RÖMER

Römer Kapitel 14 Teil II

Römer 14.5-6

Einer hält einen Tag vor dem andern; der andere aber hält alle Tage gleich. Ein jeglicher sei in seiner Meinung gewiss. Welcher auf die Tage hält, der tut´ s dem Herrn; und welcher nichts darauf hält, der tut´ s dem Herrn. Welcher isst, der isst dem Herrn, denn er dankt Gott; welcher nicht isst, der isst dem Herrn nicht und dankt Gott.

 

Einer hält einen Tag vor dem andern; der andere aber hält alle Tage gleich. Ein jeglicher sei in seiner Meinung gewiss. – Was soeben von einer religiösen Scheu in der Auswahl der Speisen die Rede, so folgt nunmehr ein gleichartiges Beispiel von der Tagewählerei. Beide Stücke stammten aus dem Judentum. Macht Gottes Gesetz einen Unterschied zwischen reinen und unreinen Speisen und verbietet den Genuss der letzteren, bezeichnete das Gesetz besondere Festtage und schärfte deren Feier ein, so waren den Juden solche Lehren von Jugend auf in Fleisch und Blut übergegangen, und sie konnten die religiöse Ehrfurcht vor besonderen Feiertagen, die ihnen geläufig war und an welche sie sich lebenslang gewöhnt hatten, nicht abschütteln; sie wagten nicht, Speisen anzurühren, vor denen sie nun einmal einen Abscheu besaßen. Dass sie an solche Meinungen sich klammerten, war ein Zeichen von Schwachheit, denn wenn sie die Bedeutung der christlichen Freiheit fest und klar ergriffen hätten, hätten sie anders denken müssen. Dass sie aber sich von Dingen enthielten, die ihnen unerlaubt dünkten, war ein Zeichen von frommer Gewissenhaftigkeit, denn nur freche und gegen die Wahrheit gleichgültige Menschen können etwas wider das Gewissen tun. Der Apostel verfährt also nur mit der durchaus nötigen Besonnenheit, wenn er die Anweisung gibt: Ein jeglicher sei in seiner Meinung gewiss. Ein Christ, der wahren Eifer und Gehorsam beweisen will, darf ja unter keinen Umständen etwas tun, wovon er nicht glaubt oder vielmehr gewiss ist, dass es Gott gefällt. Als oberste Lebensregel hat unbedingt zu gelten, dass wir Menschen von Gottes Wink abhängen und keinen Finger regen dürfen, solange die Seele noch in Zweifel und Unruhe steht. Denn der Vorwitz, der auch nur einen Schritt weiter zu gehen wagt, als er fühlt, dass ihm erlaubt ist, wird sich alsbald zu frecher Auflehnung auswachsen. Sollte demgegenüber jemand sagen, dass der Irrtum stets eine gewisse Verworrenheit an sich trage und deshalb in schwachen Gemütern nie die von Paulus geforderte Sicherheit erzeugen könne, so diene zur Antwort: Für solche Fälle liegt Gottes Verzeihung bereit, wenn die Schwachen sich nur innerhalb ihres beschränkten Kreises halten. Paulus will die maßlose „Freiheit“ hintanhalten, in welcher nur zu viele Christen sich aufs Geratewohl und ohne Überlegung in zweifelhafte Dinge stürzen. Der Apostel fordert ein solches Besinnen, welches über alle unsere Taten den Willen Gottes entscheiden lässt.

Welcher auf die Tage hält, der tut´ s dem Herrn. – Da Paulus keinen Zweifel darüber lässt, dass die Tagewählerei aus mangelhafter Erkenntnis Christi entspringt, so kann er unmöglich solchen Irrtum rückhaltlos verteidigen wollen. Immerhin klingen seine Worte so, als täte der Tagewähler kein Unrecht. Denn dem Herrn kann doch nur gefallen, was gut und recht ist. Um den Sinn des Apostels richtig zu verstehen, gilt es also zu scheiden zwischen der Meinung, die jemand fasst, als müsse er gewisse Tage beobachten, und zwischen der Beobachtung selbst, an welche er sich bindet. Die Meinung ist abergläubisch; dies bestreitet Paulus nicht, denn er verurteilt sie als Ausfluss der Schwachheit (Vers 1) und wird sie alsbald noch deutlicher verurteilen (Römer 14.20 & 15.1). Dass aber ein Mensch, der nun einmal in solchem Aberglauben gefangen ist, die Heiligkeit seines heiligen Tages nicht zu verletzen, also nichts mit zweifelndem Gewissen zu unternehmen wagt, gefällt dem Herrn. Denn was soll ein Jude tun, der innerlich noch nicht so weit vorgeschritten ist, dass er von dem Glauben an die besondere Heiligkeit bestimmter Tage los wäre? Er hat ein Wort des Herrn, welches ihm befiehlt, Feiertage zu halten. Das Gesetz zwingt ihn dazu; dass es überwunden ist, ist ihm noch nicht klar. Er kann also nichts tun, als eine völligere Offenbarung abwarten und sich bis dahin in den Schranken dessen halten, was er versteht. Die Wohltat der Freiheit darf er nicht früher genießen als sie sein Glaube wirklich ergriffen hat. Das gleiche Urteil gilt auch, wenn jemand unreine Speisen nicht anzurühren wagt. Würde er in seiner inneren Unsicherheit sich zum Essen entschließen, so hieße dies nicht eine Wohltat aus Gottes Händen nehmen, sondern nach verbotenen Dingen die Hand ausstrecken. Andere Dinge mag er sich erlauben, die er für erlaubt hält; er soll dabei dem Maß seiner Einsicht folgen. So wird er dem Herrn Dank sagen, was er nicht könnte, wenn er nicht überzeugt wäre, eine Wohltat Gottes empfangen zu haben. Also soll man ihn nicht verachten, als wäre seine Zurückhaltung und fromme Scheu eine Beleidigung für Gott. Besonders beachtenswert erscheint, dass der Apostel zweimal sagt: Er dankt Gott. Wer dies vermag, dessen Tun ist ein Gottesdienst, mag er nun essen oder sich enthalten. Wo man aber dem Herrn nicht Dank sagt, da ist jeder Genuss unrein, und wenn man sich den Genuss versagt, so ist´ s auch unrein. Allein Gottes Name macht alle unsere Sachen heilig, wenn wir Ihn anrufen.