RÖMER

Römer Kapitel 12 Teil VI

Römer 12.17b-19

Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Fleißiget euch der Ehrbarkeit gegen jedermann. Ist es möglich, soviel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächet euch selber nicht, meine Liebsten, sondern gebet Raum dem Zorn (Gottes); denn es steht geschrieben: „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“

 

Vergeltet niemand Böses. – Eine ähnliche Vorschrift folgt wenige Verse später (Vers 19); nur ist dort ausdrücklich von Rache die Rede, hier von einer wenig milderen Art des Ausgleichs. Wir vergelten oft Böses mit Bösem, auch wenn wir uns nicht gröblich für ein erfahrenes Unrecht rächen. Wir begegnen etwa denen, die uns nicht wohlwollen, mit einer berechneten Kälte. Wir messen ab, was uns dieser und jener wert ist oder nicht. Die uns etwas geleistet haben oder von denen wir etwas für uns hoffen, lassen wir unsere Dienstwilligkeit erfahren. Hat uns aber jemand im Stich gelassen, wo wir seiner bedurften, so vergelten wir Gleiches mit Gleichem, und helfen ihm gegebenenfalls nicht mehr als er uns geholfen hat. Solche Beispiele, da man ohne offenbare Rache doch Böses mit Bösem vergilt, ließen sich noch viele anführen.

Fleißiget euch der Ehrbarkeit gegen jedermann. – Weil wir nur zu sehr auf unsern Vorteil oder die Abwehr unseres Schadens bedacht zu sein pflegen, so will Paulus unsere Fürsorge vielmehr auf einen würdigeren Gegenstand richten: Unser oberstes Anliegen soll sein, dass unser ehrbares Verhalten jedermann zur Erbauung dienen könne. Ebenso notwendig und unentbehrlich wie ein gutes Gewissen vor Gott ist auch ein guter Ruf bei den Menschen. Denn wenn Gott durch unsere guten Werke geehrt werden soll, so muss es ja Seiner Ehre schaden, wenn die Menschen an uns nichts sehen, was Lob verdient. Dabei verdunkeln wir nicht bloß Gottes Ehre; wir hängen Ihm geradezu Schaden an. Denn jede Sünde der Gläubigen ist in den Augen der Unerfahrenen ein Schandfleck für das Evangelium. Sollen wir uns nun der Ehrbarkeit gegen jedermann befleißigen, so gilt es zu fragen, zu welchem Zweck. Der Zweck ist nämlich nicht, die Augen der Menschen auf uns zu ziehen und ihre Lobsprüche zu empfangen. Die Lust danach will uns der Herr im Gegenteil austreiben (vergleiche Matthäus 6.2 & 6.5). Vielmehr sollen wir den Menschen Anlass geben, ihre Seele zu Gott zu erheben und ihn zu preisen (Matthäus 5.16). Unser Beispiel soll sie zu eifrigem Trachten nach der Gerechtigkeit erwecken. Von unserm Leben soll ein guter Geruch ausgehen, der zur Liebe und Hingabe an Gott lockt. Werden wir auch um des Namens Christi willen verlästert, so hören wir doch nicht auf, gegen jedermann Gutes zu erweisen. Dann wird eben erfüllt, was Paulus 2. Korinther 6.8 ff. ausführt.

Ist es möglich, soviel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden. – Eine ruhige Lebensführung, die uns allen Menschen angenehm macht, gehört zu den besten Gaben des Christenstandes. Wollen wir danach trachten, so bedarf es nicht bloß der höchsten Ehrbarkeit, sondern auch rechter Freundlichkeit in unserm ganzen Wandel. Sie verschafft uns nicht bloß die Gunst der billig denkenden und guten Menschen, sondern überwindet auch den Sinn der Widerstrebenden. Zwei Gefahren gilt es dabei indessen zu meiden. Zuerst dürfen wir nicht derartig nach aller Menschen Liebe haschen, dass wir auch um Christi willen unter keinen Umständen irgendeines Menschen Hass auf uns nehmen wollen. Mancher, der um seines sanften Wesens und stillen Gemütes willen allen Menschen höchst liebenswürdig erscheint, hat doch um des Evangeliums willen die bitterste Feindschaft seiner nächsten Anverwandten zu tragen. Zweitens muss unsere Gewandtheit uns nicht verleiten, zu allem und jedem ja zu sagen, denn damit würden wir um eines faulen Friedens willen nur den Fehlern der Menschen schmeicheln. Da sich also nicht unter allen Umständen der Friede mit allen Menschen aufrechterhalten lässt, deutet der Apostel mit zwei Nebensätzen auf die möglichen Ausnahmen hin: Ist es möglich, soviel an euch ist. Das aber bleibt eine Pflicht der Frömmigkeit und Liebe, dass wir unsererseits den Frieden nicht brechen, wenn uns der andere nicht dazu zwingt. So sollen wir ehrlich bestrebt sein, den Frieden zu wahren, sollen deswegen vieles ruhig dulden, sollen verzeihen und von der vollen Strenge des Rechts manches nachlassen, aber uns bereithalten, nötigenfalls den Streit scharf und mutig zu führen. Denn dass wir als Christi Streiter mit der Welt, deren Fürst der Satan ist, einen ewigen Frieden halten, wird nicht angehen.

