Römer 13.8-10
Seid niemand nichts schuldig, als dass ihr euch untereinander liebet; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn was da gesagt ist: „Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; dich soll nichts gelüsten“; und so ein anderes Gebot mehr ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
Seid niemand nichts schuldig, als dass ihr euch untereinander liebet. – Die zuvor gegebene Vorschrift bezüglich der Gewalt der Obrigkeit bringt nun Paulus in den Zusammenhang mit dem Gesetz der Liebe und verleiht ihr damit erst die entscheidende Stütze. Er will sagen: Wenn ich verlange, dass ihr den Herrschern gehorchen sollt, so fordere ich nur, was vermöge des Gesetzes der Liebe jeder Gläubige zu leisten schuldig ist. Denn wenn ihr den Guten eine Wohltat erweisen wollt (und dies nicht zu wollen wäre ja unmenschlich), so müsst ihr mithelfen, dass Gesetz und Recht Bestand behalten, dass die Hüter der Gesetze ein gehorsames Volk haben. Denn nur auf diese Weise wird jedermann den Frieden genießen. Wer Ungehorsam und Anarchie fördert, aus welcher doch alsbald der allgemeine Umsturz folgen muss, verletzt das Gebot der Liebe.
Denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. – Denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Paulus will alle Einzelgebote auf das Grundgebot der Liebe zurückführen. Wir sollen wissen, dass wir nur dann die Gebote in Wahrheit halten, wenn wir in der Liebe bleiben. So darf uns keine Last zu schwer werden, welche dazu dient, die Liebe zu bewahren. Dass Paulus hier sagt, der erfülle das Gesetz, der den andern liebe, das bereitete manchen Leuten eine schier unlösbare Schwierigkeit. Sie wenden ein, unter solchen Umständen werde ja die Verehrung Gottes, die man doch durchaus nicht auslassen dürfe, beiseitegeschoben. Aber Paulus denkt ja hier gar nicht an das ganze Gesetz, sondern redet von den Pflichten, die uns das Gesetz dem Nächsten gegenüber auferlegt. Und da ist es wirklich wahr: Das ganze Gesetz wird erfüllt, wenn wir unsern Nächsten lieben; denn die wahre Liebe zum Nächsten fließt ja allein aus der Liebe zu Gott und ist deren Bezeugung und Wirkung zugleich. Indessen denkt hier Paulus nur an die zweite Tafel des Gesetzes. Er will sagen: Wenn einer seinen Nächsten liebt wie sich selbst, so hat er damit gegen die ganze Welt seine Pflicht getan. Aus diesen Worten des Paulus einen Ansatzpunkt für die Werkgerechtigkeit zu machen, ist aber Phantasterei. Denn Paulus redet nicht von dem, was der Mensch tun oder lassen soll, sondern er spricht ja eine Bedingung aus, die nirgendwo erfüllt wird! Wenn wir dagegen sagen, dass der Mensch nicht durch Werke gerechtfertigt wird, so leugnen wir damit keineswegs, dass die Beobachtung des Gesetzes Gerechtigkeit ist. Aber eben diese Beobachtung des Gesetzes leistet ja kein Mensch – und deshalb sind wir alle von der Gerechtigkeit ausgeschlossen und können allein in Christus eine Zuflucht finden.
Denn was da gesagt ist: „Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; dich soll nichts gelüsten“; und so ein anderes Gebot mehr ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ – Diese ganze Aufzählung will die Gebote der zweiten Tafel weder erschöpfen noch sich gerade an dieselben binden. Denn sie schließt mit der allgemeinen Wendung: Und so ein anderes Gebot mehr ist. Trotzdem muss es verwunderlich erscheinen, dass gerade das eine Gebot fehlt, welches am meisten zur Sache zu gehören schien: Du sollst deinen Vater und deine Mutter (also auch die Obrigkeit) ehren. Vielleicht hat Paulus es eben darum ausgelassen, um den Fortschritt seines Beweisganges nicht zu stören. Gerade ein Blick auf die übrigen Gebote der zweiten Tafel soll zeigen, dass das gesamte Gesetz auf gegenseitige Übung der Liebe zielt. Den eigentlichen Schluss des Beweises muss dann ein verständiger Leser für sich ergänzen, dass also eine der wesentlichsten Aufgaben, um Frieden und brüderliche Liebe zu bewahren, der Gehorsam gegen die Obrigkeit ist.
Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. – Ein Hinweis auf das, was die Liebe leistet, zeigt nunmehr, dass sie alle andern Gebote unter sich begreift. Denn wessen Herz von Liebe erfüllt ist, dem wird es nie in den Sinn kommen, seinen Brüdern Schaden zu tun. Und worauf anders zielen alle Verbote des Gesetzes, als darauf, dass wir dem Nächsten nichts Böses zufügen sollen? Doch gilt es nun, diesen Gedanken in den gegenwärtigen Zusammenhang einzufügen. Ist die Obrigkeit die Hüterin des Friedens und des Rechtes, so wird ein Christ, der jedem das Seine gönnt und möchte, dass keinem Menschen ein Unrecht geschieht, die staatliche Ordnung aufrechterhalten helfen, soviel an ihm ist. Wer aber seiner Begehrlichkeit den Zügel schießen lassen möchte, der wird zu den Feinden der öffentlichen Ordnung zu rechnen sein.
Wenn der Apostel zum Schluss wiederholt: So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung – so müssen wir wiederum bedenken, dass dies von dem Teil des Gesetzes gilt, welcher sich mit dem Verhältnis der Menschen zueinander beschäftigt. Von der ersten Tafel des Gesetzes, welche von der Verehrung Gottes handelt, ist hier überhaupt nicht die Rede.