PHILIPPER

Philipper Kapitel 1 Teil II

Philipper 1.7-11

Wie es denn mir billig ist, dass ich dermaßen von euch allen hatte, darum dass ich euch in meinem Herzen habe als solche, die alle mit mir derselben Gnade teilhaftig sind, sowohl in meinen Banden als bei der Verteidigung und Bekräftigung des Evangeliums. Denn Gott ist mein Zeuge, wie mich nach euch allen verlangt von Herzensgrund in Jesu Christo. Und darum bete ich, dass eure Liebe je mehr und mehr reich werde in allerlei Erkenntnis und Erfahrung, dass ihr prüfen möget, was das Beste sei, auf dass ihr seid lauter und ohne Anstoß auf den Tag Christi, erfüllet mit Früchten der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus geschehen in euch zu Ehre und Lobe Gottes.

 

Wie es denn mir billig ist. – Denn wir würden die Gaben Gottes unbillig herabsetzen, wenn wir diejenigen nicht als Gottes Kinder anerkennen wollten, aus denen die wahren Zeichen der Frömmigkeit, die Merkmale des Kindschaftsgeistes, hervorleuchten. Paulus sagt daher, dass die Billigkeit es ihm gebiete, von den Philippern immer das Beste zu hoffen, da er ja sehe, dass sie mit ihm derselben Gnade teilhaftig geworden. Er bezeichnet die Philipper als Genossen derselben Gnade in den Banden und bei der Verteidigung des Evangeliums.

Im Herzen haben heißt: Von ganzem Herzen, mit aufrichtiger, ungeheuchelter, gewisser und unzweifelhafter Meinung sie als solche betrachten. Denn die Philipper hatten dem Paulus immer nach ihrem Vermögen Beistand geleistet. Dadurch waren sie seine Mitarbeiter geworden bei der Ausbreitung des Evangeliums. Wegen der frommen Gesinnung, die sie durch alle möglichen Hilfsleistungen bezeugt hatten, wusste Paulus sich mit ihnen verbunden, wenn sie auch äußerlich von ihm getrennt waren. Wie hatte er sie aber im Herzen?

Als Genossen der Gnade. Bei welcher Gelegenheit? In den Banden, durch die das Evangelium verteidigt wurde. Da er sie als solche erkannt hatte, so ist es billig von ihm, wenn er von ihnen das Beste hofft.

Teilhaftig derselben Gnade, wie ich sie in meinen Banden erfahre. Der Welt erscheint es lächerlich, den Kerker unter die Wohltaten Gottes zu zählen. Und doch, recht angesehen erweist uns Gott eine große Ehre, wenn Er uns Verfolgungen für Seine Wahrheit erleiden lässt; denn nicht umsonst steht geschrieben (sie Matthäus 5.11): Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und reden allerlei Übles wider euch, so sie daran lügen. Wir dürfen also die Gemeinschaft des Kreuzes Christi mit willigem und dankbarem Gemüte auf uns nehmen.

Zu den Banden fügt der Apostel die Verteidigung und Kräftigung des Evangeliums. Dadurch wird noch deutlicher, welch einen ehrenvollen Dienst Gott uns aufträgt, wenn Er uns Seinen Feinden gegenüberstellt, damit wir von Seinem Evangelium Zeugnis ablegen. So überträgt Er uns gewissermaßen den Schutz des Evangeliums. Mit diesem Gedanken im Herzen vermochten die Märtyrer alle Wut der Gottlosen und alle Qualen zu überwinden. Wenn doch allen denen, die zum Bekenntnis ihres Glaubens berufen werden, dieses zum Bewusstsein käme, dass sie Christi auserwählte Rüstzeuge sind, um Seine Sache zu führen! Solcher Trost würde ihnen hinreichenden Mut verleihen und sie vor treulosem Abfall schützen. Freilich könnte man fragen, ob der Fortschritt des Evangeliums an der Tapferkeit der Menschen hänge? Ich antworte: Gottes Wahrheit ist fest durch sich selbst und bedarf keiner fremden Stützen. Denn wenn auch alle Menschen Lügner wären, so bleibt Gott doch wahrhaftig. Aber Wahrheit ist es, dass schwache Gemüter durch solche menschlichen Mittelursachen gestärkt werden. Die Bekräftigung des Evangeliums, von welcher Paulus redet, findet in der Seele der Menschen statt. Denn erfahrungsgemäß haben die Hinrichtungen der Märtyrer als ebenso viele Siegel für die Wahrheit des Evangeliums gewirkt. Ein altes Wort sagt: Das Blut der Blutzeugen ist der Same der Kirche. An diesen Spruch schließen sich meine Verse (aus einem „Siegeslied für Christus“, welches Calvin im Jahre 1541 zu Worms gedichtet hat) an:

Zur Erde rinnt der Heilgen Blut,
Vergossen durch der Feinde Wut.
Aus diesem Blut, dem Samen gleich,
Wächst immer neu des Herren Reich.

Denn Gott ist mein Zeuge. – Jetzt erklärt der Apostel seine Liebe zu den Philippern noch ausdrücklicher, und zwar ganz passend mit einem Eide. Denn wir wissen ja, wie sehr Gott die Erbauung Seiner Kirche am Herzen liegt. Dafür aber war es erforderlich, dass die Philipper fest von der Liebe des Paulus überzeugt wurden; denn wenn das Volk weiß, dass es von seinem Lehrer geliebt wird, so trägt dieses sehr viel zur gläubigen Annahme der Lehre bei. Der Apostel ruft dabei Gott als Zeugen seiner Gesinnung an: Denn Gott allein ist die Wahrheit, und Er allein prüft die Herzen. Von seinem Verlangen nach den Philippern redet nun Paulus als einem Zeichen der Liebe. Denn wir verlangen nach dem, was uns lieb ist.

