RÖMER

Römer Kapitel 11 Teil V

Römer 11.22-24

Darum schau die Güte und den Ernst Gottes: den Ernst an denen, die gefallen sind, die Güte aber an dir, soferne du an der Güte bleibst; sonst wirst du auch abgehauen werden. Und jene, so sie nicht bleiben in dem Unglauben, werden eingepfropft werden; Gott kann sie wohl wieder einpfropfen. Denn so du aus dem Ölbaum, der von Natur wild war, bist abgehauen und wider die Natur in den guten Ölbaum gepfropft, wie viel mehr werden die natürlichen eingepfropft in ihren eigenen Ölbaum.

 

Darum schau die Güte und den Ernst Gottes: den Ernst an denen, die gefallen sind, die Güte aber an dir, soferne du an der Güte bleibst. – Jetzt stellt Paulus seinen Lesern die Sache selbst vor Augen und zeigt und bekräftigt damit umso deutlicher, dass die Heiden keinen Grund zum Stolz haben. Sehen die Heiden an Israel ein Beispiel der göttlichen Strenge, so haben sie nur Anlass, zu zittern. Haben sie an sich selbst Gottes Gnade und Güte erfahren, so ist ihnen dies nur ein Grund, Gott zu danken und Ihn zu rühmen, nicht sich selbst. Es ist, als riefe uns Paulus mit diesen Worten zu: Willst du um des Unheils über die Juden willen dich schadenfroh und übermütig gebärden, so denke zuerst daran, was du gewesen bist. Denn dieselbe Strenge Gottes schwebte auch über dir, und nur Seine freie Gnade hat dich herausgerissen. Weiter erwäge, was du auch jetzt noch bist: Du hast die Seligkeit nur darin, dass du Gottes Erbarmen in aller Demut anerkennst. Vergisst du dies und wirst stolz, so wartet deiner derselbe Sturz, in welchen jene gefallen sind. Denn es genügt nicht, Gottes Gnade einmal ergriffen zu haben, man muss während des ganzen Lebens Seinem Rufe folgen. Wer einmal von Gott erleuchtet ward, muss stets darauf sinnen, dass er Bestand behalte. Denn wer nur eine Zeitlang dem Rufe Gottes innerlich Antwort gab, dann aber des Himmelreichs überdrüssig wird, bleibt nicht in Gottes Güte stehen und erfährt ob seiner Undankbarkeit von neuem wohlverdiente Verstockung.

Sonst wirst du auch abgehauen werden. – Sonst wirst du auch abgehauen werden. Diese Drohung mit dem Abgehauenwerden könnte verwunderlich erscheinen, denn kurz zuvor hatte der Apostel gesagt, die Betreffenden seien durch Gottes Erwählung in den Baum eingepfropft. Damit durften und mussten sie doch eine feste Hoffnung auf das ewige Leben fassen. Nun kann freilich ein wirklich Erwählter nicht aus der Gnade fallen, aber die Auserwählten bedürfen noch der Ermahnung, damit der Hochmut ihres Fleisches gezügelt werde. Dieser schlimmste Feind unserer Seligkeit muss wirklich durch die Furcht vor der Verdammnis ausgetrieben werden. Sofern also einem Christen das Licht des Glaubens leuchtet, vernimmt er das Wort (siehe 9. 29): „Gottes Gaben und Berufung mögen ihn nicht gereuen.“ So wird er seines Heils ganz gewiss. Sofern er aber noch im Fleische steckt, dessen Zügellosigkeit sich nur zu leicht wider die Gnade auflehnt, muss er zu seiner Demütigung hören: Siehe wohl zu, dass du nicht fallest! Im Übrigen wollen wir bedenken, dass Paulus hier nicht in erster Linie an jeden einzelnen Auserwählten, sondern mehr an die Heiden im Ganzen sich wendet, welche an die Stelle der Juden getreten waren. Unter dieser Masse aber befanden sich viele, die nur dem Namen nach, aber nicht in Wahrheit Glieder Christi waren. Fragt man bezüglich der einzelnen Personen, wie einer wieder abgehauen werden kann, nachdem er bereits eingepfropft, und wie er wieder eingepflanzt werden kann, nachdem er abgehauen, so wird es zur Erklärung dienlich sein, dass wir eine dreifache Einpfropfung und eine doppelte Abschneidung unterscheiden. Eingepfropft werden zuerst die Kinder der Gläubigen, welchen Gott sein Versprechen einlösen muss, weil Er einen Bund mit ihren Vätern geschlossen. Eingepfropft werden weiter, die zwar den Samen des Evangeliums aufnehmen, aber keine Wurzel schlagen lassen, oder ihn ersticken, bevor er Frucht bringt. Eingepfropft im eigentlichsten Sinne werden endlich, welche auf Grund des unveränderlichen göttlichen Ratschlusses die Erleuchtung zum ewigen Leben empfangen. Die zuerst Genannten werden abgehauen, wenn sie die ihren Vätern gegebene Verheißung von sich stoßen oder in ihrer Undankbarkeit sich nicht zueignen. Die an zweiter Stelle Genannten werden abgehauen, wenn der Same des Evangeliums in ihnen vertrocknet und verdirbt. Da nun diese Gefahr von Natur allen ohne Unterschied droht, so zielt diese Ermahnung des Paulus zugleich auch in irgendeinem Maße auf die Gläubigen: Sie sollen aus fleischlicher Stumpfheit aufgerüttelt werden. Alles in allem: Der Apostel kündigt den Heiden dieselbe Strafe Gottes an, welche über die Juden ergangen ist, für den Fall, dass sie dieselben Wege des Unglaubens gehen.

Gott kann sie wohl wieder einpfropfen. – Auf ungläubige Menschen würde diese Erinnerung gar keinen Eindruck machen. Sie lassen ja dem Herrn im Allgemeinen Seine Macht, geben sich aber der Stimmung hin, als sei diese Macht ferne im Himmel verschlossen und komme nicht zu kraftvoller Tat hervor. Sobald aber die Gläubigen von dem hören, was Gott kann, rechnen sie damit, dass Er es alsbald und in unmittelbarer Gegenwart tun wird. Der Apostel darf erwarten, dass solchen Leuten Seine Erinnerung einen heilsamen Anstoß geben werde. Außerdem wollen wir anmerken, wie fest dem Apostel der Grundsatz steht, dass Gott bei aller Züchtigung Seines Volkes der Gnade doch nie vergessen kann. Oftmals hat der Herr, der Sein Volk aus Seinem Reiche verstoßen zu haben schien, demselben eine Erneuerung geschenkt. Und der gegenwärtige Zustand muss sich doch viel leichter ändern lassen, als er sich herstellen ließ (Vers 24). Denn natürliche Zweige, welche man wieder an die Stelle pfropft, von welcher man sie abgeschnitten, müssen doch viel leichter den Saft ihres eignen Baumes wieder ansaugen, als wilde und unfruchtbare Zweige dies bei einem ihnen fremden Baume können. In diesem Verhältnis standen aber die Heiden zu den Juden.