RÖMER

Römer Kapitel 9 Teil II

Römer 9.6-9

Aber nicht sage ich solches, als ob Gottes Wort darum aus sei. Denn es sind nicht alle Israeliter, die von Israel sind; auch nicht alle, die Abrahams Same sind, sind darum auch Kinder. Sondern „in Isaak soll dir der Same genannt sein“, das ist: nicht sind das Gottes Kinder, die nach dem Fleisch Kinder sind; sondern die Kinder der Verheißung werden für Samen gerechnet. Denn dies ist ein Wort der Verheißung, da er spricht: „Um diese Zeit will ich kommen, und Sara soll einen Sohn haben.“

 

Aber nicht sage ich solches, als ob Gottes Wort darum aus sei. – Aus der Tatsache, dass Paulus das Geschick und den Abfall seines Volkes zu beklagen hatte, scheint sich die entsetzliche Folgerung zu ergeben, dass der Bund, welchen Gott mit Abrahams Samen geschlossen, dahin gefallen sei. Denn wenn Gottes Gnade von dem Volke ließ, war ja der Bund zerbrochen. Diesem entsetzlichen Gedanken kommt Paulus nun zuvor und zeigt, wie trotz aller Blindheit der Juden Gottes Gnade in diesem Volke doch fortwährend eine Stätte behalten und so der Bund in seiner Wahrheit erhalten geblieben sei.

Denn es sind nicht alle Israeliter, die von Israel sind; auch nicht alle, die Abrahams Same sind, sind darum auch Kinder. – Der Satz will besagen, dass die Verheißung dem Abraham und seinem Samen gar nicht in dem Sinne gegeben sei, dass die Erbschaft sich auf jeden einzelnen unter seinen Nachkommen bezöge. Vielmehr hindert der Abfall einiger Leute gar nicht, dass der Bund seine volle und sichere Geltung behauptet. Um aber richtig zu fassen, mit welchen Bedingungen und Verheißungen Gott die Nachkommenschaft Abrahams als Sein Eigentumsvolk angenommen hat, müssen wir eine doppelte Betrachtung anstellen. Die eine Seite der Sache ist, dass die dem Abraham gegebene Verheißung sich auf alle seine leiblichen Nachkommen bezieht; denn sie wird allen ohne Ausnahme angeboten. In diesem Sinne heißen sie alle Erben und Nachkommen des mit Abraham geschlossenen Bundes oder, wie die Schrift sagt, Kinder der Verheißung (Vers 8). Denn da es Gottes Befehl war, dass Ismael und Esau ganz ebenso wie Isaak und Jakob das Zeichen und Siegel des Bundes empfangen sollten, so ersieht man daraus, dass sie ihm gegenüber nicht gänzlich fremd sein sollten. Man müsste denn diese Beschneidung, die ihnen nach Gottes Ordnung zuteil ward, rein für nichts achten, was doch aber eine Lästerung Gottes wäre. Das war es auch, was der Apostel meinte, wenn er von Israel trotz seines Unglaubens sagte (Vers 5): „Welchem gehört der Bund.“ Und Petrus (Apostelgeschichte 3.25) nennt die Juden „des Bundes Kinder“, weil sie Nachkommen der Propheten sind. Die andere Seite der Sache ist die: Als Kinder der Verheißung im eigentlichen Sinne gelten nur diejenigen, bei denen irgendeine Kraft und Wirkung davon offenbar wird. Unter diesem Gesichtspunkte sagt Paulus hier, dass nicht alle Kinder Abrahams auch Kinder Gottes seien, obgleich doch Gott mit ihnen einen Bund gemacht hatte. Denn nur wenige standen im Glauben dieses Testamentes. In Summa: Wo das ganze Volk ein Erbteil und Eigentum Gottes genannt wird, ist die Meinung, Gott habe es insofern in Seine Gemeinschaft aufgenommen, als Er ihm die Verheißung des Heils anbot und mit dem Zeichen der Beschneidung versiegelte. Weil nun aber viele in ihrer Undankbarkeit diese Annahme zur Gotteskindschaft verschmähen, also tatsächlich nie in einen persönlichen Besitz dieser Gabe gelangen, so geht hinsichtlich der wirklichen Erfüllung der Verheißung mitten durch Israel eine Spaltung. Will sich jemand darüber wundern, dass man bei den meisten Juden nichts von dieser eigentlichen Erfüllung sieht, so sagt Paulus: Diese waren eben nicht in Gottes wahrer Erwählung begriffen. Mit andern Worten: Die allgemeine Erwählung des jüdischen Volkes hindert nicht, dass Gottes verborgener Ratschluss in diesem Kreise noch eine besondere Auswahl trifft, wie Er will. Es ist schon eine herrliche Offenbarung freier Gnade, wenn Gott sich herablässt, mit einem ganzen Volke einen Bund des Lebens zu schließen, aber noch viel größer ist die Gnade in dieser tieferen und verborgenen Stufe einer zweiten Erwählung, die sich auf einen engeren Kreis beschränkt.

