RÖMER

Römer Kapitel 11 Teil III

Römer 11.11-15

So sage ich nun: Sind sie darum angelaufen, dass sie fallen sollten? Das sei ferne! Sondern aus ihrem Fall ist den Heiden das Heil widerfahren, auf dass sie denen nacheifern sollten. Denn so ihr Fall der Welt Reichtum ist, und ihr Schade ist der Heiden Reichtum, wie viel mehr, wenn ihre Zahl voll würde? Mit euch Heiden rede ich; denn dieweil ich der Heiden Apostel bin, will ich mein Amt preisen, ob ich möchte die, so mein Fleisch sind, zu eifern reizen und ihrer etliche selig machen. Denn so ihre Verwerfung der Welt Versöhnung ist, was wird ihre Annahme anderes sein als Leben von den Toten?

 

Sind sie darum angelaufen, dass sie fallen sollten? Das sei ferne! – Das Verständnis dieser ganzen Erörterung wird man sich sehr erschweren, wenn man nicht beachtet, dass der Apostel bald von dem jüdischen Volk als Ganzem, bald von einzelnen Personen redet. So kann er einmal sagen, dass die Juden gegenwärtig aus Gottes Reich ausgeschlossen sind, abgeschnitten vom Baum, durch Gottes Gericht ins Verderben gestürzt. Das andere Mal aber kann es heißen: Sie sind nicht aus der Gnade gefallen, bleiben vielmehr im Besitz des Bundes und behaupten ihren Platz in Gottes Gemeinde. Diese Unterscheidung liegt auch den gegenwärtigen Sätzen zugrunde. Denn da der allergrößte Teil der Juden sich von Christus abwandte, so dass dieses verkehrte Wesen fast im ganzen Volke die Herrschaft gewann und nur wenig rechter Sinn sich noch vorfand, so lautet die Frage in Bezug auf das ganze Volk, ob dasselbe denn derartig an Christus angelaufen sei (9.33), dass sein Schicksal als Volk nun endgültig entschieden wäre und keine Hoffnung auf Buße mehr bestünde? Die Antwort bezieht sich dann aber auf die Einzelnen; die Juden haben die Seligkeit nicht etwa völlig verscherzt, sie sind auch nicht derartig von Gott verworfen, dass jede Wiederherstellung ausgeschlossen oder der göttliche Gnadenbund völlig zerbrochen wäre. Denn es blieb in diesem Volke immer der gesegnete Same. So versteht man den scheinbaren Gegensatz, dass zuerst von Verstockung und völliger Verwerfung die Rede war, und dass jetzt doch eine Hoffnung auf einen Wiederaufbau gegeben wird. Die hartnäckig wider Christus anliefen, sind also gefallen und ins Verderben gegangen. Und doch ward die Hoffnung des Volkes nicht derartig vernichtet, dass notwendig jeder Jude verloren oder von Gott verstoßen sein müsste.

Sondern aus ihrem Fall ist den Heiden das Heil widerfahren. – Zweierlei sagt der Apostel hier aus: Erstens sind die Juden zum Heil der Heiden gefallen; zweitens aber hatte dies den Zweck, dass sie durch die Berufung der Heiden zur Eifersucht gereizt und so auf den Gedanken an ihre eigne Bekehrung gebracht werden sollten. Ohne Zweifel spielt die Rede auf den zuvor (10.19) schon angeführten Spruch des Mose an (5. Mose 32.21). Israel soll zur Nacheiferung angeregt werden, wenn es die Heiden sich vorgezogen sieht. Also war es Gottes Absicht nicht, einen ewigen Sturz dieses Volkes herbeizuführen. Dem Segen Gottes, welchen Israel verachtete, sollte nur eine Bahn zu den Heiden gemacht werden. Und dies sollte wiederum den Anstoß geben, dass Israel den Gott suchen möchte, von welchem es abgefallen. Wenn die Juden sahen, wie Heiden an ihre Stelle traten, sollte der Schmerz über ihre Verwerfung sie treiben, sich nach Versöhnung auszustrecken.

