ist es, was Jona bezeugt, wenn er sagt: Mein Gebet kam zu dir in den Tempel deiner Heiligkeit. Und wer solches erfahren hat, der kann es nicht lassen, dass er nicht, gleich als wäre es noch in demselben Atem, hinzusetze: Die da halten über dem Nichtigen, verlassen ihre Gnade.