Römer 4.19-22
Und er ward nicht schwach im Glauben, sah auch nicht an seinen eigenen Leib, welcher schon erstorben war (weil er fast hundertjährig war), auch nicht den erstorbenen Leib der Sara; denn er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern ward stark im Glauben und gab Gott die Ehre und wusste aufs allergewisseste, dass, was Gott verheißt, das kann er auch tun. Darum ist´ s ihm auch zur Gerechtigkeit gerechnet.
Und er ward nicht schwach im Glauben, sah auch nicht an seinen eigenen Leib, welcher schon erstorben war (weil er fast hundertjährig war), auch nicht den erstorbenen Leib der Sara. – Man könnte auch mit einer einzigen Negation übersetzen: Und er sah nicht, schwach im Glauben, seinen eigenen Leib an. Doch das trägt für den Sinn wenig aus. In jedem Fall zeigt der Apostel hier genauer, was dem Abraham den Glauben an die Verheißung erschweren, ja völlig unmöglich machen konnte. Es wurde ihm Nachkommenschaft von der Sara verheißen; und doch schien es weder seiner Natur nach gegeben, zu zeugen, noch der Sara, zu empfangen. Was er nur in und um sich zu sehen vermochte, sprach gegen die Verheißung. Um aber der göttlichen Wahrheit Raum zu geben, lenkte er seine Seele von allem ab, was vor Augen lag, und vergaß gewissermaßen sich selbst. Freilich muss man nicht denken, dass er seinen entkräfteten Leib überhaupt nicht angesehen habe. Vielmehr bezeugt die Schrift das Gegenteil, dass nämlich Abraham bei sich gedacht habe (1. Mose 17.17): „Soll mir, hundert Jahre alt, ein Kind geboren werden, und Sara, neunzig Jahre alt, gebären?“ Aber weil er solche Fragen beiseiteschob und seinen ganzen Sinn von den eigenen Gedanken hinweg auf Gott richtete, darum kann der Apostel sagen: „Er sah nicht an.“ Und ohne Zweifel war Abrahams Glaubenszuversicht kräftiger, da sie Dinge niederschlagen musste, die sich förmlich aufdrängten, als wenn ihm dergleichen gar nicht in den Sinn gekommen wäre.
Wenn es heißt: „Er ward nicht schwach im Glauben“, so besagt dies, er sei nichts ins Wanken und Schwanken gekommen, wie dies in zweifelhafter Lage zu geschehen pflegt. Denn es gibt eine doppelte Schwachheit des Glaubens. Die eine lässt uns in widrigen Versuchungen erliegen und aus der Kraft Gottes fallen. Die andere, welche freilich unserer Unvollkommenheit entspringt, tötet doch den Glauben selbst nicht. Denn allerdings sind unsere Gedanken nie so erleuchtet, dass nicht viel Unwissenheit noch bliebe, noch unser Gemüt so gefestigt, dass nicht noch viele Zweifel auftauchten. Gegen solche Fehler des Fleisches, Unwissenheit und Zweifel, ist den Gläubigen ein Kampf verordnet, in welchem der Glaube oft schwere Angriffe leiden muss: aber endlich gewinnt er den Sieg. So sind die Gläubigen in aller ihrer Schwachheit stark.
Er zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben. – Ganz genau übersetzt: Er kämpfte nicht wider Gottes Verheißung mit zweifelndem Unglauben. Der Apostel will sagen: Abraham prüfte und erwog nicht ungläubigen Sinnes, ob Gott wohl leisten könne, was er versprach. Etwas ungläubig bis auf den Grund untersuchen und es durchaus nur zulassen wollen, wenn gar keine Bedenken sich mehr erheben, das heißt mit Zweifeln dagegen ankämpfen. Freilich hat Abraham gefragt, wie solches möglich sei. Aber das war eine Frage der Verwunderung, wie sie auch die Jungfrau Maria bei ihrer Heimsuchung gegen den Engel tat (Lukas 1.34): „Wie soll das zugehen?“ Wenn die Heiligen Botschaft von Werken Gottes empfangen, deren Größe ihr Begreifen übersteigt, so bricht zwar die Verwunderung aus, aber diese Verwunderung steigt alsbald zum Anschauen der Kraft Gottes auf. Die Ungläubigen aber führt ihr Forschen zu Spott und Verachtung. So war es bei den Juden mit ihrer Frage (Johannes 6.52): „Wie kann dieser uns sein Fleisch zu essen geben?“ Es kommt alles auf den Ton solcher Frage an: Abraham erfuhr keinen Tadel, als er lachte und die Frage tat, wie einem hundertjährigen Manne und einer neunzigjährigen Frau ein Sohn sollte geboren werden (1. Mose 17.17). Denn mitten in seinem Staunen gab er der Macht des Wortes Gottes Raum. Wenn aber Sara lacht und fragt (1. Mose 18.12), wird sie getadelt, weil sie der Zusage Gottes spottete und sie für nichtig hielt. – Diese Erinnerung an Abrahams Glauben zeigt, dass er denselben Weg zur Rechtfertigung ging, wie er jetzt den Heiden eröffnet ist. Die Juden schmähen also ihren eigenen Stammvater, wenn sie die Berufung der Heiden als töricht ausschreien. Auch wir wollen bedenken, dass wir uns ganz in Abrahams Lage befinden. Alles ringsherum widerstreitet der Verheißung Gottes. Es wird Unsterblichkeit zugesagt; wir aber stecken in der Sterblichkeit und Verderben. Gott will uns für gerecht ansehen; aber wir sind mit Sünden bedeckt. Er bezeugt, dass Er uns günstig und wohlgesinnt sein wolle; aber unsere innere Stimme droht vielmehr mit Seinem Zorn. Was sollen wir nun tun? Nichts, als an uns und allem, was wir sind, mit geschlossenen Augen vorübergehen und uns nicht stören und hindern lassen, Gott für wahrhaftig zu halten.
