RÖMER

Römer Kapitel 14 Teil IV

Römer 14.10-13

Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder, du anderer, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Christi dargestellt werden; denn es steht geschrieben: „So wahr als ich lebe, spricht der Herr, mir sollen alle Kniee gebeugt werden, und alle Zungen sollen Gott bekennen.“ So wird nun ein jeglicher für sich selbst Gott Rechenschaft geben. Darum lasset uns nicht mehr einer den andern richten; sondern das richtet vielmehr, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis darstelle.

 

Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder, du anderer, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden alle vor den Richterstuhl Christi dargestellt werden. – Gehört unser aller Leben und Tod dem Herrn Christus, so steht in dessen Hand auch das Gericht, welches Ihm der Vater samt der Herrschaft über Himmel und Erde übertragen hat. Darum ist es eine unerlaubte Anmaßung, wenn jemand einem Bruder das Urteil sprechen will. Damit fällt er dem Herrn Christus in das Amt, welches Ihm der Vater verliehen hat. Schon der bloße Name „Bruder“, welchen Paulus gebraucht, sollte uns die Lust zu richten austreiben. Hat uns Gott als Brüder nebeneinander gestellt, so darf niemand sich über den andern erheben. Wer die Stelle des Richters sich anmaßt, begeht ein schweres Unrecht. Vielmehr stellt uns der Apostel vor Gottes Gericht. Ihm wird niemand Seine Macht entwinden, und Seinem Spruch wird keiner entfliehen. Ein Christ, der die Freiheit des Gewissens seines Bruders vor sein persönliches Gericht ziehen will, handelt ebenso unsinnig, wie in irdischen Verhältnissen ein Angeklagter, der von der Anklagebank auf den Stuhl des Richters steigen wollte (vergleiche auch Jakobus 4.11).

Denn es steht geschrieben (Jes. 45, 23): „So wahr als ich lebe, spricht der Herr, mir sollen alle Kniee gebeugt werden, und alle Zungen sollen Gott bekennen.“ – Diesen Prophetenspruch bringt der Apostel schwerlich bei, um zu beweisen, dass Christus die Welt richten werde. Dies stand unter allen Christen ohnedies fest. Vielmehr soll der Spruch, worauf auch sein Wortlaut deutet, uns daran erinnern, dass man jenem Gerichte mit tiefster Demut und Beugung entgegen gehen muss: Es sollen alle Knie gebeugt werden. Allerdings zielt der ursprüngliche Sinn des Spruches nicht ohne weiteres auf das letzte Gericht, sondern im Allgemeinen darauf, dass Gottes herrliche Majestät, die zu den Zeiten des Propheten gewissermaßen in einen Winkel der Erde gebannt war, alle Völker überstrahlen sollte. Eine genauere Erwägung zeigt indessen, dass diese Weissagung auf Erden nie derartig erfüllt wird, dass die Hoffnung sich nicht noch auf eine spätere Zeit richten müsste. Jetzt herrscht der Herr in der Welt nur durch das Evangelium, und Seiner Majestät gibt man nur dort die Ehre, wo der Glaube sie aus dem Worte erkennt. Gottes Wort hat aber auch seine heftigen Widersacher und Verächter. So ist es jetzt, und so wird es in alle Zukunft sein. So sehen wir, dass die Weissagung gegenwärtig erst im Anfange der Erfüllung steht. Völlig erfüllt wird sie erst am Tage der Auferstehung werden, wenn alle Feinde Christi zum Schemel Seiner Füße gegeben sind. Damit dies geschehe, muss aber der Herr Sein Gericht vollziehen: Mit Recht deutet also der Apostel unsern Spruch auf dieses Gericht. Die Stelle ist übrigens auch für unsern Glauben an Christi ewige Gottheit bedeutsam. In dem Prophetenspruch redet ja Gott, und zwar der Gott, der verkündet hat, dass Er Seine Ehre keinem andern gibt (Jesaja 42.8 & 48.11). Wird nun aber in Christus erfüllt, was Gott in diesem Spruch von Sich selbst aussagt, so wird ja klar, dass Gott in Christus erschienen ist. In der Tat ist die Weissagung damals zur Wahrheit geworden, als Christus vom ganzen Erdkreis Sein Volk zu sammeln begann und zur Anbetung Seines Namens wie zum Gehorsam gegen das Evangelium brachte. Darauf zielt Paulus (Philipper 2.10), wenn er sagt: Gott hat Christus einen Namen gegeben, in welchem aller Kniee sich beugen sollen. Völlig erscheinen wird dies aber erst, wenn Christus kommt, zu richten die Lebendigen und die Toten, wie Ihm denn der Vater alles Gericht im Himmel wie auf Erden verliehen hat. – Übrigens weicht der Wortlaut des Paulus ein wenig von dem Prophetenspruch ab. Dort heißt es: Mir sollen alle Zungen schwören. Paulus dagegen schreibt: Alle Zungen sollen Gott bekennen. Sachlich bedeutet dies keinen Unterschied, da ja das Schwören bei Gottes Namen nur eine besondere Form ist, Ihn zu bekennen. Der Apostel will einfach sagen, dass alle Menschen nicht bloß Gottes Namen anerkennen, sondern auch in Gehorsam bekennen werden, mit dem Munde und mit körperlicher Gebärde. Auf dies letztere deutet alle Kniee sollen gebeugt werden.

So wird nun ein jeglicher für sich selbst Gott Rechenschaft geben. Darum lasset uns nicht mehr einer den andern richten; sondern das richtet vielmehr, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis darstelle. – Dieser Schluss ruft uns zur Demut und Unterwürfigkeit zurück. Eben damit gibt Paulus zu verstehen, dass wir einander nicht richten sollen (Vers 13). Denn wie sollten wir uns die Stelle eines Richters anmaßen dürfen, die wir doch selbst unweigerlich im Gericht werden Rede stehen müssen! Der Doppelsinn des Wortes „richten“ gibt dabei Anlass zu einem feinen Wortspiel. Heißt es zuerst, dass keiner den andern „richten“, das heißt verdammen soll, so folgt des Weiteren die Wendung, dass wir vielmehr alle unser „Richten“ (unsere Urteilskraft) darauf lenken sollen, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis darstelle. Darin steckt ein heftiger Tadel gegen jene Sittenrichter, die ihren ganzen Scharfsinn darauf richten, im Leben der Brüder irgendetwas zu finden, das sich zum Zerpflücken eignet. Ganz im Gegenteil sollte man sich davor mit allem Ernst zu hüten suchen; denn unser wegwerfendes Urteil wird nur zu oft dem Bruder Anstoß und Anlass, auch selbst sich zur Sünde hinreißen lassen.