Von Herzensgrund in Jesu Christo. – Oder genau übersetzt: Mit dem Herzen Christi. Das Herz Christi stellt der Apostel der fleischlichen Neigung gegenüber, um damit zu bezeugen, dass seine Liebe heilig und fromm sei. Wer nach dem Fleische liebt, sieht auf seinen Vorteil und kann nach Zeit und Umständen seine Gesinnung ändern. Zugleich kann man hier lernen, nach welcher Regel sich die Neigungen der Gläubigen richten müssen, nämlich nach der Regel, dass sie mit Verleugnung ihres eigenen Willens sich Christi Leitung übergeben. Und sicherlich, die wahre Liebe kann aus keiner anderen Quelle fließen als aus dem Herzen Christi! Das muss für uns ein Stachel und Antrieb zum Lieben sein, dass Christus gleichsam Sein Herz öffnet, um unsere gegenseitige Liebe zu nähren.

Und darum bete ich, dass eure Liebe je mehr und mehr reich werde in allerlei Erkenntnis und Erfahrung. – Paulus kehrt jetzt zur Fürbitte zurück, deren er früher nur mit einem Worte gedacht hat. Er breitet den Inhalt seiner Fürbitte vor den Lesern aus, damit auch sie nach seinem Vorbilde beten lernen und sich zum Erwerbe eben derselben Güter ausstrecken möchten. Denn wahres Wachstum der Christen besteht darin, dass sie zunehmen an Erkenntnis und Erfahrung, und somit auch an der Liebe. Denn mit dem Fortschritt der Erkenntnis muss auch die Liebe in uns erwachsen. Der Sinn ist kurz dieser: Damit eure Liebe wachse nach dem Maß der Erkenntnis.

Allerlei, besser alle Erfahrung bezeichnet eine reife und sichere Erfahrung, nicht eine Kenntnis von allerlei Dingen.

Dass ihr prüfen möget. – Wir haben hier eine kurze Beschreibung der christlichen Weisheit. Diese besteht nämlich darin, dass man weiß, was da sachgemäß ist und uns frommt, aber nicht darin, dass man den Geist mit eitlen Spitzfindigkeiten und Grübeleien quält. Denn der Herr will nicht, dass die Gläubigen ihre Zeit verschwenden, um unnütze Dinge zu lernen.

Damit ihr lauter seid. – Hier hören wir, wozu die Erkenntnis nütze ist: Dass wir mit reinem Gewissen vor Gott leben.

Und ohne Anstoß. – Diese Worte können auf zweierlei Weise erklärt werden. Nach einer verbreiteten Auslegung wünscht Paulus den Philippern, dass sie nicht nur vor Gott rein und unbefleckt seien, sondern auch vor den Menschen „unanstößig“ und ehrenhaft, sodass sie nicht durch ein schlechtes Beispiel ihrem Nächsten Anstoß geben. Ich verwerfe diese Erklärung nicht, halte aber eine andere für besser: Paulus wünscht, dass seine Leser in ihrem Christenstande bis an den Tag Christi fortschreiten mögen, ohne sich an einem Hindernis zu stoßen. Denn in Folge der Unwissenheit gleiten wir oft aus, stoßen an und irren. Und wir wissen ja alle aus Erfahrung, wie viele Hindernisse der Teufel uns immer wieder aufs Neue in den Weg stellt, um unsern Lauf zu hemmen oder ganz zu hindern.

Erfüllet mit Früchten der Gerechtigkeit. – Dieses bezieht sich auf das äußere Leben. Denn auf dem Grunde eines guten Gewissens wachsen gute Werke. Deshalb sollen die Philipper zur Ehre Gottes sich an guten Werken fruchtbar beweisen. Paulus sagt, dass solche Früchte durch Christum geschehen, weil sie aus Christi Gnade fließen. Denn die Heiligung durch Christi Geist ist der Anfang eines neuen Lebens. Christus hat den Geist empfangen, damit wir alle aus Seiner Fülle schöpfen. Das Gleichnis vom Baum und seinen Früchten legt auch den Gedanken nahe: Wir sind alle wilde und unnütze Ölbäume, bis wir Christo eingepflanzt werden, der als die lebendige Wurzel uns zu fruchtbaren Bäumen umgestaltet; wie er selbst sagt: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Zugleich erinnert der Apostel an den Zweck des neuen Lebens: Wir sollen der Ehre Gottes dienen. Auch der beste Lebenswandel vor den Augen der Menschen ist vor Gott wertlos und verwerflich, wenn er nicht Gottes Ehre zum Ziele nimmt. Dass aber Paulus hier auf Gerechtigkeit des Lebens drängt, widerstreitet nicht der Gerechtigkeit aus Gnaden durch den Glauben. Denn er zieht ja nicht den weiteren Schluss: Wo Früchte der Gerechtigkeit sind, da ist auch Gerechtigkeit vor Gott. Als Gerechtigkeit vor Gott gilt nur die volle Erfüllung des Gesetzes, die kein Heiliger leistet, auch wenn er nach seinem Vermögen gute und liebliche Früchte der Gerechtigkeit hervorbringt. Gott allein legt den Grund der Gerechtigkeit in der Erneuerung durch seinen Geist; Er allein deckt durch die Vergebung der Sünden, was unserer Vollkommenheit fehlt: So hängt trotz allem die Gerechtigkeit allein am Glauben.