Sondern ward stark im Glauben. – Dies ist der Gegensatz zu der soeben gehörten Aussage: „Er ward nicht schwach im Glauben.“ Denn mit der Kraft und Gewissheit des Glaubens kämpfte er den Unglauben nieder. Und niemand wird diesen Kampf siegreich zu Ende führen, wenn er nicht aus Gottes Wort Waffen und Kraft entlehnt. Wenn es weiter heißt: Und gab Gott die Ehre – so wollen wir daraus entnehmen, dass man Gott keine größere Ehre antun kann, als wenn man im Glauben das Siegel unter Seine Wahrheit drückt. Und wiederum kann man Ihm keine größere Schande anhängen, als wenn man Seine Gnade verachtet und Seinem Worte die Glaubwürdigkeit abspricht. Das erste Stück rechter Verehrung Gottes ist gehorsame Annahme Seiner Verheißungen, und die wahre Frömmigkeit bewegt sich im Glauben.
Was Gott verheißt, das kann er auch tun. – Weil jeder Mensch an Gottes Allmacht zu glauben behauptet, so scheint Paulus hier über Abrahams Glauben gar nichts Besonderes zu sagen. Und doch zeigt die Erfahrung, wie nichts seltener und schwerer ist, als dass ein Mensch der Kraft Gottes die gebührende Ehre gebe. Denn kein Hindernis ist so winzig und gering; und das Fleisch glaubt schon, dass Gott die Hand von Seinem Werke lassen müsse. So zerfließen uns bei dem geringsten Anstoß Gottes Verheißungen in nichts. Theoretisch bestreitet niemand, dass Gott tun kann, was Er will; aber sobald irgendeine Kleinigkeit den Verheißungen Gottes in den Weg zu treten scheint, stürzen wir Gottes Kraft vom Thron. Damit wir nun dem Herrn im entscheidenden Augenblick Sein Recht und Seine Ehre lassen, müssen wir uns gegenwärtig halten, dass Er stark ist, allen Widerspruch der Welt zu überwinden, wie die Sonne den Nebel zerstreut. Wir entschuldigen uns in der Regel damit, dass ja unsere Zweifelsgedanken nicht absichtlich Gott die Ehre nehmen und etwa freventlich anhängen wollen, dass Sein Wort mehr verspricht, als Er leisten kann und will, sondern wir seien nur schwach. Aber wir sollen der Kraft Gottes auch kühnlich zutrauen, dass sie unsere Schwachheit überwinden kann. Der Glaube soll nicht auf seine Kraftlosigkeit, Elend und Mangel schauen, sondern auf Gottes Kraft allein. Wollte er sich auf unsere Gerechtigkeit und Würdigkeit stützen, so würde er niemals zur Betrachtung von Gottes Macht aufsteigen. Das ist aber die eigentliche Art des Unglaubens, dass er Gottes Vermögen nach unserm eigenen Maße misst. Der wahre Glaube aber hegt nicht bloß den leeren Gedanken „Gott kann tun, was Er will“ – aber vielleicht sitzt er müßig im Winkel. Er schaut Gottes Kraft in stetigem Wirken und sieht sie am Werke, Sein Wort zu vollführen, dass Seine Hand tue, was der Mund versprochen hat.
Darum ist´ s ihm auch zur Gerechtigkeit gerechnet. – Hier sieht man deutlich, warum und wie Abrahams Glaube die Gerechtigkeit erlangt hat: Weil er, auf Gottes Wort gestützt, die verheißene Gnade nicht zurückstieß. Diesen Zusammenhang des Glaubens mit dem Worte müssen wir wohl beachten und fest im Gedächtnis halten. Denn der Glaube kann uns nicht mehr geben, als er aus dem Worte nimmt. Deshalb wird nicht ohne weiteres gerecht sein, wer lediglich auf Grund einer allgemeinen und ungefähren Kenntnis Gott für wahrhaftig hält, sondern nur wer auf die Verheißung der Gnade sich gründet.