Römer 12.14-17a
Segnet, die euch verfolgen; segnet, und fluchet nicht. Freuet euch mit den Fröhlichen und weinet mit den Weinenden. Habt einerlei Sinn untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den niedrigen. Haltet euch nicht selbst für klug.
Bei diesen mancherlei Mahnungen müssen wir von vornherein darauf verzichten, gar zu peinlich eine bestimmte Ordnung zu suchen. Diese kurzen Vorschriften zielen einmal auf diese, dann wieder auf jene Seite des christlichen Lebens. Nur der allgemeine Gesichtspunkt, welchen uns der Apostel zu Beginn des Kapitels eröffnet hatte, hält sie zusammen. Alsbald werden wir die Vorschrift empfangen, nicht Böses mit Bösem zu vergelten (Vers 17b). Was der Apostel aber jetzt von uns verlangt, ist noch schwieriger: Wir sollen unseren Feinden nicht einmal fluchen – das heißt, wir sollen ihnen nichts Böses, sondern lauter Segen wünschen und von Gott erbitten, selbst wenn sie uns quälen und unmenschlich behandeln. Je schwieriger es ist, solch sanftmütigen Sinn zu bewahren, umso angestrengter muss unser Eifer sein, ihn zu erlangen. Denn in allem, was Gott befiehlt, will Er unseren Gehorsam sehen. Dabei gilt nicht die Entschuldigung, dass wir solchen Sinn nun einmal nicht haben. Denn Gott will, dass wir uns gerade durch Sanftmut von den Gottlosen und Weltkindern unterscheiden. Damit ist uns freilich eine schwierige Aufgabe gestellt, die gänzlich wider die menschliche Natur geht. Aber es ist nichts so schwer, dass es Gottes Kraft nicht überwinden könnte. Und diese Kraft wird uns nie fehlen, wenn wir nur nicht versäumen, darum zu bitten. Begegnen wir auch schwerlich einem Menschen, der im Gesetz des Herrn solche Fortschritte gemacht hätte, dass er dieses Gebot schon vollkommen hielte; so soll doch niemand sich für ein Kind Gottes ausgeben oder mit dem Namen eines Christen schmücken, der nicht wenigstens anfangsweise solchen Sinn angezogen hat und mit seiner widerstrebenden Neigung täglich im Kampfe liegt. Ich wiederhole, dass dies Gebot zu halten viel schwerer ist, als bloß von der eignen Rache für eine Beleidigung abzustehen. Mancher hält seine Hände zurück, zügelt auch seine innere Neigung, dem Feinde Schaden zuzufügen, aber er wünscht von ganzem Herzen, dass ihn sonst woher ein Schlag oder Verlust treffe. Und ist mancher selbst von Natur so sanftmütig, dass er seinem Feind nicht ausdrücklich etwas Böses anwünscht, so wird unter Hunderten doch kaum einer den gegenteiligen Wunsch hegen, dass es seinem Beleidiger geradezu gut gehen möchte. Die meisten lassen sich zu ungezähmten Verwünschungen hinreißen. Gottes Wort aber will nicht nur unsere Hände binden, dass sie nichts Böses tun, sondern will auch die bittere Stimmung im Herzen unterdrücken; ja noch mehr, es will, dass wir um das Heil derer besorgt sein sollen, welche uns in ungerechter Weise verfolgen und welche damit dem Verderben entgegen gehen. Gott will an uns nicht bloß so viel Geduld sehen, dass wir in unseren Gebeten den zornigen Ansturm zähmen; vielmehr soll unsere Fürbitte um Verzeihung ein Zeugnis werden, dass es uns wehe tut, wenn wir unsere Feinde so mutwillig ins Verderben stürzen sehen.
Freuet euch mit den Fröhlichen und weinet mit den Weinenden. – Die allgemeine und zusammenfassende Vorschrift steht erst an dritter Stelle (Vers 16): Habt einerlei Sinn untereinander, das heiß, nehmet herzlichen Anteil an dem Geschick des Nächsten. Was vorangeht, ist beispielsweise gesagt: Wir sollen Freude und Leid mit dem Bruder teilen. Das ist die Art der wahren Liebe, dass sie von dem Leid des andern sich nicht herzlos in die eigene Freude oder Bequemlichkeit zurückzieht, sondern mit ihm trauert. In Summa: Wenn der Sinn des Bruders in jedem wechselnden Geschick, in Freude und Leid, unseren Sinn mitberührt, dann haben wir die Vorschrift des Apostels erfüllt. Nur der böse Neid freut sich nicht im Hinblick auf des Bruders Glück. Nur die unmenschliche Hartherzigkeit bleibt unbetrübt, wenn es ihm übel geht. Es soll also unter uns eine solche innere Gemeinschaft bestehen, dass wir alle Regungen gemeinsam empfinden.
Trachtet nicht nach hohen Dingen. – Dem Christen ziemt es nicht, ehrgeizig nach Dingen auszuschauen, mit denen er andern voraus kommen will, überhaupt nicht, sich hochmütig zu gebärden; er soll vielmehr auf bescheidenes und nachgiebiges Wesen bedacht sein. Dies macht uns groß vor Gott, nicht der Stolz und das verächtliche Herabschauen auf die Brüder. Hieran reiht sich vortrefflich die weitere Erinnerung: Haltet euch herunter zu den niedrigen, nämlich zu niedrigen Dingen, nicht „zu den Niedrigen“. Dieses Verständnis empfiehlt sich um des Gegensatzes willen mehr. Nichts fördert ja die Eitelkeit mehr, als wenn man sich zu hohe Pläne macht. Je höher der Platz ist, den wir begehren, umso hochmütiger werden wir. Der Apostel verwirft also alle Streberei und alle hohen Ansprüche, welche die Menschen oft als einen edlen Ehrgeiz loben. Die oberste Tugend der Gläubigen ist Mäßigung, oder vielmehr eine Bescheidenheit, welche die Ehre lieber andern gibt als sich selbst nimmt. Damit hängt auch das Nächste zusammen: Haltet euch nicht selbst für klug. Denn nichts macht hochmütiger als die Überzeugung von der eignen Klugheit. Davon sollen wir ganz absehen, sollen auch andere hören und ihren Ratschlägen Beachtung schenken.