RÖMER

Römer Kapitel 11 Teil VIII

Römer 11.33-36

O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!  Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?  Oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass ihm werde wieder vergolten?  Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.

 

O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und Erkenntnis Gottes! – Dieser Ausruf, welcher sich dem Gläubigen bei frommer Betrachtung der Werke Gottes auf die Lippen drängt, enthält zugleich eine Warnung vor dem gottlosen Hochmut, welcher den Gerichten Gottes zu widersprechen wagt. Wenn wir vernehmen: „O welch eine Tiefe!“ – so ist nichts geeigneter, alle Anmaßung des Fleisches niederzuschlagen, als solcher Ausbruch der Bewunderung. Bisher war der Apostel den Gedanken des Wortes und Geistes Gottes nachgegangen. Nun überwältigt ihn selbst die Tiefe des Geheimnisses. Er kann nur noch staunen und rufen, dass dieser Reichtum der Weisheit Gottes alle unsere Erkenntnis übertrifft. Wenn wir in das Nachdenken eintreten über Gottes ewige Ratschlüsse, so müssen wir dem Geist und der Zunge einen Zügel anlegen. Wie nüchtern wir auch versuchen, unsere Gedanken in den Schranken des göttlichen Wortes zu halten, das Ende wird doch nur Staunen sein! Wir brauchen uns auch nicht zu schämen, wenn wir schließlich nicht klüger sind als der Apostel, der bis in den dritten Himmel entzückt ward und unaussprechliche Worte vernahm (2. Korinther 12.1 & 12.3), und der zuletzt doch nur in demütiger Selbstbescheidung in die Knie sinken kann:

Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! – Nach hebräischer Weise, welche denselben Gegenstand gern in doppelter Wendung ausdrückt, spricht der Apostel zuerst von den Gerichten, dann von den Wegen Gottes, das heißt von Seiner Weise, zu handeln, oder Seiner Ordnung, zu regieren. Je höher seine bewundernde Rede die Majestät des göttlichen Geheimnisses erhebt, desto mehr hält sie unsern neugierigen Wissenstrieb zurück. Wir sollen also lernen, Gott nichts zu fragen, was Er uns nicht in der Schrift offenbart hat. Andernfalls verwirren wir uns in ein Labyrinth, aus welchem wir keinen Ausgang finden.

Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? – Hier legt der Apostel nun geradezu auf den kühnen Menschen, der wider Gottes Gerichte murrt, seine Hand und hält ihn zurück. Zwei Gründe hält er ihm (Vers 34 und 35) entgegen. Zuerst: Alle Sterblichen sind zu blind, um mit ihren Sinnen Gottes Erwählung durchschauen zu können; über einen unbekannten Gegenstand aber sich ein Urteil zu erlauben, ist anmaßend und töricht. Halten wir also unsere Gedanken in den Grenzen des göttlichen Wortes! Denn wir selbst vermögen das Geheimnis der Erwählung nicht zu enthüllen. Wir sehen so viel wie ein Blinder im Dunkeln. Und dennoch steht die Gewissheit unseres Glaubens völlig fest, denn sie hängt nicht von unserm Scharfsinn ab, sondern lediglich von der Erleuchtung durch Gottes Geist. An einer andern Stelle (1. Korinther 2.9-10 & 2.12) sagt ja auch Paulus, dass alle Geheimnisse Gottes freilich weit über das Verständnis unseres Geistes hinausgreifen. Aber sofort fügt er hinzu: Weil wir nicht den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott empfangen haben, so kennen wir Gottes Absichten und Seine sonst unbegreifliche Güte. Vermögen wir aus eigner Kraft von Gottes Geheimnissen nichts zu verstehen, so erschließt uns doch die Gnadengabe des göttlichen Geistes eine klare und gewisse Erkenntnis. Wir folgen diesem Geiste, so weit Er uns führt. Wo Er zu schweigen beginnt, da stehen wir still und hemmen unsern Schritt. Wer mehr wissen will, als Er uns offenbart, wird von dem Glanz des Lichtes, da niemand zukommen kann, geblendet werden. Dabei gilt es, den Unterschied zu beachten zwischen Gottes verborgenem Ratschluss und Seinem in der Schrift geoffenbarten Willen. Auch die gesamte Lehre der Schrift geht ja hoch über die Kraft des Menschengeistes hinaus, aber sie bleibt für die Gläubigen doch nicht unzugänglich, welche demütig und nüchtern von Gottes Geist sich leiten lassen. Ganz anders steht es dagegen mit dem verborgenen Ratschluss, dessen Höhe und Tiefe keine Forschung durchmessen wird.

Oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass ihm werde wieder vergolten? – Nunmehr folgt der zweite Grund zur Verteidigung der Gerechtigkeit Gottes gegen alle Einwürfe der Gottlosen. Niemand hat Verdienste aufzuweisen, die Gott zu seinem Schuldner machten. Also kann auch niemand sich mit Recht darüber beklagen, dass er nicht den beanspruchten Lohn empfängt. Wer sich einen andern zu Wohltaten verpflichten will, muss selbst zuvor seine Pflichten gegen ihn erfüllt haben. Paulus will also zu verstehen geben: Nur dann dürfte man Gott der Ungerechtigkeit zeihen, wenn man sagen könnte, Er gäbe nicht jedem das Seine. Nun steht aber fest, dass Gott niemanden seines Rechtes beraubt, da Er niemandem etwas schuldig ist. Oder wer könnte irgendein Werk vorweisen, das Gott mit Seiner Gnade lohnen müsste? Unsere Stelle prägt uns vielmehr tief ein, dass es nicht in unserer Kraft steht, mit unsern guten Taten Gott die Seligkeit abzuzwingen. Er vielmehr kommt in freier Gnade uns zuvor, die wir gar nichts verdienen. Paulus spricht dabei nicht von einer Verfassung, in welcher sich die Menschen vielfach befinden, sondern von ihrem ganz allgemeinen, ausnahmslosen Zustande. Wollen wir uns scharf prüfen, so werden wir nicht bloß finden, dass Gott uns durchaus nichts schuldet, sondern dass wir alle ohne Ausnahme Seinem Gericht verfallen sind und nicht nur keine Gnade, sondern den ewigen Tod verdienen. Dass uns Gott nichts schuldig ist, behauptet Paulus nun gar nicht bloß in Rücksicht auf unsere gefallene und verderbte Natur; selbst wenn der Mensch sündlos wäre, würde er nichts vor Gottes Angesicht bringen können, um dessentwillen Gott ihm notwendig Seine Gnade zukehren müsste. Denn sobald der Mensch nur zu existieren anfängt, bleibt er schon nach dem Rechte der Schöpfung derartig in seines Schöpfers Hand, dass er eigne Ansprüche nicht geltend machen kann. Ganz vergeblich werden wir versuchen, Gott das Recht abzustreiten, dass Er frei und nach Seinem Ermessen über die Gebilde Seiner Hand verfüge. Die Kreaturen stehen mit Gott nicht auf Rechnung und Gegenrechnung.

Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. – Eine Begründung für den soeben ausgesprochenen Satz. Es ist gar nicht daran zu denken, dass wir uns gegen Gott irgendeines eignen Gutes rühmen dürften, denn wir sind von Ihm aus Nichts erschaffen, und unser ganzes Wesen hat jetzt nur in Ihm seinen Bestand. Daraus folgt, dass es ganz und gar der Ehre Gottes zu Dienst gestellt werden muss. Denn welchen andern Zweck sollten die Kreaturen haben, die Er selbst geschaffen hat und erhält, als dass sie zum Ruhme Seiner Herrlichkeit dienen? Die ganze Ordnung der Natur wird auf den Kopf gestellt, wenn nicht Gott, welcher der Ursprung aller Dinge ist, auch ihr Zweck und Ziel bleibt.

Ihm sei Ehre in Ewigkeit! – Damit setzt der Apostel das Siegel unter seine ganzen Ausführungen. Es soll ganz feststehen, dass des Herrn Ehre unantastbar gilt. Diese Worte sind zwar, für sich genommen, eine kühle, unbeteiligte Erwägung, aber durch die Stellung am Schluss dieser Kapitel empfangen sei einen ganz eigenartigen Nachdruck: Dem Herrn gehört das Regiment, und wenn man den Zustand des menschlichen Geschlechts und der ganzen Welt recht beurteilen will, so muss man lediglich die Frage nach Gottes Ehre stellen. Alle Gedanken, die dazu beitragen könnten, Gottes Ruhm und Ehre zu verkleinern, müssen abgeschnitten werden, sie sind töricht und vernunftwidrig, ja sie sind frevelhaft.