Rächet euch selber nicht. – Die Sünde, welche der Apostel jetzt angreift, ist schwerer als die kurz zuvor behandelte (Vers 17), wie wir schon gesagt haben. Doch entspringen beide aus der gleichen Quelle, nämlich aus übertriebener Selbstliebe und dem uns angeborenen Stolz. Diese Fehler machen uns höchst nachsichtig gegen die eignen Sünden und äußerst unduldsam gegen die Sünden der andern. Da nun vermöge dieser Grundkrankheit jedem Menschen eine brennende Lust eingeboren ist, sich selbst zu rächen, so gibt der Apostel die Vorschrift, dass wir auch bei der allerschwersten Beleidigung durchaus an keine Rache denken, sondern diese dem Herrn überlassen sollen. Und weil Menschen, die einmal solche ohnmächtige Wut erfasst, sich nicht leicht einen Zügel anlegen, so legt ihnen Paulus gewissermaßen mit sanfter Anrede die Hand auf die Schulter, hält sie zurück und spricht: Meine Liebsten. Bis dahin reicht die Vorschrift, dass wir uns nicht rächen, ja nicht einmal an Rache denken sollen. Nun folgt der Grund dafür: Sondern gebet Raum dem Zorn, nämlich Gottes. Das heißt, belasst dem Herrn die Möglichkeit, zu richten; ihr nehmt sie Ihm vorweg, wenn ihr selbst zur Rache greift. Ist es ein Frevel, an Gottes Statt stehen zu wollen, so ist es auch unerlaubt, Rache zu nehmen. Denn damit fallen wir Gott in das Richteramt, welches Er sich vorbehalten hat. Dabei lässt der Apostel auch leise den Gedanken anklingen, dass Gott einerseits denen schon Genugtuung verschaffen wird, die geduldig auf Seine Hilfe harren; dass Er aber denen zu helfen keinen Raum mehr hat, welche selbst zufahren. Übrigens sei noch einmal erinnert, dass der Apostel nicht bloß unsere Hand zurückhalten, sondern auch die Lust des Herzens stillen will, sich selbst zu rächen. Es ist also auch gänzlich überflüssig, hier zwischen einer öffentlichen und einer privaten Strafe zu unterscheiden. Denn wer etwa mit böswilligem Sinne und in der Absicht, auf diese Weise eine Rache zu üben, die Hilfe der Obrigkeit anruft, handelt nicht minder verwerflich, als wenn er selbst aus Rachsucht Ränke schmieden würde. Ja selbst Gott dürfen wir nicht in jedem Falle um Rache angehen, denn käme etwa ein solches Gebet aus persönlichem Hass und nicht aus dem unverfälschtem Eifer des Heiligen Geistes, so würde es ja den Herrn weniger zum Gericht aufrufen, als vielmehr zum Diener unserer bösen Begierden machen wollen. Nur dann geben wir in rechter Weise dem Zorn Gottes Raum, wenn wir mit ruhigem Gemüte die Zeit abwarten, bis uns geholfen wird, und inzwischen bloß den einen Wunsch hegen, dass die, welche uns jetzt lästig sind, umkehren und unsere Freunde werden möchten.

Denn es steht geschrieben: „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“ – Dieser Beweisspruch stammt aus dem Liede Mose (5. Mose 32.35), wo Gott verkündigt, dass Er als Rächer an Seinen Feinden auftreten werde. Gottes Feinde aber sind, die Seine Knechte ohne Ursache angreifen. Seinen Freunden gilt (Sacharja 2.8; 5. Mose 32.10): „Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an.“ Mit diesem Troste dürfen wir zufrieden sein, denn die uns eine unverdiente Last auflegen, werden nicht ungestraft bleiben. Wir brauchen auch nicht zu fürchten, dass wir die Böswilligen etwa nur in größere Schuld und in größere Gelegenheit bringen, Böses zu tun, wenn wir geduldig nachgeben. Wir werden nur Gott, unserm einigen Helfer und Erlöser, Raum schaffen, uns zu helfen. Im Übrigen haben wir schon gesagt, dass wir auf unsere Feinde auch nicht die Rache Gottes herabbeten dürfen. Aber wenn sie in ihrem verkehrten Wesen fortfahren, so wird sie das gleiche Schicksal treffen wie alle Verächter Gottes. Und nicht deshalb bringt Paulus diesen Spruch bei, um uns zu erhitzen und zu zornigen Gebeten zu ermutigen, sondern lediglich, um uns getrost zu machen wider der Gottlosen Wut. Wir sollen nicht fürchten, dass unsere Geduld die Feinde nur zu schärferem Auftreten ermutigen werde; denn nicht vergeblich steht Gott als unser Rächer da.