Denn so ihr Fall der Welt Reichtum ist, und ihr Schade ist der Heiden Reichtum, wie viel mehr, wenn ihre Zahl voll würde? – Paulus hatte gesagt, dass nach der Verwerfung Israels die Heiden an dessen Stelle getreten wären. Daraus hätten die Heiden vielleicht den Schluss ziehen können, dass für ihre eigne Seligkeit nur bei Israels Fall Raum bleibe. Dann hätten sie wahrscheinlich den Juden eine Wiederherstellung nicht gegönnt. Deshalb kommt der Apostel einer solchen falschen Ansicht zuvor und verkehrt dieselbe von vornherein in ihr Gegenteil: Nchts kann mehr dazu beitragen, die Seligkeit der Heiden zu befördern, als wenn Gottes Gnade auch über Israel groß und reich ist. Der Beweis steigt von dem geringeren zum größeren Stücke empor: Wenn der Fall der Juden die Heiden aufrichten und ihr Schade sie reich machen konnte, wie viel größeren Segen wird es dann stiften, wenn ihre Zahl voll würde! Das erste war ja eigentlich widernatürlich, das andere würde sich naturgemäß erwarten lassen. Hätten die Juden das Wort Gottes angenommen, so würde aus ihrem Glauben eine viel größere Frucht erwachsen sein als aus ihrem Unglauben, welcher den Heiden eine Tür öffnete. Welche Bestätigung hätte Gottes Wahrheit gefunden, wenn man die Weissagungen sich hätte in Israel erfüllen sehen! Und eine Verkündigung des Evangeliums von Seiten der Juden hätte ja ganze Scharen gewinnen müssen, während jetzt ihr hartnäckiger Unglaube vielmehr anstößig und abschreckend wirken musste.

Mit euch Heiden rede ich. – Ein durchschlagender Grund dafür, dass den Heiden nichts abgeht, wenn Gott die Juden wieder in Seine Gnade aufnimmt. Die Seligkeit beider Teile ist so eng miteinander verknüpft, dass ein und dieselbe Arbeit dazu dienen kann, beider Heil zu fördern. So kann Paulus den Heiden sagen: Ich bin im Besonderen euer Apostel, deshalb muss ich alles andere lassen und alle meine Mühe daran wenden, für eure Seligkeit zu arbeiten, die mir aufs Herz gelegt ward. Das werde ich aber umso lieber tun, wenn ich dadurch einige aus meinem Volke für Christus gewinnen kann. Dies wird dann zum Ruhm und Preis meines Amtes und zugleich zu eurem Besten dienen.

Ihrer etliche selig machen. – In einem gewissen Sinne darf ein Diener des Wortes, welcher Menschen zum Gehorsam des Glaubens führt, seine Tätigkeit mit diesem Ausdruck beschreiben. Dabei müssen wir aber festhalten, dass alle Kraft und Wirksamkeit, selig zu machen, von Gott ausgeht, und dass Ihm allein die Ehre gebührt. Aber die Predigt ist das Mittel, durch welches das Heil der Gläubigen gewirkt wird. Kann dasselbe auch ohne Gottes Geist nichts ausrichten, so erweist es sich doch überaus kraftvoll, wenn Gottes Wirkung dahinter steht.

Denn so ihre Verwerfung der Welt Versöhnung ist, was wird ihre Annahme anderes sein als Leben von den Toten? – Noch einmal wiederholt der Apostel den bereits (siehe Vers 12) ausgesprochenen Gedanken: Hat schon die Verwerfung der Juden den Anlass zur Versöhnung der Heiden geben müssen, wie viel größere Segenskraft wird ihre Wiederaufnahme in sich bergen! Sollte sie nicht Leben schaffen, wo Tod war? Damit sollen die Heiden den Gedanken vollständig fahren lassen, als würden sie herabgedrückt, wenn auch Israel sich zur Gnade wendet. Sie brauchen nicht neidisch zu werden. Denn der Gott, der aus dem Tode das Leben und aus der Finsternis das Licht wunderbar emporführt, wird vielmehr die Auferstehung Seines gleichsam erstorbenen Volkes den Heiden zum Leben dienen lassen. Wir denken dabei an die gegenwärtige Auferstehung, welche uns aus dem Reiche des Todes in das Reich des Lebens versetzt. Dagegen sagen allerdings einige Ausleger, dass eine so verstandene Auferstehung sich von der Versöhnung nicht unterscheide, vielmehr beides dasselbe sei. Dies ist sachlich auch richtig; aber die Ausdrucksweise ist das zweite Mal erhabener.