Sondern „in Isaak soll dir der Same genannt sein“. – Paulus verweilt noch bei dem Gedanken, dass die verborgene Erwählung Gottes höher steht als die äußere Berufung, dass sie aber mit ihr nicht streitet, sondern vielmehr dazu dient, sie zu bestätigen und zu vollenden. Um beides der Reihe nach zu beweisen, nimmt er zuerst den Gedanken auf, dass es keineswegs in der Meinung des Bundes gelegen habe, Gottes Erwählung mechanisch an Abrahams leibliche Nachkommenschaft zu binden. Zum Beweise dient ein ganz besonders passendes Beispiel: Denn wenn es überhaupt eine echte, in den Bund einbegriffene Nachkommenschaft geben sollte, so musste dies doch wohl vor allem bei der ersten Generation zutreffen. Und nun sehen wir, dass gerade unter den eigenen Kindern Abrahams, zu des Erzvaters Lebzeiten, da die Verheißung noch ganz neu und frisch war, eines von der wahren Nachkommenschaft ausgeschlossen wird! Wie viel mehr kann solches bei späteren Geschlechtern vorkommen! Der beigebrachte Spruch stammt aus 1. Mose 17.19-20 (für die wörtliche Form vergleiche 21.12), wo Gott dem Abraham die Antwort gibt, dass sein Gebet um Ismael erhört sei, dass aber ein anderer Sohn es sein werde, auf welchem der verheißene Segen ruhen solle. Daraus folgt, dass durch eine besondere Gnade bestimmte Menschen aus dem erwählten Volke erwählt werden, in welchen die allgemeine Annahme zur Kindschaft erst wirksam und vollgültig wird.

Das ist: nicht sind das Gottes Kinder, die nach dem Fleisch Kinder sind; sondern die Kinder der Verheißung werden für Samen gerechnet. – Jetzt zieht Paulus aus dem Worte der Schrift die abschließende Folgerung: Wenn in Isaak, nicht in Ismael, der Same genannt wird, und der letzte doch nicht minder Abrahams Sohn ist als der erstere, so darf man nicht alle leiblichen Kinder als solche zu dem echten „Samen“ rechnen, sondern die Verheißung erfüllt sich in besonderer Weise an bestimmten Menschen und zielt nicht unterschiedslos auf alle. Nach dem Fleisch Kinder sind diejenigen, die außer der fleischlichen Herkunft nichts Besseres aufzuweisen haben, Kinder der Verheißung, die der Herr in besonderer Weise bezeichnet hat.

Denn dies ist ein Wort der Verheißung, da er spricht: „Um diese Zeit will ich kommen, und Sara soll einen Sohn haben.“ – Der Apostel zieht noch ein zweites Schriftwort bei, dessen Anwendung ein treffliches Zeugnis dafür bietet, mit welcher Genauigkeit und Geschicklichkeit Paulus die Schrift behandelt. Er will sagen: Da der Herr noch in die Zukunft deutet, dass Er kommen will und Abraham einen Sohn von der Sara haben soll, so gibt Er zu verstehen, dass der Segen noch nicht vorhanden sei, sondern noch ausstehe. Nun war aber, als dies Wort gesprochen ward, Ismael schon geboren, also war Ismael nicht der Träger des Segens Gottes. Nebenher wollen wir auch anmerken, wie vorsichtig der Gedanke des Apostels fortschreitet, um die Juden nicht zu erbittern. Zuerst wird einfach der Tatbestand mitgeteilt, der Grund desselben bleibt noch unberührt. Erst später wird diese Quelle eröffnet werden.